Es gibt Leute, die führen ein ruhiges, besonnenes Leben. Sie haben gelernt, wie man die Ursachen von Stress, Angst und Unruhe erkennt und wie man sie vermeiden kann. Dazu gehört auch eine neuartige Form der Askese: Die Nachrichtenabstinenz. Sie vermeidet unnötige Aufregung, Ängste und Sorgen. Aber ist ein Leben ohne Nachrichten wirklich sinnvoll? Ich traf einen Yoga- und Meditationslehrer und erfuhr Wichtiges über eine neue Haltung zu unserer Medienwirklichkeit.
Neulich traf ich einen alten Bekannten in der Mittagspause im Café. Wir haben uns lange nicht mehr gesehen, er lebt mittlerweile ein anderes Leben. Hat seinen Medienjob aufgegeben, eine Yogalehrer Ausbildung gemacht und ist nach Indien gegangen, um seine Praxis in Yoga und Meditation zu vertiefen. Ich sprach mit ihm über allgemeine Themen in der Welt, die vielen Katastrophen, die sich ja nahezu tagtäglich ereignen und über die Angst der Menschen vor der Zukunft. Ich wollte wissen, wie er so in seinem neuen Spiritus als Yoga- und Meditationlehrer damit umgeht.
Nachrichtenabstinenz – Einfach die Aufregung abschalten!
Er sagte mir, dass er schon lange keine Nachrichten mehr “konsumiere”. Er höre kein Radio, schaue nicht fern, nutze sein Smartphone überwiegend zum Telefonieren und den Rechner nur zur nötigen Kommunikation und Informationsbeschaffung. Er lese gezielt Zeitung und dort auch nur, was ihn interessiert und meide strikt aktuelle Nachrichtenthemen, die Sensation und Aufregung mit sich bringen. Also eigentlich alles, was im Moment so auf der Bühne der Welt passiert. Er habe sozusagen einfach die Aufregung abgeschaltet Stattdessen liest er lieber gezielt gute Bücher oder Magazine, die ihn persönlich bereichern.
Medienwirklichkeit – Eine Aufregung ersetzt die andere!
Askese sei ja hinlänglich ein allgemeiner Trend, meint er, denn weniger von allem sei nunmal mehr. Seitdem er keine Nachrichten mehr konsumiere, sei sein Leben ruhiger, entspannter und stressfreier geworden. Die Aufregung und Hysterie mancherlei Medienthemen sei ihm zwar bei anderen aufgefallen, er habe dies aber immer nur aus einer Distanz wahrgenommen und mit Gleichmut festgestellt, dass immer ein Aufregung die vorangegangene ersetze und diese danach eh wieder vom Medienhorizont und aus dem allgemeinen Bewusstsein verschwindet.
Weniger Wissen – weniger Angstprobleme und Stress im Alltag
In seinem Leben sei aber dadurch nichts passiert, es sei so weitergegangen wie immer und das in seinem persönlichen Umfeld ebenso. Die wirklich einschneidenden Veränderungen, wie ein massive Steuererhöhung, einen Einzugsbescheid für die Bundeswehr oder einen Terroranschlag in seinem Viertel würde er schon mitkriegen. Aber bis dahin habe er einfach in Ruhe gelebt, ohne unnötigen Stress und Sorgen. In einem früheren Leben, als die Menschen noch nicht permanent überinformiert gewesen seien, hätten sie im Übrigen auch nicht immer gewusst, was sie als Nächstes erwartet. Sie hätten deswegen möglicherweise auch weniger Angstprobleme und Stresssymptome gehabt.
Spirituelle Techniken – Yoga und Meditation heilen psychische Leiden
Wir sprachen darüber, dass dies ja eigentlich eine typische Haltung der Achtsamkeit sei, eine, die die Dinge nur betrachtet und an sich vorüber ziehen lässt, ohne sie zu bewerten oder sich damit zu identifizieren. Ein typisches Yoga- und Meditations-Ding eben.
Nach einer Umfrage des Bundesverbandes für Yogalehrende (BDY e.V.) begeistern sich rund 16 Millionen Menschen in Deutschland für Yoga und Meditation und bereits circa 3 Millionen Menschen praktizieren es aktiv. Die vielen Menschen, die sich in anderer Art mit spirituellen Methoden wie dem Buddhismus, der Meditation oder mit Achtsamkeitstraining (MBSR) beschäftigen, sind hier nicht eingerechnet. All diese Menschen eint vor allem der Wunsch, Entspannung, Ruhe, Energie und Sinn in ihrem Leben zu finden. Und je intensiver sie auch persönlich in die spirituelle Praxis eintauchen und sich mit auch innerlich mit der jeweiligen Ideologie identifizieren, desto stärker ist die positive Wirkung auf die mentale Gesundheit. Dies zeigt, dass dem Trend zu steigender Komplexität, Schnelligkeit und Bedrohung sowie abnehmender Bedeutung der Religion in unserem Leben, Gegentrends in Form von Yoga, Buddhismus, Slow-Living, Achtsamkeit oder Askese entgegenstehen.
Politische Haltung – Macht Nachrichtenabstinenz und Gleichmut uns willenlos?
Wenn ich meine eigene Haltung zu den aktuellen Geschehnissen der Weltlage überprüfe, dann ist diese wohl eher eine sorgenvolle. Ich informiere mich gezielt und versuche mit Gleichmut und Besonnenheit auf Nachrichten zu reagieren, vor allem um im entscheidenden Augenblick die richtigen Entscheidungen treffen zu können. Aber dabei geht es mir vor allem auch um persönliches Engagement für Dinge, die ich wichtig finde und für die ich etwas bewegen möchte.
Wie sollen wir denn ohne ausreichende Information wissen, womit wir unseren Teil zur positiven Veränderung der Welt beitragen können? Und wie sähe unsere Welt aus, wenn jeder sich einfach nur ein möglichst entspanntes und stressfreies Leben macht? Sich in sein Innerstes zurückzieht und sich in das Unvermeidliche fügt. Wie sieht es dann mit unserer Demokratie, mit unseren Werten aus? Werden wir nicht zu willenlosen Objekten mit dieser unpolitischen Haltung? Und werden wir nicht letztendlich überannt von Dingen, die wir eigentlich gar nicht wollen? All das fragte ich meinen Bekannten, den Yogi.
In unserem Blog “OMlinemagazin” stellt evidero Autorin Annette Coumont Themen und Trends rund um Achtsamkeit, Yoga und ein bewusstes Leben vor. Wir zeigen euch, wie Achtsamkeit im Alltag, in der Familie, im Job, bei der Ernährung, in der Therapie oder beim Konsum konkret aussehen kann.
Weltbewegend – der Einzelne hat nur wenig Einfluss, aber gemeinsam haben wir viel
Er sagte, ich solle doch einfach einmal genau nachdenken, wie groß mein persönlicher Einfluss auf das Weltgeschehen wirklich sei. Auf einer Punkteskala von 0 (gar kein Einfluss) bis 10 (großer Einfluss, wie Gott), wo liege da meine Einschätzung zu meinem Veränderungspotenzial? Ich habe nachgedacht und es ihm gesagt. Sein etwas hämisches Grinsen zeigte mir, dass ich das Ergebnis nach meiner vorangegangenen Argumentation doch eher für mich behalten sollte.
Nach dem Gespräch habe ich auch noch öfter darüber nachgedacht, dennoch ändert sich mein Ergebnis nicht mehr. Aber ich bin mir sicher, dass dieser geringe Einfluss, den ich habe, trotzdem relevant ist. Ob ich wählen gehe, an demokratischen Entscheidungsprozessen oder Demonstrationen teilnehme, ethisch konsumiere oder mich für den Naturschutz einsetze – all das ist für sich allein gesehen möglicherweise nicht relevant. Aber in der Masse, wenn alle ihren persönlich möglichen Einfluss aktiv geltend machen, kann man politisch oder gesellschaftlich einiges bewegen. Darüber sagt die Punkteskala des persönlichen Einfluss nämlich nichts aus.
Keine Nachrichten mehr – wirklich ein Weg um glücklicher und entspannter zu leben?
Es mag also gewiss sein, dass uns die Abwesenheit von Angst und Sorgen durch permanente Konflikte und Bedrohungen in den Nachrichten ruhiger und stressfreier leben lassen. Aber es ist ebenso beruhigend zu wissen, ob und welche Handlungs- und Entscheidungsoptionen ich in Zukunft habe. Solange wir die zahlreichen negativen Nachrichten, statt sie zu meiden, mit einer achtsamen Haltung betrachten, die unseren Geist klärt und uns hilft, das Wichtige vom Unwichtigen zu unterscheiden, können wir weiterhin aktiv an unserer Gesellschaft teilnehmen. Und das beruhigt und entspannt mich mehr als es reine Nachrichtenabstinenz könnte!
Weiterführende Infos und nützliche Links: