Unser Gefühle formen unseren Körper und unser Körper beeinflusst umgekehrt auch unsere Gefühle. Der Körper speichert all unsere Erfahrungen, Gedanken und Emotionen in jeder seiner Zellen: In den Muskeln, dem Gewebe, der Haut, den inneren Organen – von Kopf bis Fuß. Zeit, da mal ordentlich aufzuräumen und Platz für Neues zu schaffen.
Unser Körper ist der Spiegel unserer Seele. Wir speichern Erfahrungen in unserem emotionalen Gedächtnis sowie im sogenannten Körpergedächtnis. Meist bemerken wir es gar nicht, wenn Erfahrungen, die schon jahrelang zurück liegen, unser heutiges Denken und Empfinden prägen.
Aber diese unbewussten Muster prägen unser Verhalten und formen unser Leben – vielleicht mehr, als es uns gut tut. Wir können solche emotionalen Muster körperlich aufspüren und auflösen. Auf diese Weise befreien wir uns von einschränkenden Gewohnheiten und können so unser Leben mit mehr Freiheit neu gestalten. Mit diesen drei Übungen löst du dich von Altem und öffnest dich für Neues.
1) Wahrnehmen, was ist: Mit dem Bodyscan Lebendigkeit im Still-Sein entdecken
In der Bodyscan-Übung, entwickelt durch den Medizinprofessor Jon Kabat-Zinn, spüren wir achtsam in sämtliche körperliche Empfindungen hinein. Je länger und je detaillierter wir unseren Körper wahrnehmen, desto mehr Leben werden wir in unseren unterschiedlichen Geweben entdecken: Kälte, Wärme, Pulsieren, Pochen – plötzlich bemerken wir, wie viel Bewegung unter unserer Haut stattfindet, selbst wenn wir nur still da liegen oder sitzen.
Dieses Gefühl der Lebendigkeit kann allein schon sehr berührend sein: Dieses Prickeln und Pulsieren, das ist dein Leben! Du brauchst nicht viel, um dich lebendig zu fühlen: Spüre einfach achtsam in dich hinein.
Je öfter wir uns bewusst wahrnehmen und von innen beobachten, desto mehr können wir entdecken. Neben dem, was sich im Körper regt und bewegt, auch das, was in der Yogalehre die “Bewegungen des Geistes” (citta vrtti) genannt werden: Deine Gedanken und Gefühle. So wirst du nach und nach ein Bewusstsein für wiederkehrende Muster entwickeln und erkennen, ob sie dir gut tun oder nicht. Manchmal genügt allein schon eine solche “Mini-Erleuchtung”, um Glaubenssätze und wiederkehrende Gefühlsmuster aufzulösen.
Wenn du die Möglichkeit hast, dann leg dich flach auf den Rücken, die Beine leicht gespreizt, die Arme lang ausgestreckt mit etwas Abstand zum Oberkörper. Die Füße dürfen entspannt nach außen sinken, die Handinnenflächen sind zum Himmel geöffnet. Schenke jetzt systematisch allen Körperteilen nacheinander von den Fußsohlen über die Beine, die Hüfte, den Oberkörper, die Schultern und Arme, den Nacken entlang bis zur Krone des Kopfes deine Aufmerksamkeit.
- Welche Körperteile berühren den Boden?
- Was kannst du in den einzelnen Gliedmaßen fühlen: Spannung? Pulsieren? Wärme? Kälte? Druckgefühle? Schwere oder Leichtigkeit?
- Gibt es Stellen, die du gar nicht fühlen kannst?
- Gibt es Unterschiede zwischen rechts und links oder Innen und außen?
- Wo kannst du deinen Atem körperlich wahrnehmen?
Nimm alle diese Empfindung mit dem Blick des inneren Beobachters wahr: Beobachte aufmerksam und vermeide Bewertungen in richtig oder falsch. Sollten Urteile in deinen Gedanken auftauchen, nimm diese wahr, ohne ihnen zu folgen und ihnen besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Kehre stattdessen immer wieder zurück zu deinem puren, körperlichen Empfinden.
Bodyscan für zwischendurch: Wahrnehmen üben im Alltag
Du kannst den Bodyscan auch im Alltag anwenden: Egal, wo du stehst und gehst. Besonders in emotional herausfordernden Situationen hilft dir die Wahrnehmungsübung, unangenehme Gefühle wertfrei anzunehmen und zu durchleben, anstatt sie “ungefühlt” deinem Körper zu überlassen, der sie speichert, ohne sie zu verarbeiten. Als Notfall-Option kannst du auch deine Aufmerksamkeit nur auf einen Punkt deines Körpers, wie zum Beispiel deinen großen Zeh, richten.
2) Altes loslassen: Lasse deine Gefühle durch deinen Körper wandern
Nachdem du dich in der Bodyscan-Übung einmal systematisch mit deinem ganzen Körper in Verbindung gebracht hast, wende dich jetzt bewusst und liebevoll den Stellen zu, die du als verspannt wahrnimmst. Mit dem Hinspüren in diese körperlichen Anspannungen tauchen vermutlich auch emotionale Bilder, Gedanken und Assoziationen auf. Beobachte alles neugierig und liebevoll: Alles darf sein, auch Gefühle, die du zunächst als unangenehm empfindest.
Verstricke dich nicht in ihnen, sondern schaue sie “von außen” an, vermutlich hast du sie Jahre lang nicht empfunden. Es ist wichtig, sie zu durchleben, ohne sie als positiv oder negativ zu bewerten. Behilflich dabei ist die Beschreibungsübung – wie diese funktioniert, erfährst du hier:
Wenn du merkst, dass die Beschäftigung mit einer Verspannung weitere körperliche und emotionale Reaktionen hervorruft, dann beobachte einfach alles, was passiert. Meist durchlaufen unsere Emotionen einen körperlichen Weg der Verarbeitung: Sie werden ähnlich wie unsere Nahrung “verdaut”. Wenn du den Reflex hast, den Atem anzuhalten, dich innerlich zurückzuziehen und anderen Dingen zuzuwenden: Widerstehe dem Ablenkungsmanöver deines Geistes.
Bleibe bei dir, atme ruhig und fließend weiter und schau dir genau an, was passiert. Unsere körperlich-emotionalen Reaktionen sind unsere Lehrer: Über sie lernen wir uns selbst besser kennen. Nicht so sehr über den Verstand, sondern auf einer tieferen Ebene unserer inneren Weisheit lernen wir uns verstehen.
Je besser wir uns jetzt mit liebevoller Aufmerksamkeit versorgen, desto besser werden wir uns in Zukunft intuitiv in emotional schwierigen Momenten auffangen können.
3) Neue Wege entdecken: Verlasse deine Comfort-Zone
Oft ist es so, dass wir uns in unserem Schmerz ganz gut eingerichtet haben. Wir finden einen Weg, mit körperlichen Schmerzen zu leben und wir finden auch einen Weg, mit emotionalen Verletzungen zu überleben. Vielleicht fühlt sich das nicht in jedem Moment optimal an, doch wir kennen es, und was wir kennen, finden wir gar nicht so schlecht – auch wenn es uns nicht besonders gut tut.
Wir sind leider manchmal zu bequem, um die nötige Energie für eine Veränderung aufzubringen oder haben Angst vor dem Unbekannten – und arrangieren uns lieber mit einer aktuellen Situation, auch wenn wir Schmerzen dabei haben oder nicht so wirklich glücklich sind.
Wir nehmen vielleicht lieber Schmerztabletten, anstatt eine für uns passende Bewegungstherapie zu suchen. Wir trösten uns lieber mit Essen, einfach weil wir es kennen und uns damit ganz okay eingerichtet haben – als uns möglicherweise mit unserer Einsamkeit, unserer Frustration oder Ängsten auseinanderzusetzen. Anstatt aus unserem Schneckenhaus heraus zu kommen, uns professionelle Hilfe zu suchen, mehr mit Freunden zu unternehmen oder ein neues Hobby auszuprobieren.
Twiste, biege, springe und tanze all deine alten Erfahrungen raus aus deinem Körper
Schluss damit. Komm runter von dem Sofa und bring dich in Bewegung. Gib deinem Körper die Gelegenheit, neue Erfahrungen zu machen: Suche dir Sportarten, die du noch nie zuvor oder lange nicht mehr gemacht hast und bewege deinen Körper auf Arten und Weisen, die er nicht kennt.
Twiste, springe, tanze, biege all deine alten Erfahrungen aus allen deinen Muskeln, Organen und jeder Körperzelle hinaus.
Suche dir Herausforderungen, die dich ein wenig ängstigen – und tue es. Du wolltest schon immer Yoga machen, hast aber Angst davor, bei all den Dehnungen und Positionen irgendwie komisch auszusehen? Geh zur nächsten Yogaschule und mach mit! Vielleicht klappt es besser als du denkst, vielleicht kannst du aber auch über dich selbst lachen, wenn du nicht direkt der Meister-Yogi bist.
Oder du fühlst dich schlecht, dann ist das eben so. Wichtig ist nur, dass wir uns stellen und neue Erfahrungen machen und lernen: Ich habe es versucht und ich habe es überlebt. Genau das sind die neuen Erfahrungen, die uns sowohl innerlich als auch äußerlich von diesem Moment an neu formen werden.
Auch das Gehirn braucht Bewegung, um Neues zu entdecken
Was für deinen Körper gilt, gilt übrigens auch für dein Hirn: Lerne eine neue Sprache oder Fotografie oder tue Dinge, die du dir eigentlich nicht zutraust. Es geht nicht darum, innerhalb kürzester Zeit (oder jemals) super erfolgreich in einer neuen Tätigkeit zu werden. Es geht darum, bewusst aus alten Bahnen auszubrechen und dich allem Neuen zu stellen, das du finden kannst.
Wenn du schüchtern bist und vor Menschen sprechen eine alte, tiefsitzende Angst in dir auslöst: Geh in einen Debattierclub und tue es. Versage kläglich und tue es wieder. So lange, bist du diese alte Angst nicht mehr hast, weil es egal ist, ob du gut oder schlecht bist.
Auch hier geht es um die Erfahrung: Wir überleben auch unangenehme Situationen. Die Angst geht, die Scham geht, die Trauer geht, der Frust geht und irgendwann ist es gut. In diesem Moment halten wir die beste Rede unseres Lebens – oder die schlechteste und werden von ganzem Herzen drüber lachen können. In jedem Fall werden wir uns von unseren alten Ängsten und einigen überholten Gefühls- und Verhaltensmustern befreit haben, die uns bisher eingeschränkt haben.