Yoga nidra ist eine Methode zur Tiefenentspannung. Dabei wird jedoch nicht wirklich geschlafen, man bleibt bei klarem Bewusstsein. Yogalehrerin Heike Molitor erklärt, was es mit dem yogischen Schlaf auf sich hat und wie er funktioniert.
Yoga nidra ist eine Entspannungsmethode, die in der heutigen Zeit, in der die meisten Menschen aufgrund starker Belastungen unter vielfältigen Stress-Symptomen leiden, von unschätzbarer Bedeutung ist.
Diese Methode stammt aus den tantrischen Wissenschaften und wurde von Swami Satyanada Saraswati, dem Begründer der Bihar School of Yoga, weiterentwickelt und an heutige Bedürfnisse angepasst. Ursprünglich stammt diese Methode aus der sehr komplexen und umfangreichen tantrischen Übung „nyasa“.
Swami Satyanda Saraswati hat diese Übung systematisiert und für uns in einer kurzen und klaren Zusammenfassung zugänglich gemacht. Es ist eine der wertvollsten Übungen dieser Tradition, die er uns damit zur Verfügung gestellt hat. Damit sie nicht verfälscht oder falsch wiedergegeben wird, ist es sehr wichtig, sie von einem autorisierten Lehrer zu erlernen.
Was genau ist Yoga Nidra?
Yoga nidra ist für jeden geeignet, es bedarf keiner Vorbereitungen. Die Übung wird auf dem Rücken liegend ausgeführt. Nidra heißt wörtlich übersetzt „Schlaf“. Es ist jedoch nicht etwa der Schlaf, den wir kennen, denn der Übende soll während der Übung wach bleiben und sich auf die Stimme und die verbalen Anweisungen konzentrieren.
Der Übende wird behutsam und beschützt durch yoga nidra geleitet und kann sich ganz auf das Hören und das Wahrnehmen einlassen. Das Wachbleiben gelingt dabei zwar nicht immer, wird mit zunehmender Übung aber immer leichter. Das Wesentliche bei yoga nidra ist also, wach und achtsam zu bleiben und trotzdem zu entspannen.
Tiefenentspannung, ohne zu schlafen
Während yoga nidra wird die Wahrnehmung auf verschiedene Körperteile, den Atem, auf Gefühle und Empfindungen und in einer fortgeschrittenen Stufe auf verschiedene Visualisierungen gelenkt. Die Reihenfolge der gesprochenen Anleitung ist systematisiert und festgelegt. Durch die relativ schnelle Folge der Anweisungen kann der Geist (Verstand) nicht abwandern und bleibt wach.
Durch die Konzentration auf das Hören und die Körperwahrnehmung gelangt der Teilnehmer in einen Bewusstseins-Zustand, der zwischen unserem Wachsein und Traumschlaf liegt. Yoga nidra ist also ein Zwischenzustand.
Hier herrschen im Gehirn die Alphawellen (8-13 Hz) vor. Es ist die Grenzlinie zwischen schlafen und wachen, die in der Psychologie hypnagogische Grenzlinie genannt wird. Es ist jener Zustand, den wir im Alltag kurz vor dem Einschlafen oder kurz nach dem Aufwachen erleben.
In yoga nidra versuchen wir, diesen Zustand zu verlängern, denn erst dann ist es möglich, in die tieferen Ebenen des Unterbewusstseins zu gelangen und dort mentale, körperliche und emotionale Anspannungen zu lösen. Durch wissenschaftliche Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass ein tieferer Entspannungszustand erreicht werden kann als durch Suggestion oder Hypnose.
So ist eine Yoga Nidra Stunde aufgebaut
Der Übende wird in festgelegten Stufen und einem systematischen, klaren Aufbau durch die Übung yoga nidra geführt:
- Einleitung
- Entspannung
- sankalpa – der innere Vorsatz
- Kreisen der Wahrnehmung durch den Körper
- Körperwahrnehmung
- Atembeobachtung
- Wahrnehmung von Gefühlen und gegensätzlichen Empfindungen
- Innerer Raum
- Wiederholung des sankalpa
- Abschluss
Ein zentraler Punkt ist das Kreisen der Wahrnehmung durch den Körper. Jedes in einer bestimmten Reihenfolge mental berührte Körperteil hat eine Entsprechung auf der senso-motorischen Hirnrinde. Durch die Entspannung bestimmter Körperteile und des ganzen Körpers entsteht eine Trennung des Bewusstseins von den senso-motorischen Wahrnehmungskanälen und die Sinne ziehen sich von den Sinnesobjekten zurück. Tiefe Entspannung wird möglich.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Formulierung eines sankalpa, einem Vorsatz, einem Entschluss. Das, was in unserem Leben wichtig ist und was wir verändern wollen, wird als kurze, positive Affirmation formuliert. Es ist eine ganz persönlich Chance, positive Veränderungen in unserem Unterbewusstsein zu verankern, die besonders in der Alphaphase gute Aufnahmebereitschaft findet.
Die Wirkung von Yoga Nidra
Yoga nidra gilt aufgrund der stark stressmindernden Faktoren als eine der wichtigsten Übungen in der heutigen Zeit. Es ist ein Übungsweg, der uns hilft, unsere Wahrnehmung in einen Zustand der tiefen Entspannung zu bringen. Eine mentale, körperliche und emotionale Gesundheit braucht eine Balance zwischen innen und außen. Meist agieren wir nur im Außen und finden kaum Zugang zu unserem Inneren.
Mit yoga nidra haben wir ein kraftvolles Instrument, über die Entspannung und Harmonisierung unseres Geistes an unser innerstes Bewusstsein zu gelangen und dort einen Heilprozess in Gang zu setzen. Festsitzende Verspannungen in unserem Körper und in unserer Persönlichkeit haben die Möglichkeit, sich zu lösen.
Yoga nidra schult unsere Bewusstheit und unsere Achtsamkeit, unseren Blick nach innen. Durch den in yoga nidra erreichten Alphazustand können wir in die tiefen Schichten unseres Seins gelangen. Dann ist tiefgreifende Heilung auf allen Ebenen (körperlich, mental, emotional) möglich.
Yoga nidra führt zu einer körperlichen und emotionaler Ruhe und Ausgeglichenheit, zu mentaler Klarheit und Stärkung von Konzentration und Gedächtnis und damit schließlich zu Harmonie mit uns selbst.