Das Thema „Hochsensibilität“ ist derzeit in aller Munde. Und das ist auch gut so! Während sich immer mehr Erwachsene mit dieser Disposition endlich selbst finden und lernen, sich anzunehmen, wertzuschätzen und befreit zu fühlen, gibt die gewonnene Bekanntheit des Themas uns die Möglichkeit unsere sensiblen Kindern gleich von Anfang an gesund zu begleiten.
Engagierte Eltern können jedoch ein Lied davon singen: Der Grat zwischen Überbehütung und kontraproduktiver „Abhärtung“ ist schmal. Handelt es sich beim Sprössling dann zudem um ein hochsensibles Kind – was nach aktuellem Kenntnis-Stand auf 20 Prozent der Menschen zutrifft – kann dieser Balance-Akt nicht nur kräftezehrend, sondern geradezu belastend sein.
Doch wann sprechen wir von einem hochsensiblen Kind?
Da es sich um eine neuronale Disposition und nicht um eine Krankheit, Störung oder Behinderung handelt, gibt es keine Diagnose. Tests, die als Orientierung dienen, gibt es viele, doch klassisch „schwarz auf weiß“ bekommt man die – wie ich sie nenne „Superfühlkraft“ – nicht. Schon alleine die Tatsache, dass es unheimlich viele Facetten der Sensibilität (von olfaktorisch über taktil bis hin zu akustisch emotional) gibt, macht einen standardisierten Test nahezu unmöglich.
Hochsensibilität liegt oft bereits in den Genen
Erste Hinweise auf eine hochsensible Veranlagung gibt es bereits, wenn man sich die Eltern anschaut. Hochsensibilität wird vererbt. Auch in der Schwangerschaft könnte es Zeichen dafür geben, dass da ein sensibles Kind heranwächst, schon im Mutterleib kann eventuell eine Schreckhaftigkeit festgestellt werden. Ist der Superfühlkraftheld, beziehungsweise die Superfühlkraftheldin, dann erst geboren, kann es (muss es aber nicht) sein, dass der Nachwuchs schneller überreizt wird, sei es durch ungewohnte Situationen, Lärm, Berührungen, Stimmungen, Gerüche und Schnelligkeit.
Kinder fit fürs Leben machen, aber gleichzeitig vor Reizüberflutung bewahren
Nicht selten müssen sich Eltern hochsensibler Kinder anhören, sie würden ihr Kind überbehüten, wenn sie es vor eben jener Reizüberflutung bewahren möchten und auch der scheinbar wohlgemeinte Satz „Du musst das Kind halt auch mal abhärten“ wird auf Dauer zur Qual.
Doch wie lässt sich dieser Spagat bewerkstelligen? Die viel verlangte Kindererziehungs-Gebrauchsanweisung gibt es hier tatsächlich: Sie nennt sich „Bauchgefühl“.
Intuition hilft bei der richtigen Umgangsweise mit hochsensiblen Kindern
Zunächst gilt es, sich die Frage zu stellen, in welche Richtung man als Elternteil neigt. Häufig hat diese Tendenz mit den eigenen Kindheitserfahrungen zu tun. Ein Extrem wäre es, dass man selbst schlechte Erfahrungen mit der eigenen Sensibilität gemacht hat und nun eine Abhärtung à la „Stell dich nicht so an!“ forciert. Das andere Extrem wäre die totale Überbehütung und eine Vermeidungshaltung gegenüber den Anforderungen des täglichen Lebens.
Ganz klar gilt es zu differenzieren: Welche Herausforderungen sind nötig, welche fördern das Kind, bringen es weiter? Welche wiederum sind vermeidbar, da sie belasten und schwächen?
Unnötige Stressoren für Kinder mit Hochsensibilität vermeiden
Letztere haben viel mit gesellschaftlichen Strukturen und Maßstäben zu tun. Sich von diesen frei zu machen, beziehungsweise diese kritisch zu überdenken ist schon die halbe Miete. Muss das extrovertierte, hochsensible Töchterchen tatsächlich in die Handarbeits AG? Ist es förderlich und stärkend, dass der introvertierte, hochsensible Sohnemann mit dem Longboard zur Halfpipe gebracht wird, damit er wird wie andere Jungs? Inwieweit bringt es den Nachwuchs in der Persönlichkeitsentwicklung weiter, wenn man im verwehrt, die kratzenden Etiketten aus dem Pullover zu schneiden?
Sanftere Reize und kleinere Ziele helfen bei der Persönlichkeitsentwicklung des Kindes
Doch auch das Fernhalten jeglicher Stressoren ist langfristig nicht im Sinne eines jeden Kindes. Die Kunst hierbei ist das sanfte Heranführen und Ausweiten der Anforderungen. Ein klassisches Beispiel wäre das Vortragen eines Referates in der Schulklasse. Dies ist unvermeidbar und auch im Verlauf des Erwachsenen-Lebens wird es immer wieder Situationen geben, in denen es wichtig ist, für sich oder eine Sache vor anderen Menschen zu sprechen.
In diesem speziellen Beispiel wäre es vielleicht eine Idee, bereits im Vorfeld Vorbereitungen zu treffen. So könnte das Kind schon in den Wochen vor dem Referat zunächst vor den Eltern, später einem größeren Verwandtschaftskreis und allmählich auch Freunden kurze Texte vortragen, Dinge erklären, Geschichten vorlesen oder Ähnliches.
Helikoptereltern sollten größere Kreise um ihre Sprösslinge ziehen
Das Bauchgefühl ist im Bereich der Kindererziehung immer noch der beste Ratgeber. Dieses hin und wieder kritisch zu hinterfragen ist natürlich nicht die schlechteste Idee, oft können die Sprösslinge mehr, als man zunächst denkt. Mithilfe der Intuition abzuwägen, wie belastbar das Kind ist, wäre wünschenswert.
Trauen Sie Ihrem Kind etwas zu! Bitte seien Sie sich dessen bewusst, dass übersteigerte Behütung dem Kind auch vermitteln kann, dass Sie ihm nichts zutrauen. Das „Unwort“ Helikopter-Eltern wird meist hiermit assoziiert. „Helikoptern“ ist gar nicht verkehrt. Bedeutet es doch, bei Bedarf in der Nähe zu sein. Sorgen Sie Ihrem Kind zuliebe dafür, dass die Helikopterkreise jedoch groß genug sind, um nicht überwachend, laut und beeinträchtigend zu sein.
Hochsensible Persönlichkeiten wachsen zu emphatischen Superfühlkrafthelden heran
Die Eltern sind die Anwälte der Kinder. Nicht alle Herausforderungen können vermieden werden, doch es ist durchaus möglich den Nachwuchs sanft darauf vorzubereiten. Im ganz eigenen Tempo. Erfahren Superfühlkrafthelden Rückhalt durch ein vertrauensvolles Zuhause, entwickeln sie ihr Potential in voller Größe. Wenn ihnen von klein auf vermittelt wird, dass sie nicht schwächer sind, als die normal sensiblen Kinder, sondern dadurch, dass sie ihre eigenen Bedürfnisse berücksichtigen zu ganz Großem fähig sind, steht einer Generation empathischer, stabiler, glücklicher Superfühlkrafthelden nichts mehr im Wege.