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Yogaboom in Deutschland: 10 Gründe, warum du Yoga ganz neu überdenken solltest

Yoga kommt derweil in allerlei hübschen Verpackungen daher. Doch nicht die Form zählt, sondern der Inhalt. Eine Rückbesinnung.
von Annette Coumont
Missverständnisse über Yoga© VRD - Fotolia.com

Yoga macht bald jeder – könnte man glauben. Zumindest, wenn wir uns auf die Oberfläche unserer multimedialen Bilderwelt begeben. Kaum ein Buch- oder Magazincover, Unternehmen oder Promi, das/der sich den Yogatrend nicht in irgendeiner Form zu Nutze macht. Stets farbenfroh präsentiert, mit modischen Assecoires geschmückt, von prominenten Lehrern präsentiert und trendigen Leuten praktiziert, als Verkaufvehikel in der Werbung und Versprechen für die Gesundheit, kommt das moderne Yoga daher. Aber sehen wir vielleicht den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr? Es gibt nämlich mindestens 10 Gründe, warum wir die Erscheinungen von Yoga einmal gründlich überdenken sollten.

1. Yoga ist ein neuer Markt für Angebote und Produkte

Yoga ist zum Konsumgut geworden. Laut einer Studie des Berufsverbandes Deutscher Yogalehrer praktizieren über 2,6 Millionen Menschen in Deutschland bereits Yoga – Tendenz stark steigend. Ein großer und bunter Angebotsmarkt von Yogaschulen, Programmen, Kursen, Zeitungen, Ausstattungen, Mode, Seminaren, Ausbildungen, Reisen und vielem anderem mehr ist entstanden. Wie auf jedem Markt versuchen die Verkäufer, möglichst viel von ihrem Produkt zu verkaufen.

Dafür ist heutzutage die attraktive Verpackung/Design und die lockende Werbung besonders wichtig. Und dies sind ihre Versprechen: Kauf dir Yoga – werde glücklich, werde entspannt, werde gesund, gewinne Klarheit und Ruhe, finde dich selbst, lebe im Einklang mit dir selbst und so weiter.

Aber aufgepasst: Lass’ die Versprechen außen vor und die Verpackung nicht zum Inhalt werden und schaue dir genau an, was Yoga eigentlich ist.

Dann wirst du sehen: Yoga entzieht sich allem materiell-zielorientierten Handeln und hat nichts mit bunten Logos, hübschen Yogalehrern oder tollen Yogaklamotten zu tun. Yoga frei von Zielorientierung zu praktizieren ist ein Gegenpol zu unserem sonstigen Handeln in unserer konsumorientierten Gesellschaft.

Nutze Yoga ganz für dich, frei von Konsumzwängen. Wenn du Yoga zielfrei praktizierst, dann kommen die gewünschten Effekte von ganz alleine zu dir, denn auch hier gilt ganz besonders “best things in life are free” (Original Song Ray Henderson, 1927)!

2. Mit Yoga kann man toll werben – auch für Autos, Handys und Versicherungen!

Weil so viele Menschen Yoga toll finden, nutzen große Unternehmen unsere Sehnsucht nach Freude, Glück oder Entspannung für ihre Verkaufszwecke. Sie schmücken ihre Produkte mit dem Spirit von Yoga und präsentieren uns yoga-praktizierende Menschen im Zusammenhang mit ihren Produkten.

Denn neben dem “Greenwashing”, durch das Unternehmen versuchen, ihren Produkten einen umweltfreundlichen grünen Anstrich zu verleihen, ist der Trend zu einer achtsamen und bewussten Lebensführung mittlerweile ein ebenso erfolgsversprechendes Verkaufsvehikel für Autos, Handys, Versicherungen oder Haushaltsprodukte. Was Yoga mit Konsumgütern zu tun hat? – Gute Frage. Gar nichts natürlich.

Yoga ist Yoga ist Yoga, es ist zweckfrei und so sollte es auch bleiben. Es ist wie mit der “art pour l`art” , der Kunst um der Kunst willen, die ebenfalls keinem Zwecken dienen sollte, um Kunst zu sein. Daher frage dich, wie du der Verzweckfremdung von Yoga und der Verunglimpfung durch Werbung am besten entgehen kannst!

3. Yogalehrer kann eigentlich jeder werden!

Kennst du auch jemanden, der gerade eine Yogaausbildung macht? Der Markt für Ausbildungen und Seminare, bei denen man sich zum Yogalehrer ausbilden lassen kann ist groß und unübersichtlich. Fast jede Yogaschule bietet mittlerweile Ausbildungsgänge an, manchmal ein paar Wochen lang, manchmal ein Jahr, manchmal über zwei oder vier Jahre.

Einige Schulen sind größeren Verbänden, wie zum Beispiel dem BDY (Bund Deutscher Yogalehrer) oder Yoga Vidya e.V. angeschlossen. Andere geben sich eine eigene Verfassung und kreieren Ausbildungen und Standards nach ihrem Gusto.

Je populärer oder hipper die jeweiligen Schulen sind, desto mehr Ausbildungen können sie anbieten und an Schüler verkaufen. Aber woran erkennt man nun, dass man einen guten Yogalehrer vor sich hat, der gut ausgebildet wurde und Ahnung hat?

Denn es gibt keine allgemeingültigen Standards, die einen objektiven Blick auf einen Yogalehrer zulassen, wie dies zum Beispiel bei Ärzten oder Physiotherapeuten möglich ist. Es gibt auch keine Zutrittsbarrieren, denn jeder, der Yoga macht, kann auch eine Ausbildung zum Lehrer machen. Das ist zwar für jedermann toll, aber ist jeder auch wirklich dafür geeignet?

Schaue dir gut an, wie glaubwürdig dein/e Yogalehrer/in ist, wie und wo hat er sich ausbilden lassen, ist er auch anatomisch und philosophisch geschult? Geht er auf deine individuellen Bedürfnisse ein? Hast du ein gutes Gefühl bei ihm/ihr und nach dem Yoga?

4. Yoga kann auch schädlich für die Gesundheit sein

Es ist nicht neu, dass Yoga auch oft mit Verletzungen einhergeht. Zwar gibt es viele positive wissenschaftliche Nachweise, die einen gesundheitlichen Einfluss von Yoga belegen. Diese sind aber vor allem dazu gut, den aktuellen Yoga Trend und eine bewusstere Lebensführung zu stärken. Ärzte und Phyisiotherapeuten wissen dagegen: Yoga birgt viele Gefahren für nachhaltige Verletzungen von Gelenken, Muskeln und Gewebe.

Manch einer kennt gewiss die im Yoga vorherrschende Meinung: Es hängt von der eigenen Yoga-Praxis ab, also davon, wie du Yoga praktizierst, ob du dich dabei schädigst oder nicht. Du bist also letztendlich selbst dafür verantwortlich, wenn dir beim Wirbelsäulentwist ein Wirbel rausspringt, du dir das Kniegelenk im Lotussitz unverhältnismäßig überdehnt hast, oder dein Rücken wehtut, wenn du zu viele Vorbeugen machst (von denen dir dein Physiotherapeut eigentlich abgeraten hatte).

Bei jeder anderen körperlichen Betätigung kann man sich natürlich ebenfalls verletzen. Aber die fremdartigen Beugen, Twists und Dehnungen im Yoga sind nunmal eine besondere Herausforderung für unseren Körper.

Die Übungen im Yoga sind für die meisten westlichen Menschen erst einmal sehr ungewohnt. Daher versuche mit deinem Yogalehrer oder deinem Arzt/Therapeuten vorher genau abzuklären, welche Übungen du machen kannst und welche nicht. Vermeide alle Bereiche, die Schmerzen auslösen!

5. Yoga ist indische Gymnastik, aber auch eine Mutprobe

Manch einer fragt sich, wie die Inder bloß auf diese umständlichen gymnastischen Verrenkungen gekommen sind. Sie müssen sehr viel Zeit gehabt haben, um die zahlreichen Körperhaltungen zu ersinnen. In Lehrbuch “Licht auf Yoga” von B.K.S. Iyengar, sind bereits über 200 verschiedene Haltungen beschrieben.

Und die Asanas (Körperhaltungen) des Yoga erstaunen in ihrer Vielfalt und Kreativität. Es ist zweifelsohne eine eigene respektable Körperkunst, die Yoga hervorgebracht hat und ihre Beherrschung erfordert tatsächlich viel Mühe und Gelassenheit. Und geht es nicht genau darum im Yoga: es einfach zu tun, trotz großer Mühe? Und dabei gelassen bleiben?

Manch einem mag es immer noch wie indische Gymnastik vorkommen, aber die Überwindung unserer menschlichen Hindernisse, wie zum Beispiel der Faulheit, der Angst oder des Übereifers sind notwendig, wenn man sich an die Haltungen wie Krähe, Kopfstand oder das Boot wagt!

6. Yoga ist ein Lifestyle

Dana Flynn, Bryan Kest, Kino MacGregor, Meghan Curry, David Lurey,… – die hippen amerikanischen Yogis. Anna Trökes, Gabriela Bozic, Dr. Patrick Broome, Volker Mehl,… – die deutschen Yogastars. Kaum ein Markt kommt wohl ohne seine Stars und Vorbilder aus, die wie diese sendungsbewusst auf Kongressen, Festivals und in Yogaschulen auftreten, eigene Bücher schreiben, Interviews geben und die Masse der Yogaanhänger mitziehen.

In der indischen Yoga-Tradition waren es einst die Gurus, Lehrer, die wenig sprachen und die man finden und dazu bringen musste, um bei ihnen etwas über Yoga zu lernen. Schüler waren meist Aussteiger und Außenseiter der westlichen Gesellschaft, denn Yoga wurde erst in den 70er Jahren im Westen durch die meist belächelten “Hippies” und “Esos” richtig bekannt.

Wer heute Yoga macht, ist dagegen gesellschaftlich voll anerkannt. Und je nachdem wo und welche Yogaart er bei welchem Lehrer betreibt, ist er sogar voll Trend. Denn Yoga ist ein Lifestyle, zu dem auch ein gewisses Design, entsprechende Farben, ein modischer Style sowie der Besuch von Retreats und Festivals gehört.

Yoga ist Yoga ist Yoga – Lifestyle hin oder her. Willst du trotzdem vor allem rein optisch dazugehören? Dafür gibt es viele tolle Shops und Ausstatter im Internet, die dir die richtige Verpackung zu deinem Yoga verleihen.

7. Yoga ist Artistik und Körperkunst

In der Yogaszene gibt es so manche begabte Körper, die eigentlich im Zirkus auftreten können, wie eine Schlangenfrau oder ein Artist eben. Oft sehen diese Yogaartisten auch ganz toll aus, haben schlanke, muskulöse Körper und werden aufgrund der optisch eintretenden Verzückung auch schnell zum Objekt von Foto- und Videokunst, die wiederum zahlreich im Internet und auf Videos bestaunt werden kann.

Hut ab vor dieser ästhetischen Körperkunst! Nicht umsonst sind es meist Tänzer oder andere turnerisch begabte Leute, die ihre Profession ab 30 im Yoga suchen, weil vielleicht die tänzerische oder sportliche Karriere in diesem Alter schon oft beendet ist. Aber hat es nicht irgendwie auch etwas eitles, effektheischerisches – und passt das überhaupt zum Yoga in seiner ursprünglichen Form?

Ob es noch Yoga ist, was wir da bestaunen können, oder doch schon eher Kunst, bleibt also offen. Fest steht: Beim Yoga sollten wir weder in den Spiegel schauen, noch auf die Körperkunst anderer, sondern nur ganz auf uns selbst!

8. Woodstock war einmal – Sind die Yogis die neuen Hippies?

“Love is our Religion” – unter diesem Motto stand die diesjährige Yoga Conference Germany in Köln, eine von mehreren jährlichen großen Konferenzen, die rund um das Thema Yoga stattfinden. Irgendwie erinnert das Motto doch noch an etwas anderes… ja genau: an “Love, Peace and Harmony” der einstigen Hippies.

Und nicht nur das Motto erinnert daran, sondern auch der ganze Habitus: Viele Menschen, in dem Fall die Yogis auf der Konferenz, sind von dem Gedanken beseelt, Liebe sei die einzig wahre Bestimmung und feiern diese Erkenntnis gemeinsam unter sich ab. Es ist nichts Falsches daran, an die Liebe zu glauben und Liebe zu geben und zu empfangen, es ist toll und sogar fast beschämend, wenn man dazu selbst nicht in der Lage ist. Denn es scheint ja wirklich glücksspendend zu sein, schaut man sich die Gesichter und die Freude der Teilnehmer an.

Irgendwie erinnert es aber auch an Woodstock, zumindest die Älteren unter uns. Aber da war irgendwas anders. Ach ja: Die Hippies von einst haben Drogen genommen und dem Rausch gefrönt. Das tun die asketischen Yogis nicht, denn die Ekstase ist der Einklang. Aber wollten die Hippies nicht vor allem auch Frieden auf der Welt? – “Peace” wäre also in Anbetracht der aktuellen Weltlage doch auch mal ein schönes Motto für die nächste Yoga Konferenz!

9. Wir sind schon alle Omline

Es gab einen schönen Artikel dazu in der Wochenzeitung “Die Zeit” (Ausgabe 13/2014: /http://www.zeit.de/2014/13/netzkapitalismus-silicon-valley). Yoga und Meditation sind längst nicht nur mehr für die persönliche Sinnsuche zuständig. Sie sind ein echtes Arbeitsinstrument geworden.

Silicon Valley, wie immer Vorreiter in allen Bereichen wirtschaftlichen Schaffens, ist ein einziges Meditationszentrum. Kaum einer dort, der sich nicht zur höchsten Leistung hinmeditiert und mithilfe von gesteigerter Konzentration und gedrosseltem Stresspegel neue kreative Ideen entwickelt.

Es gibt mit Wisdom 2.0 sogar eine eigene Konferenz zu dem Thema, die die gesellschaftliche Transformation mit der Durchdringung von Meditation in der Wirtschafts- und Arbeitswelt erreichen will. Dazu sagt Bill Ford, Executive Chairman der Ford Motor Company, auf der Homepage von wisdom 2.0 : “I think this conference — and the idea behind it — is brillant!!” Wirklich?

Meditation ist, das weiß jeder Yogi, die Masterclass des Yoga. Sie ist die vorletzte Stufe auf dem 8-fachen Pfad (ashtanga) des Yoga nach Patanjali. Sie macht uns ruhig und klar, konzentriert und wach. Ob wir diese Schätze unseres persönlichen Seins wirtschaftlich zweckentfremden lassen liegt ganz bei uns. Spätestens mit der 8. Stufe des Yoga, der vollkommenen Erleuchtung, werden wir es wissen.

10. Yoga füllt eine Sinnkrise

Wer kennt einen Muslim, der Yoga macht? Wenn man sich so umschaut, sieht es rar aus mit praktizierenden Yogis dieser Religionsrichtung. Selbst die Hindus (Inder) praktizieren immer weniger Yoga. Nur die mittlerweile zu großen Teilen bereits atheistisierte Christenheit scheint ganz besonders auf diese Form des spirituellen Umgangs mit sich und der Welt zu setzen. Was läuft da?

Man muss kein Soziologe oder Religionswissenschaftler sein, um zu sehen, dass Yoga – mehr als nur Sport! – ein spirituelles Gap in unserer Gesellschaft füllt. So hingebungsvoll geturnt, geatmet, gesungen und Om (statt Amen) getönt, wurde schon lange nicht mehr für eine Sache, die Sinn stiften soll.

Und Yoga und Meditation sind wirklich gute Techniken für ein spirituelles Erleben, dienten sie einst ja auch auf dem mythischen zugehörigen Weg ihrer Grundreligion (des Hinduismus) als Erfahrungsweg zu Gott. Es gibt daher auch wissende gläubige Christen, die Yoga oder die christliche Kontemplation als ihren Erfahrungsweg zu Gott wählen.

Für die meisten Atheisten oder Sonstwasgläubigen aber ist die Hingabe an die eigene Yogapraxis mit Selbstbezug immer mehr eine sinnvolle Alternative zu dem Grundrauschen der Leere, das uns in unserer mehr und mehr religionslosen Welt voller künstlicher Konsumsymbole mit wechselnder Bedeutungslosigkeit entgegenschallt.

Omen!

Autorin: Annette Coumont
Annette Coumont bietet Content Marketing für Themen rund um Nachhaltigkeit und bewusstes Leben. Sie ist Mit-Gründerin von evidero Ansprechpartnerin für Partner und Experten, die über redaktionelle Formate im Netz sichtbar werden wollen.