In der westlichen Sichtweise identifizieren wir uns über unsere Gedanken: Unsere Meinungen und inneren Haltungen formen demnach unsere Persönlichkeit. Was wir denken bestimmt, wer wir sind. Nach der buddhistischen Sichtweise sind unsere Gedanken und Gefühle ebenso wandelbar und vergänglich wie unser Körper. Diese wandelbare Materie ist ein Teil unserer Existenz. Doch unser wahrer Kern, unser wahres Selbst ist unser unwandelbares Bewusstsein. Die Unterscheidung zwischen dem ewigen Bewusstsein und den sich stetig ändernden Geistesregungen hilft, die Höhen und Tiefen unseres Gefühllebens mit mehr Gelassenheit anzunehmen und inneren Frieden zu finden.
Die meisten Menschen haben wahrscheinlich den Eindruck, dass sie sich sehr gut kennen und haben eine feste Vorstellung von ihrer Persönlichkeit. Wir identifizieren uns mit unseren Meinungen und unserem Glauben: Das bin ich. So denke, fühle und bin ich eben. Doch unsere Meinungen und Urteile sind meist aus unserer Erziehung und im Kontext mit unserem sozialen Umfeld entstanden und formen unser heutiges Denken.
Unser Denken wiederum formt unsere Sicht auf die Welt und wie wir dieser begegnen: Gefangen in unbewussten Interpretationsmustern ergeben sich meist blitzschnelle Urteile und impulsive Reaktionen, die manchmal unerwünschte Verhaltensweisen produzieren.
Wenn wir wirklich authentisch leben möchten, dann hilft es, uns die Frage zu stellen: Wenn ich mich nicht völlig mit meinen erlernten Denkmustern und auch nur zu einem Teil mit meinem Körper identifizieren möchte… Wer bin ich dann eigentlich?
Unser Bewusstsein ist nicht das, was wir denken und fühlen
Unser Geist produziert am laufenden Band Gedanken und Gefühle. Der Autopilot unseres Geistes rattert nur so vor sich hin, tagsüber und sogar auch nachts in unseren Träumen.
Oft verwechseln wir “bewusst sein” mit “denken”. Doch Gedanken führen uns im Geiste weg von uns selbst in die Geschichten hinein, über die wir nachdenken. Sogar unsere Gefühle können uns von uns selbst entfremden, wenn wir zuweilen mit ihnen verschmelzen und völlig aufgehen in der Angst, der Sehnsucht, der Frustration, der Trauer…
Wenn “bewusst” sein bedeutet, dass wir in dem Augenblick präsent sind und uns selbst mit Bewusstheit wahrnehmen, dann muss “Bewusstsein” etwas anderes sein als unser Geist und unsere Gedanken. Unser Bewusstsein ist der Teil in uns, der die permanente Geistestätigkeit aus einer Distanz heraus beobachten kann, ohne davon berührt oder beeinflusst zu werden.
Unser Bewusstsein bricht nie in Tränen aus, es schaut zu und stellt fest, dass wir traurig sind und weinen – und nimmt dies ohne Wertung an. “Bewusst zu sein”, das bedeutet unterscheiden zu können zwischen unserem Geist und unserem Bewusstsein.
Manche Gefühle und Gedanken sind wie ungeladene Partygäste
Unsere Gedanken und Gefühle sind wie Partygäste in unserem Gedanken- und Gefühlshaushalt. Darunter gibt es auch einige, die wir lieber nicht in unserem Haus wüssten. Wir können uns nicht erinnern, sie eingeladen zu haben, und sie kommen eigentlich immer “jetzt gerade” sehr ungelegen. Wir wehren uns automatisch dagegen, uns mit ihnen beschäftigen zu müssen. Und je mehr wir sie zu ignorieren versuchen, desto aufdringlicher werden sie, so scheint es.
Und so ist es auch: Gerade intensive Gefühle wie Wut, Trauer oder Angst stehen so lange frech grinsend vor unserem inneren Auge, bis wir aufgeben und die bittere Erkenntnis schlucken: Wir müssen so mit dem Leben tanzen, wie es eben jetzt gerade ist.
Nicht-Identifikation mit unseren Gedanken und Gefühlen ist Liebe zu unserem Selbst
Wenn wir diese Party namens Leben schmeißen, dann können wir vielleicht nicht immer kontrollieren, welche Gedanken und Gefühle uns “besuchen”. Doch wir haben die Macht zu entscheiden, wie wir mit ihnen umgehen. Der wichtigste Trick dabei ist, zwischen uns und unseren Gästen zu unterscheiden und uns von deren Wahrnehmung und Geschichten zu distanzieren.
Es ist ähnlich wie mit unseren Freunden: Manche ihrer Ideen oder Meinungen mögen wir nicht teilen und doch betrachten wir unsere Freunde mit Liebe und akzeptieren, wie sie sind. Würden wir uns zu stark mit ihnen identifizieren und unser eigenes Sein über sie definieren, dann wären sie uns vermutlich häufiger unangenehm und peinlich. Wir würden versuchen, sie zu ändern. Vielleicht würden wir mit ihnen streiten oder sie zuweilen ignorieren.
Nur weil wir zwischen uns und unseren Freunden ganz klar unterscheiden, können wir sie akzeptieren, wie sie sind. So liegt in der Unterscheidung zwischen unserem Geist, dem sich ständig ändernden Anteil unseres Selbsts, und unserem Bewusstsein, dem wahren Kern unseres Seins, die Quelle zu mehr Gelassenheit und innerem Frieden.
Lernen Sie den Augenblick begreifen! Das Bewußtsein ist die höchste Lust des Lebens. – Richard Fedor Leopold Dehmel
Unser Bewusstsein ist unser wahres Selbst: Pur und ohne Urteil
Denn die Produkte unseres Geistes sind nicht mehr als besagte Partygäste: Unsere Gedanken und Gefühle sind Besucher, die kommen und gehen, entstehen und vergehen. Sie sind unstet und wandelbar, kurz: Sie sind nicht der beständige Kern unseres Seins. Wir sind nicht, was wir denken und fühlen – zumindest nicht ausschließlich.
Unsere Gedanken und Gefühle ändern sich mit den Umständen, doch unser Bewusstsein bleibt immer gleich eben nur das: Unser Bewusstsein, dieser tiefe innere Kern der Ruhe und Kraft, der unser wahres Sein ausmacht. Manche Menschen, vor allem in der westlichen Welt, sprechen auch von “Seele”.
Die Seele wird ebenso als unveränderlicher Kern in uns beschrieben, der völlig unberührt von dem Außen ist: Er fühlt nicht, er denkt nicht, er will nichts und lehnt nichts ab. Er ist weder gut noch schlecht, weder dick noch dünn, weder alt noch jung: Er ist das reine, ewige Sein.
Meditation als Verbindung des Geistes mit unserem ewigen Bewusstsein
Wenn wir meditieren, üben wir, mit dem wohlwollenden, doch distanzierten Blick unseres Bewusstseins alle Gedanken und Gefühle wahrzunehmen, die unser Geist produziert. Wir lassen sie entstehen, nehmen sie ohne Urteil wahr, ohne mit ihnen zu verschmelzen. Das Werkzeug für dieses wertfreie Wahrnehmen ist der “Innere Beobachter”. Er ist das innere Auge unseres Bewusstseins. Man nennt ihn auch den Inneren Zeugen, der betrachtet, was in unserem Inneren vor sich geht, ohne selbst einzugreifen.
Indem wir unsere Gedanken und Gefühle urteilsfrei annehmen, beruhigt sich unser Geist. Wenn unsere Gedanken und Gefühle erst einmal wohlwollend beachtet wurden, ziehen sie sich irgendwann zurück und hinterlassen eine friedliche Stille, in der wir uns selbst sehr nahe kommen. In diesem Einheitsgefühl können wir tiefe innere Ruhe, Frieden und Glück erfahren.