Das evidero-WebTV-Magazin soll kurz und knapp informieren – aber manche Themen, manche Ideen, sind zu groß, um sie in wenigen Minuten abzuhandeln. Transition Town in Witzenhausen ist so ein Thema: ein Städtchen im Wandel für die Zeit nach dem Öl. Deshalb hier eine Einführung in die Transition Idee – und unser Film in der Langfassung.
Die Stadt im Wandel-Initiative Witzenhausen ist seit dem 29.12.2009 offiziell als Transition Town von der englischen Gründerinitiative anerkannt – und damit Nummer drei in Deutschland. Transition meint den Wandel von den verschwenderisch energiehungrigen Städten der Jetztzeit zu Techniken und Lebensstilen, die mit deutlich weniger Energie und Ressourcenverbrauch auskommen. Angelpunkt und Aufhänger ist Peak Oil – der Begriff beschreibt den Gipfelpunkt der Erdölförderung auf dem Planeten.
Das Ende einer Ära – Peak Oil
Peak Oil ist heute, das Fördermaximum wird nach Überzeugung der meisten Fachleute innerhalb der nächsten 10 Jahre erreicht sein. Wenn das Öl weniger wird, die Förderung kontinuierlich sinkt, wird das unsere Zivilisation vor große Herausforderungen stellen. Schocktolerant sind weder unsere hoch entwickelten, industrialisierten, Gesellschaften noch Dörfer, Städte oder Regionen.
Es geht um Resilienz, die Fähigkeit eines Systems, Schockeffekte zu absorbieren – anstatt zu kollabieren. Resiliente Strukturen organisieren und stabilisieren sich nach einer kurzen „Rüttel- und Schüttelphase“. Keine Gemeinschaft wäre unvorbereitet in der Lage, so einen Schock mit seinen wirtschaftlichen und sozialen Folgen zu verkraften. Es geht nicht darum, ob wir eine postfossile Gesellschaft werden, sondern wann aus der Erkenntnis ein neues Denken und Handeln wird.
Dass die globalen Vorräte endlich sind ist längst Gemeingut, doch die Weltwirtschaft setzt weiter auf Wachstum und tut sich schwer, umzudenken – und vor allem: umzulenken. Politische Gipfel zur Wachstumskrise glänzen mit Gipfelrhetorik und hehren Absichtserklärungen. Danach passiert immer zu wenig. Grenzen des Wachstums? Seit dem aufrüttelnden Bericht des Club of Rome von 1972 haben sich diese Grenzen immer wieder erweitert, und manch düstere Prognose wurde von der Realität Lügen gestraft. So schlimm ist es dann doch nicht gekommen. Neue Ölfunde und neue Techniken haben die Laufzeit des Auslaufmodells Erdöl immer wieder verlängert.
Leben ohne Erdöl?
Doch der schon bald erwartete neue Bericht zu den aktuellen „Grenzen des Wachstums“ wird erneut belegen, dass die Menschheit keineswegs immer so weiter machen kann. Die Vorräte schrumpfen, während die Weltbevölkerung die 7 Milliarden-Marke längst hinter sich gelassen hat. Alle zwei Sekunden fünf Menschen mehr. Doch: Wie können, wie wollen wir leben, wenn das Öl knapp wird?
Ohne Öl würde vieles nicht mehr wie bisher funktionieren: Wir heizen, fahren und schmieren mit Erdöl, es ist Grundlage für Kunststoffe, Pflanzenschutz und Kosmetika. Die einen hoffen und setzen auf neue Technologien, damit alles beim Alten bleiben kann. Sie warten halt noch ein Weilchen, bis zum Beispiel diese neumodischen Elektroautos so zuverlässig und günstig sind wie die bewährten Spritfresser von gestern und heute. Welche unglaublichen Mengen Strom für die E-Mobilität nötig wären (selbst wenn er dann aus der Ökostromdose kommt) – das Problem lösen wir dann, wenn es soweit ist.
Transitioner wollen nicht warten bis Es soweit ist. Weniger Öl bedeutet zunächst weniger Verkehr, weniger Transport, weniger Verbrauch. Kurze Wege könnten die kommende Krise mindern, wenn Mobilität ein immer teureres Vergnügen wird. Kurze Wege: zur Arbeit, zur Schule, zum Einkaufen, für Waren und für Lebensmittel. Eine Transition Town baut sich entsprechend um, sie richtet sich schon heute ein für eine Zeit, in der Öl bestenfalls Luxus ist, sicher aber keine Selbstverständlichkeit. Eine solche Stadt stärkt den Öffentlichen Nahverkehr, macht die Stadt fußgänger- und fahrradfreundlich.
Klein anfangen – aber anfangen!
Selbst- und Nahversorgung etwa in Gemeinschaftsgärten fördern die heimische Land- und Forstwirtschaft und entlasten die Klimabilanz. Erzeuger und Verbraucher rücken näher zusammen oder werden eins – in dezentralen Energieanlagen und eigenen Gärten etwa steckt ein Potential, das die Transition Bewegten gerne nutzen möchten. Am liebsten in der Gruppe, so verbindet man Generationen und Bevölkerungsgruppen.
Hinzu kommt die innere Transition, das Umlernen im eigenen Lebenswandel, sanfter Entzug statt Revolution. Die Probleme miteinander und füreinander angehen statt neben einander her. Das Städtchen Witzenhausen ist so etwas wie ein Deutsches Zentrallabor der Bewegung Hier wird sogar die alternative lokale Währung, genannt Kirschblüte, im Rathaus gedruckt. Und das sogar schon, bevor der Transition Town-Titel die hessische Kirschenstadt quasi in den alternativen Adelsstand gehoben hat.
Ob in Städten oder Dörfern – Transition setzt auf viele kleine, lokale Lösungskonzepte, um das Leben angenehm, umweltverträglich und zukunftsfähig auch für Krisenzeiten zu gestalten. Ein Motto der Bewegung: Jeder kann für sich allein viel erreichen – aber die Kraft von Transition wächst durch ihre Vernetzung vieler Zellen weltweit. Eine globale Vision, doch Transition Towner denken aus Prinzip kommunal: Am Anfang steht immer eine überschaubare Menge Menschen, die die eigene Verantwortung anerkennen und in ihrem Lebensraum nach Möglichkeiten suchen. Menschen, die einfach da loslegen, wo sie ansetzen können, statt angesichts der kolossalen Größe der Probleme schon vorab mit einem Achselzucken einzuknicken.
Ein soziales Experiment? Ein Anfang.