Ist es wirklich möglich, vom aggressiven Gewalttäter zum heilbringen Yogalehrer zu werden? Und anderen Menschen mit der eigenen Geschichte Mut zu geben und zu stärken? – Wir haben eine große Skepsis gegenüber einstigen Gewalttätern. Doch Psychologen und Neurowissenschaftler sind sich überwiegend einig, dass fast jeder Mensch sich noch ändern kann, wenn ihm im Leben die richtigen Heilungschancen und Änderungsoptionen begegnen. Dieter Gurkasch, Yogalehrer, Lebensberater und Autor des Buches “Leben Reloaded” sind sie begegnet: In Form von Yoga und Liebe!
Hintergrund: Wie Dieter Gurkasch der wurde, der er heute ist
Dieter Gurkasch, ehemaliger Straftäter, wurde zu langjähriger Freiheitsstrafe wegen Raub und Mord verurteilt. Nachdem er bei einer Schießerei lebensgefährlich am Herzen verletzt wurde, war er jäh von innerem Zorn und Aggression geheilt. Danach gründete er mit anderen Yogalehrern YuMiG (Yoga und Meditation im Gefängnis) und bietet dort als Lehrer selber Kurse für Häftlinge an.
Sein Leben und seine Geschichte hat er in seinem Buch “Leben Reloaded” festgehalten. Daraufhin ist eine mediale Flut über ihn gekommen. Die meisten Medien haben seine Geschichte als echte Story erkannt und intensiv darüber berichtet. Viele haben sich kritisch damit beschäftigt, ob ein ehemaliger Straftäter wirklich eine Verwandlung zu seinem Gegenteil – zum friedlichen liebenden Yogalehrer und Lebenscoach vollziehen kann. Wir stellen Dieter Gurkasch und seine Geschichte im folgenden Interview vor.
Das Interview führt Annette Coumont
Lieber Dieter, in deinem ehemaligen Leben warst du ein Straftäter. Wie gehst du mit den typischen Vorurteilen um, die dir im Umgang mit anderen Menschen immer wieder begegnen?
Tatsächlich ist es so, dass mir in realen Begegnungen, also direkt von Mensch zu Mensch, eher selten Vorurteile begegnen, die sich direkt auf meine Vergangenheit beziehen. Dies ist eher der Fall bei Menschen, die sich gerne dazu hinreißen lassen, unter einem Pseudonym Kommentare zu Artikeln in Zeitungen oder Fernsehsendungen zu schreiben, so dass mich diese Äußerungen nicht wirklich mitnehmen.
Außerdem ist es ja auch so, dass fast niemand von uns völlig frei von Vorurteilen ist, weshalb ich auf lange Sicht immer darum bemüht bin, die Menschen in ihrer eigenen Sicht der Dinge zu respektieren.
Du stehst zu deiner Geschichte. In deinem Buch “Leben Reloaded” und auf deiner eigenen Website berichtest du offen, frei und ausführlich darüber. Ist es deine große Authentizität, die dich als Geläuterter glaubwürdig macht?
Es war eine ganz bewusste Entscheidung von mir, mit meiner Geschichte an die Öffentlichkeit zu gehen. Einmal würde ein Verheimlichen meiner Lebensgeschichte ja bedeuten, dass ich den größten Teil meines Erwachsenenlebens als „unteilbar“ von mir abspalten würde, was sicherlich nicht zu meiner psychischen Gesundheit beitragen würde.
Zum anderen weil es mir ein tiefes Herzensbedürfnis ist, über die Gnade zu berichten, die ich erfahren durfte. Diese hat in mir den Wunsch entstehen lassen, in den Menschen die Hoffnung zu bestärken, dass die Liebe mit weit ausgebreiteten Armen auf jeden einzelnen von uns wartet – und wenn wir nur einen einzigen Schritt in ihre Richtung tun, dann nimmt sie uns an der Hand und führt uns, so dass unser Lebensweg ein konstruktiver werden kann. Die Authentizität eines Menschen entsteht ganz einfach daraus, dass er er selbst ist.
Bei einem Überfall hast du eine Frau tödlich verletzt. Kannst du uns frei und offen sagen, was der Grund deiner Verfehlungen bis hin zu einem Mord war? Warum kann es in einem Menschenleben so weit kommen?
Sicherlich würde es viel zu weit führen, wenn ich hier jetzt im einzelnen detailliert aufführen würde, was mich in einem so desolaten psychischen Zustand gebracht hat, dass ich in der Lage war, eine solche Gewalttat zu begehen. Wer sich dafür näher interessiert, der wird alle relevanten Informationen entweder in meinem Buch oder in den diversen Interviews finden können.
Grundsätzlich ist es aber so, dass sich letztendlich hinter jeder destruktiven Tat in der Tiefe immer Schmerz verbirgt – sie ist immer der Ausdruck eines Mangelzustandes, eines Getrenntseins von der Liebe und unserem wahren Sein.
Du wurdest bei einer Schießerei lebensgefährlich verletzt und hast überlebt. Wie kam es, dass der Zorn danach völlig von dir abfiel?
Dafür gibt es unterschiedliche Erklärungsansätze. Mein ehemaliger Psychotherapeut meinte zum Beispiel, dass das Todeserlebnis für mich so etwas wie der Resetknopf beim Computer gewesen sein könnte, also durch das völlige Herunterfahren des Systems und dem Neustart auch die Chance da war, auf vorhandenen Ressourcen aufzubauen.
Eine spirituelle Sichtweise könnte davon ausgehen, dass ich in meiner Kindheit sehr destruktive Geistwesen zu mir gerufen habe, die sich dann an meine Seele angebunden haben und erst wieder von ihr geflüchtet sind, als mein sterbendes System drohte, sie mit über die Schwelle zu reißen.
Tatsächlich habe ich selber keine Ahnung, was tatsächlich passiert ist – ich habe zwar eine sehr spirituelle Sicht, auch auf das materielle Universum, aber es hat wohl auch seinen Grund, warum ich mich nicht an die genauen inneren Vorgänge erinnern kann. Im Nachhinein ist es für mich einfach eine Gnade (auch wenn ich das in den ersten Wochen danach ganz und gar nicht so empfinden konnte), die vorbereitend dafür notwendig war, dass ich meinem Leben eine neue Richtung geben konnte.
Du lebst und arbeitest nun mit sehr viel positiver Energie als Yogalehrer und Lebenscoach. Es scheint, als sei die Intensität deiner Gefühle nun ins Gegenteil umgeschwenkt: von aggressivem Zorn zu intensiver Liebe. Ist das die Gnade?
Nach meiner Betrachtungsweise hat die Gnade bereits viel früher eingesetzt – für mich stellt es sich so dar, dass ich ja nach wie vor dieselbe Person mit den gleichen Anlagen bin, die ich auch in den destruktiven Phasen meines Lebens gewesen bin. Nicht die Kraft oder die Energie, die in einem Menschen wohnt, macht aus, wie er auf seine Umwelt wirkt, sondern sein Umgehen mit diesen Energien und dieser Kraft.
Und wenn man als Mensch erst mal seine wahre Kraft gefunden hat, dann hat man destruktives Verhalten nicht mehr nötig, da man erkannt hat, dass Liebe unsere wahre Natur ausmacht und Glück bedeutet, dass wir in dieser Liebe leben und wirken können.
Du warst lange Jahre im Gefängnis. Wie und wann bist du dem Yoga dort zum ersten mal begegnet?
Tatsächlich bin ich Yoga schon sehr früh im Gefängnis begegnet, schon in den späten achtziger Jahren war ich mit einem Yogi befreundet, mit dem ich zusammen auch mal ein Übungsprogramm absolviert habe. Und auch später in den neunziger Jahren, als ich in der Sozialtherapie war, habe ich an einem Yogakurs teilgenommen. Doch damals war ich noch lange nicht so weit, und so habe ich dieses Werkzeug bald wieder aus der Hand gelegt.
Erst als ich nach meiner erneuten Verurteilung mit der Aussicht, bis zum Ende des Jahres 2021 im Gefängnis bleiben zu müssen, und im Angesicht einer Möglichkeit, aus dem Gefängnis auszubrechen, feststellte, dass ich dies eigentlich gar nicht mehr wollte, war die innere Erschütterung groß genug, um die ersten Ansätze einer Weichenstellung zu einer Neuorientierung zu legen.
Dann hat mir das Leben meine Frau gewählt, um mir wieder einmal diese wunderbare Technik der Transformation nahezubringen. Das Leben macht uns ja immer wieder solche Angebote, lässt jedoch letztendlich immer unseren freien Willen entscheiden, ob wir diese annehmen wollen oder nicht.
Was ist Yoga für dich? Welcher Philosophie, welchen Stil (be-)folgst du in deiner eigenen Praxis?
Yoga ist in meinen Augen ein Werkzeug. Ein Werkzeug, das sehr erfolgreich dafür eingesetzt werden kann, die Lebenskraft im Menschen zu stärken und für Verbindung zu sorgen – für Verbindung zwischen Körper und Geist und für Verbindung zwischen unserer Seele und Gott (oder dem Universum, oder der Liebe, oder dem Leben an sich – egal wie du diese uns alle verbindende Kraft gerne nennen möchtest).
Da ich Yoga ja aus vielen unterschiedlichen Büchern gelernt habe, bin ich also quasi traditionslos im Yoga großgeworden und hatte so die Möglichkeit, mich aus dem reichhaltigen Fundus der unterschiedlichen Stile mit dem zu bedienen, was mir selbst am tauglichsten erschien. Daher bezeichne ich mich selbst gerne als „Fusions Yogi“. Als Lehrer-Persönlichkeit hat mich am allermeisten mein guter Freund Patrick Broome beeindruckt und mein spiritueller Leitstern ist eindeutig Jesus Christus. JC ist einfach cool!
Als Mitgründer des Vereins YuMiG e.V. unterstützt du nun Straftäter im Gefängnis durch Yoga. Warum ist das in deinen Augen wichtig?
Dafür gibt es vielfältige Gründe. Hauptsächlich folge ich einer Vision. Irgendwann habe ich einfach den überwältigenden Wunsch in meinem Herzen gespürt, Yoga und Meditation als ein niederschwelliges Therapieangebot in die deutschen Gefängnisse zu bringen.
Das hängt sicherlich auch mit meiner Geschichte zusammen – damit, wie sehr Yoga mir selbst in meiner persönlichen Entwicklung hin zur Freiheit und zur Liebe geholfen hat, mit all den Menschen, die ich im Gefängnis und den Verbrechen, die ichdi gesehen habe…
Doch es gibt für mich auch ganz praktische, gesamtgesellschaftliche Ansätze, denn so wie es für den Einzelnen nicht zur Heilung führen kann, wenn er Anteile seiner Persönlichkeit abspaltet und in die unbewussten Gefängnisse seiner Psyche sperrt, so ist es auch für uns als Gesellschaft nicht heilungsfördernd, wenn wir uns nicht darum bemühen, die destruktiven Elemente in uns zu sehen, zu versuchen zu verstehen, zu integrieren und damit letztendlich zur Heilung unserer Gesellschaft als Ganzes beizutragen.
Der Strafvollzug in Deutschland verschlingt jährlich Milliardenbeträge und produziert dabei eine Rückfallquote von ungefähr 70 Prozent. Darunter leiden nicht nur die inhaftierten Menschen und deren Angehörige sowie die Bediensteten und deren Angehörige, sondern alle Menschen, die damit mittelbar in Kontakt stehen – und sei es durch die Straftaten der erneut straffälligen Täter.
Da ich nicht an die Sinnhaftigkeit des Systems Strafvollzug in Deutschland glauben kann und auf der anderen Seite davon überzeugt bin, dass es nicht hilfreich sein kann, unerwünschte Situationen zu „bekämpfen“, gehe ich davon aus, dass es der hilfreichste Weg sein kann, positive Aufmerksamkeit auf dieses System zu lenken und in dem Rahmen Hilfe anzubieten, in dem ich mich persönlich auskenne.
Ein letzter Tipp von dir für unsere Leser: Was kann Yoga uns fürs Leben lehren?
Über die immensen positiven Wirkungen von Yoga auf die menschliche Psyche und den menschlichen Körper gibt es inzwischen ungezählte Studien – für mich persönlich aber sind die herausragendsten, dass Yoga eine große Quelle für physische und psychische Kraft ist und uns die Möglichkeit verschafft, mit uns selbst, unserem wahren Sein in Kontakt zu treten.
Wenn wir nur bereit sind, die ersten kleinen Schritte in eine regelmäßige Praxis zu tun, dann können wir uns getrost in die Führung des Lebens hinein fallen lassen und darauf vertrauen, dass immer mehr unser Herz zum Kompass unseres Lebensweges werden wird.
Lieber Dieter, vielen Dank für dieses Gespräch!