Als stressgeplagte Großstädter wollen wir im Urlaub nur eins: Abschalten. Aber wie gut geht das eigentlich mit einem kontinuierlichen Entertainment-Programm? Sandra Diesner vom Outdoorzentrum Lahntal nennt uns im Interview ihre Gründe, warum euer nächster Urlaub vielleicht offline in der Natur stattfindet sollte, statt auf Mallorca.
Liebe Sanni, euer Outdoorzentrum hat ja unter anderem ein Tipidorf, einen Hochseilgarten und einen Kanuverleih, das klingt für mich wie ein richtig kleiner Abenteuerurlaub, oder?
Ja, man kann hier wirklich was erleben.
Was gibt es denn zum Beispiel für Möglichkeiten, wenn ich einen Familienurlaub, einen Betriebsausflug oder auch eine Klassenfahrt bei euch planen will?
Wir haben verschiedene Programm-Bausteine und die Besucher bauen sich das so zusammen, wie sie möchten. Einiges ist nur für Gruppen ausgelegt, das heißt, man braucht mindestens acht Personen. Beim Klettern zum Beispiel ist das wichtig, damit sich die Kletterer gegenseitig absichern können. Als Einzelperson kann man unseren Klettergarten also nicht nutzen. Unsere Kanutouren kann man in Gruppe, oder auch nur zu zweit buchen. Es gibt viele Familien, die das machen, aber auch Schulklassen und Firmen. Dann haben wir noch die ganzen Tiere hier bei uns, mit denen man zum Beispiel einen Tierspaziergang oder einen Parkour buchen kann, in dem viele Hindernisse sind, um die man mit den Tieren herumgehen muss. Das gibt es erst seit diesem Jahr und wird schon sehr gut angenommen.
Und wozu ist das gut?
Es gibt zwei Versionen: Die erste, das Spazierengehen, ist vor allem für Kinder interessant. Spazieren bedeutet, wirklich auf die Tiere eingehen und Spaß haben. Die Tiere laufen dann mit und wir haben auch ein paar, die einfach frei über unser Gelände laufen. Für Kinder ist das schön, weil sie wieder einen Bezug zu den Tieren finden. Das ist heutzutage leider immer weniger gegeben, dass Kinder mit Tieren in Berührung kommen, dabei ist das so wichtig. Sie können so zum Beispiel lernen, wie man intuitiv auf ein Ereignis in einem bestimmten Moment reagieren muss. Das zweite, was wir mit Tieren anbieten, machen wir vor allem mit Firmen und Firmenvorständen: Den Parkour. Das beinhaltet, den Tieren Vertrauen zu geben und sie mit Zeit und Geduld über die verschiedenen Hindernisse zu führen. Das ist dann etwa eine Hängebrücke, wo alles wackelt, oder eine Wippe, oder ein großes Mikado, wo man durch-stelzen muss. Da merkt man, dass viele Menschen keinen Bezug mehr zu Tieren haben. Sich diese Zeit zu nehmen und einfach mit ganz viel Geduld und Liebe an die Sache heranzugehen, ist für viele schon eine Herausforderung.
Was bedeutet es für dich persönlich, in diesem Umfeld zu arbeiten und wie bist du dorthin gekommen?
Ich bin ursprünglich hier aus der Gegend. Mein Mann hat das Outdoor Zentrum vor 15 Jahren ins Leben gerufen und ich war hier zu Besuch, damals habe ich nämlich in Los Angeles gelebt. Ich kam also wieder zurück in die Heimat und habe dann hier meinen Mann kennen gelernt. Jetzt leben wir praktisch in zwei Welten: Im Winter sind wir manchmal in LA und im Sommer dann hier. Das ist ein krasser Gegensatz! Dadurch wissen wir die Natur und alles, was wir hier haben, viel mehr zu schätzen, das ist sehr schön. Gerade die Tiere vermissen wir sehr, wenn wir sie nicht um uns haben. Wir schätzen es auch, hier in einem so kleinen idyllischen Örtchen sein zu können, wir leben hier im Baumhaus, also auch ganz unkonventionell. Wir sind immer vor Ort. Wenn wir hier sind, sind wir auch 24h parat. Hier muss man mit vollem Herzen dabei sein.
Es ist also quasi eine Berufung und nicht nur ein Beruf?
Ja, auf alle Fälle. Das ist unsere ganze Familie, jeder packt mit an. Es ist ein Familienbetrieb durch und durch. Wenn viel Arbeit ist, dann kommen auch meine Eltern, Oma und Opa, Kinder, alle packen mit an.
Inwiefern ist es denn wichtig, dass Kinder und natürlich auch Erwachsene insgesamt wieder in Berührung kommen mit der Natur, nicht nur mit Tieren?
Es ist dieses Sensibilisieren, das vielen fehlt oder bei dem viele einfach denken “Wenn ich eine App habe, die mir das und das sagt, das reicht schon”. Ich muss immer lachen, wenn die Leute mit dem Navi hier zu uns finden wollen, denn das geht manchmal schief. Ich sage immer, früher ging es doch auch ohne. Das ist ein Zeichen, dass man wirklich mal abschalten sollte. Wir gehen jetzt bei uns auch in Richtung Offline-Camp. Die “Für Sie” macht jetzt eine Kampagne “Deutschland entspann dich” und da haben sie uns auch gefunden – wir sind offiziell Deutschlands erstes Offline-Camp. Wenn die Leute hier ankommen und das Handy hat keinen Empfang, dann ist die erste Reaktion meistens “Oh nein, das geht doch nicht”. Aber wenn sie merken, das geht sehr wohl, dann spüren sie einfach, wie viel die Natur gibt, wie sehr man innerlich zur Ruhe kommt und wie wichtig das eigentlich ist. Manche wollen dann gar nicht wieder zurück in ihre Welt.
Also ein bisschen Downshifting?
Ja. Wir haben natürlich Internet, aber die Menschen sind so schnelllebig geworden und die Natur hilft dabei runter zu kommen. Immer mehr Städter finden uns und diese wissen das auch besonders zu schätzen.
Dann spielen wahrscheinlich auch Achtsamkeit und Meditation für euch eine große Rolle?
Ich sage immer, mein Leben ist “bewusst leben”. Ich habe früher sehr viel meditiert und Yoga gemacht. Seit ich jetzt drei Kinder habe, komme ich da weniger zu. Mit allen Sinnen genießen ist das wichtige. Manchmal findet man die Zeit nicht, sich das einzubauen, aber wenn man sein Leben bewusst lebt, dann hat man auch immer wieder Momente, in denen ganz viel Energie und Kraft dazukommt. Bei mir sind das auch die Tiere. Sogar das Ausmisten oder das Putzen, diese Arbeiten, die früher fast schon üblich waren. Früher hatten so viele Menschen irgendwelche Tiere im Stall und diese Arbeit ist so meditativ, da muss man sich gar nicht absichtlich hinsetzen und meditieren, sondern einfach das machen, was zu machen ist. Es ist auch schade, dass das den Menschen total genommen worden ist. Es ist natürlich harte Arbeit, aber ich denke, das war früher viel gesünder. Eine tägliche Arbeit, die einfach sein muss, das war glaube ich die “Meditation von früher”. Jetzt muss man sich diese Zeit selber schaffen. Dadurch, dass wir hier so viele Tiere haben, ist auch die Arbeit immer da. Das ist für mich wie ein Geschenk.
Was sind denn eure Naturworkshops?
Häufig, wenn Schulklassen zu uns kommen, überlassen es die Lehrer uns, mit den Kindern in die Natur zu gehen. Dann gehen wir auf Entdeckungsreise, natürlich mit Aufsicht. Was wir aber immer mehr merken, ist, wie gut es ist, die Kinder einfach mal machen zu lassen. Sie ihr eigenes Ding finden zu lassen. Sie brauchen gar nicht diese “Bespaßung”. Es gibt immer mehr Gruppen, die hinterher sagen: “Ach, das ist so schön bei euch, weil es eben nicht der große Freizeit-Vergnügungspark ist, sondern einfach nur die Natur”. Das reicht den Kindern auch schon zum Runterkommen und Abschalten. Das sagen wir mittlerweile also auch Lehrern und anderen Gruppen, die zu uns kommen möchten: Gerade Kinder bis 12 sind total glücklich, wenn sie einfach nur hier sein können.
Viele Menschen machen ja auch gerne Urlaub im 5-Sterne-Hotel. Nenn mir doch zum Schluss einmal deine Gründe, warum ein Urlaub bei euch besser ist.
Erstmal ist es viel relaxter. Dann haben wir hier auch ein bisschen Luxuscamping, das heißt, auch die, die eigentlich nicht campen gehen würden, können bei uns sehr gut unterkommen. Wir haben ganz viele Hochzeiten hier, wofür genug Luxus da ist, damit sind die Paare auch glücklich. Wir haben ein Restaurant und einen großen, überdachten Biergarten, wo die Gäste sich verköstigen können. Das Essen ist richtig lecker und “ehrliche” Küche sagen wir immer, es ist alles hausgemacht. Natürlich kann man sich auch selber verpflegen: Vor den Tipis ist eine große Feuerstelle, wo man mit einem Dreifuß selber grillen kann – über offenem Feuer. Dann sind da natürlich die Abenteuer, die vor der Tür stehen, das hat ein 5-Sterne-Hotel wahrscheinlich nicht so zu bieten. Wir waren jetzt gerade mal wieder mit dem Kanu mit der Familie unterwegs und dann sitzen wir einfach wortwörtlich “alle im selben Boot”. Da kommen auch mal Sachen hoch, die man gar nicht so erwartet und an denen man wachsen kann. Dieses nach Innen gehen, in der Ruhe der Natur. Es kann auch ein Abenteuer sein, wenn ein Tier mal nicht das macht, was man erwartet hat und man plötzlich spontan handeln muss. Das ist ein bisschen Sich-Selbst-Finden. Und: Es gibt hier keinen Dresscode, man kann einfach kommen, wie man ist.
Die Fragen stellte: Manuela Hartung