Yoga kommt aus Indien, das philosophische Konzept von Yin und Yang aus China. Yin Yoga, auch taoistisches Yoga genannt, vereint beide Lehren zu einem heilsamen Weg der Akzeptanz. Biff Mithoefer, Yin Yogalehrer und Schamane, erklärt, wie die Verbindung der taoistischen Sichtweise mit ruhigen und sanften Yogaübungen uns heute helfen kann, einen dauerhaften Friedensvertrag abzuschließen: Mit uns selbst und der Welt.
Für mich ist der einzige Grund, Yoga zu praktizieren, ein wenig mehr Heilung und Frieden in die Welt zu bringen. Die taoistische Tradition lädt uns dazu ein, uns für ein Leben der Verbindung und des Dienens zu öffnen. Das “Hua Wu Ching”, das als zweites schriftliches Werk von Laotse angesehen wird, beginnt mit diesem Leitfaden (Sutra).
Annehmen, was ist: Der Weg zu innerem Frieden und Reichtum
Ich lehre den Integralen Weg der Verbindung mit dem großen und geheimnisvollen Tao: Diejenigen, die die ganze Wahrheit wissen möchten, widmen sich mit Freude der Arbeit und dem Dienst, die das Leben für sie bereit hält. Ist die Arbeit erledigt, kümmern sie sich freudvoll um sich selbst, in dem sie sich reinigen und nähren. Nachdem sie für die anderen und sich selbst gesorgt haben, wenden sie sich den Lehren des großen Meisters zu. Dieser einfache Weg führt zu Frieden, Tugendhaftigkeit und Reichtum.
Für viele von uns klingt dies genau umgekehrt zu dem, was wir gewöhnt sind. Die Wahrheit der Worte liegt darin: Dinge so zu akzeptieren, wie sie sind und für unsere Mitmenschen zu sorgen, eben das ist unser spiritueller Weg. Nur darüber zu reden, nett und hilfsbereit zu sein, hat keinerlei Bedeutung, bis wir es tatsächlich in die Tat umsetzen. Dazu lädt Laotse uns ein.
Frieden für die Welt: Mit Selbstlosigkeit für andere sorgen
Der chinesische Philosoph soll im sechsten Jahrhundert vor Christus gelebt haben. Seine Worte sind nach wie vor eine Inspiration: Er sagt, um die ganze Wahrheit dessen zu begreifen, was es heißt, Mensch zu sein, müssen wir mit Freude die Arbeit und den Dienst akzeptieren, die uns das Leben gibt. Das bedeutet, nicht nur die guten und leichten Aufgaben oder Menschen anzunehmen, sondern einfach alles, was das Leben mit sich bringt. Das ist die Essenz von Akzeptanz. Bei der Praxis des “Annehmens, was ist”, geht es in erster Linie darum, uns um andere zu kümmern. Wir nehmen, was uns gegeben wurde, um für das Wohl aller Wesen zu sorgen, nicht nur für uns selbst.
Egoistisch oder in Verbindung leben: Die innere Absicht macht den Unterschied
Natürlich ist das Leben nicht immer so einfach. Manchmal versuchen wir einfach nur zu überleben und dann sind wir gerade noch in der Lage, für uns selbst zu sorgen und das ist in Ordnung. Aber das wahre Wesen von “anderen dienen”, also für andere sorgen, ist die Absicht. Die Frage ist, welche Intention steht hinter unserem Handeln? Wenn wir für uns sorgen, um die Bedürfnisse unseres Egos – unseres Stolzes, unseres Ehrgeizes, unserer Neigungen und Abneigungen – zu erfüllen, dann befinden wir uns nicht auf einem Weg, der uns dem Tao oder uns selbst näher bringt. Wenn wir jedoch für uns sorgen, damit wir eine positive Kraft in dieser Welt sein können, dann ist die Absicht allein völlig ausreichend.
Akzeptanz üben: In Kontakt mit unseren Yin Anteilen treten
Diese Absicht, Heilung in die Welt zu bringen, beginnt dort, wo Akzeptanz geübt wird. Für mich ist Yin Yoga die Praxis der Akzeptanz. Um das zu verstehen, ist es wichtig, das taoistische Konzept von Yin und Yang zu begreifen. Yin und Yang repäsentieren die scheinbare Dualität des manifestierten Universum: Alle Materie enthält beides: Yin und Yang. Auf der emotionalen Ebene steht Yang für den Teil in uns, der Änderung braucht und etwas möchte, der Teil, der weiterstrebt. Yin dagegen ist der Teil in uns, der weiß, dass die Dinge ihren Lauf nehmen und sich so entwickeln, wie sie es sollen. Die Yin-Anteile in uns akzeptieren die Dinge genau so, wie sie sind. Die Welt und wir selbst benötigen eine Balance zwischen diesen beiden Aspekten unseres Seins.
Ewige Unzufriedenheit: Ein Zeichen für zu viel Yang
Wenn unser Yang Wesen nicht durch unsere Yin Natur ausbalanciert wird, dann werden wir unzufrieden mit uns und der Welt, so wie wir sie sehen. Unser ständiges Streben, das der Welt sehr dienlich sein kann, verliert seine gute Absicht, sein Herz, und wird aggressiv, oft zerstörerisch. Buddhisten würden vielleicht sagen, dass unsere unausgewogene Yang Natur unser hungriger Geist wird: Wir können in dieser Disbalance niemals zufrieden mit uns selbst sein. Wir müssen anders sein, “besser”.
Nach meiner Erfahrung leidet die ganze Welt unter dieser Disbalance. Dieses persönliche Empfinden von Unzufriedenheit und Nicht-Annehmen ist nicht nur im Denken verankert, sondern wird bis in den Körper transportiert: Jedes Mal, wenn wir gesagt bekommen oder uns selber sagen, dass wir anders sein sollten, registriert und speichert unser Körper diese Information.
Uns selbst akzeptieren: Ich bin okay, wie ich jetzt bin
Yin Yoga hilft uns, uns mit den tiefsten Yin Anteilen unseres emotionalen und körperlichen Seins zu verbinden. Indem wir uns in den Haltungen akzeptieren und indem wir unserem Körper erlauben, seinen eigenen, natürlichen Mustern zu folgen, können wir beginnen, unseren Geist für die Möglichkeit zu öffnen, dass wir tatsächlich einfach okay sind, so wie wir sind. Unser Körper kann all die Geschichten loslassen, die uns nicht mehr dienen. Wir können anfangen, zurück in unsere Balance zu finden. Wir können beginnen, uns selbst anzunehmen.
Yin und Yang in Balance: Mit offenem Herzen dem Leben begegnen
In schwierigen Momenten meines Lebens wollte ich immer, dass die Dinge anders sind. Bei dem Gedanken an die Vergangenheit habe ich Bedauern empfunden, und ich habe davon geträumt, dass die Zukunft anders aussehen würde. Ich habe versucht, überall zu sein, nur nicht in dem Moment, nicht in der Gegenwart. Was ich gelernt habe: Nur über die Praxis des Annehmens kann ich zu dem gegenwärtigen Moment zurückkehren. Und nur aus dem gegenwärtigen Moment heraus kann ich mit einem offenen Herzen dem Leben begegnen. Yin Yoga hat mir geholfen, im Moment zu sein und mit diesen tiefen, versteckten Teilen in mir in Berührung zu kommen, die Dunkelheit und Verzweiflung in sich tragen. So wie Yin nicht ohne Yang existiert, so gibt es dort, wo Traumata und Dunkelheit sind, auch Freude und Licht. Für mich bedeutet Yin Yoga, durch die Praxis des Annehmens, meine eigene, persönliche Heilung, durch die ich wiederum der Welt zu Diensten sein kann.