Ungesundes Essen, Rauchen, Alkohol versus Veganismus, Yoga, Abstinenz. Was die Lebensführung betrifft, scheint es in letzter Zeit immer mehr Extreme zu geben, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Grundsätzlich ist eine gesunde Lebensweise einer nachgewiesenermaßen ungesunden vorzuziehen, dennoch kann der strikte Fokus auf die Gesundheit genauso viel schaden wie das Ignorieren derselben.
Wenn man Gesundheitsmeldungen in den Medien verfolgt, trifft man immer häufiger auf Meinungen und Ansichten, die zum Teil extrem und fast schon fanatisch vertreten werden. Unterschiedliche Ernährungs- oder Lebenskonzepte, die sich gegenseitig voneinander abgrenzen und teilweise sogar widersprechen, aber alle den Anspruch erheben, die gesündesten zu sein.
Spannend war zum Beispiel eine Debatte, die durch einen Zeitungsartikel ausgelöst wurde. Dieser berichtete darüber, dass ein Kind, dessen Eltern sich scheiden ließen und dessen Mutter Veganerin war, nach der Klage des Vaters nun dazu verpflichtet wurde, zweimal die Woche Fleisch zu essen.
Die Veganer schrien Zeter und Mordio, weil das Kind nun Fleisch essen musste. Anhänger der Paleo-Ernährung empörten sich, weil das Kind nur zweimal Fleisch essen durfte. Beide Gruppe sehen in ihrer Ernährungsweise die gesündeste für den Menschen. In Online-Foren, die solche Themen diskutieren, wirken Ernährungskonzepte manchmal wie eine Religion, die zelebriert wird.
Alles ist ungesund – Was darf man überhaupt noch essen?
Die Konkurrenz von Paleo und Veganismus ist nur ein kleines Beispiel des aktuellen Trends, unser Leben auf den Wert “Gesundheit” zu reduzieren. Überall kann man lesen, wie ungesund unsere Lebensweise ist. Der Katalog, was man vermeiden und stattdessen tun sollte, wächst dabei ständig an:
- Nicht rauchen, das bewirkt Krebs
- Kein Alkohol trinken, das bewirkt auch Krebs
- Nicht zu spät ins Bett gehen, zu wenig Schlaf ist ungesund
- Weniger sitzen, das ist so schädlich wie rauchen
- Kein Zucker, der macht dick und verursacht Krebs
- Keine Transfette, die verursachen auch Krebs
- Weniger Fleisch, da sind Antibiotika drin
- Weniger Fisch, da sind Schwermetalle drin
- Nur Bio essen, sonst sind Pestizide drin
- Kein Fastfood, da sind Zucker und Transfette drin
- Kein Weißmehl, zu viele Kohlenhydrate
- Kein Honig, wegen des Bienensterbens
- Keine Milch, da sind auch Antibiotika drin
- Keine elektrischen Geräte, wegen des Elektrosmogs
- Kein Auto, denn Abgase verursachen auch Krebs
- Weniger Salz, das führt zu Bluthochdruck
- Bitte nur Naturkosmetik, wegen der Schadstoffe in herkömmlichen Produkten
- Keine Vitamintabletten, denn die sind künstlich
- Fruchtsäfte vermeiden, die haben zu viel Fruchtzucker
- Nicht zu viel Obst, das hat auch zu viel Fruchtzucker
- Weniger vor dem Computer sitzen, das ist schlecht für die Augen und das Gehirn
- Weniger Fernsehen, das ist ebenfalls schlecht für die Augen und das Gehirn
- …
- …
Diese Liste ließe sich noch unendlich fortsetzen und hat auf den ersten Blick vor allem eine Aussage:
Alles, was Spaß macht, modern ist oder gut schmeckt, ist ungesund!
Nun kann man interessanterweise beobachten, dass es viele Menschen gibt, die entweder versuchen, sich an so gut wie alle Punkte zu halten, oder solche, die einfach all diese Punkte ignorieren. Ist das wirklich sinnvoll?
Ist ein langes Leben das Maß aller Dinge?
Denn natürlich kann man es vielleicht schaffen, das eigene Leben um ein paar Jahre zu verlängern. Doch wenn der Preis dafür ist, alle Lebensjahre damit zu verbringen, aktiv darauf hinzuarbeiten, lohnt es sich dann?
Nehmen wir einmal an, wir halten uns an die Vorgabe, 30 Minuten Sport am Tag zu machen. Das wären 3,5 Stunden pro Woche. 14 Stunden im Monat. 336 Stunden im Jahr. Macht 14 komplette Tage im Jahr. Macht 700 Tage in 50 Jahren. Das sind knapp zwei Jahre.
Wir haben dann also zwei gesamte Jahre unseres Lebens mit Sport verbracht, um unser Leben um wieviel zu verlängern? Zwei Jahre?
Ich will natürlich nicht darauf hinaus, dass es sich nicht lohnen würde, Sport zu machen. Denn natürlich sind nicht allein die Anzahl der Lebensjahre entscheidend, sondern die Qualität derselben – und Bewegung kann die Qualität unserer Lebensjahre erwiesenermaßen verbessern. Man sollte jedoch eines nicht vergessen:
Das Leben misst sich nicht in der Anzahl der Atemzüge, die wir machen, sondern in den Augenblicken, die uns den Atem rauben. – Ursprung unbekannt
Wer sich alles verbietet und das Gefühl hat, auf etwas verzichten zu müssen, das er gerne hätte, wird mit diesem Verzicht nicht glücklich werden. Wer sich zu etwas zwingt, das ihm keine Freude bereitet, wird am Leben keine Freude empfinden. Und ein langes Leben lohnt sich ohne Freude nicht.
Der Mittelweg zwischen Hedonismus und Abstinenz: Bewusster Genuss
Ist die Konsequenz daraus purer Hedonismus? Natürlich nicht! Denn die andere Seite der Medaille, in der man unbewusst und unreflektiert lebt, bringt vielleicht momentanen Spaß, aber dafür später massive Probleme für die Gesundheit und außerdem Schaden für Mitmenschen und Umwelt. Und die letzten Lebensjahre dahinvegitieren will man selbstverständlich auch nicht.
Die Lösung ist – wie bei allem im Leben – ein gesunder Mittelweg. Und der fällt vor allem den Deutschen oft schwer. Bürokratisch korrekt machen wir alles ganz oder gar nicht und da wir wissen, dass Kuchen ungesund ist, haben wir sofort ein schlechtes Gewissen, wenn wir ihn gegessen haben. Warum?
Schließlich ist Genuss ein Gut, das genauso wichtig ist wie Gesundheit, und das gar nicht in Konkurrenz mit einem gesunden Leben stehen muss.
Lerne, dein Leben bewusst zu genießen
Viel wichtiger als Verzicht, Abstinenz und Regeln ist es deshalb, die eigene Ernährung und Lebensweise bewusster anzugehen und Genussmomente wahrzunehmen als das, was sie sind: Glücksinseln im Alltag, die etwas besonderes sind und keine Alltäglichkeit.
Das bedeutet:
- Genieße Genussmittel, doch nicht ständig, denn dann ist es nichts Besonderes mehr
- Habe kein schlechtes Gewissen bei Dingen, die dir Spaß machen, doch reflektiere auch darüber
- Freue dich an deinem Leben, doch nicht auf Kosten anderer
- Bewege dich regelmäßig, aber auf eine Art, die dir Spaß macht
- Du musst nicht ständig alles hinterfragen, doch versuche, Achtsamkeit und Bewusstheit in dein Leben zu integrieren. So kannst du gleichzeitig den Moment genießen, aber auch für die Zukunft gewappnet sein
- Mache keine Religion aus deiner Lebensführung und erlaube dir, dich auch mal gehen zu lassen und deine Disziplin schleifen zu lassen – solange du zu ihr zurückfindest
Letztlich musst du deinen eigenen Weg finden, wie du Gesundheit und Glück miteinander kombinieren kannst. Und genau dabei helfen wir dir gerne mit unseren täglichen Inspirationen.