Jeder ist einmal allein, jeder fühlt sich mal einsam. Das muss jedoch nicht miteinander zusammenhängen. Soziologin Dr. Caroline Bohn erklärt, was der Unterschied zwischen Alleinsein und Einsamkeit ist – und warum sie zwar gemeinsam auftreten können, aber keineswegs müssen. Und es deshalb auch gar nicht verkehrt ist, das Alleinsein ab und an zu suchen.
Der Unterschied von Alleinsein und Einsamkeit
“Alleinsein” und “Einsamkeit” werden häufig miteinander verwoben und bedeutungsgleich verwendet. Dabei bezeichnen sie eigentlich zwei ganz unterschiedliche Dinge.
Alleinsein ist objektiv gesehen nichts weiter als ein Zustand. Ich kann beispielsweise alleine in meinem Büro sitzen und arbeiten oder ich kann alleine etwas unternehmen, und zwar ohne mich einsam zu fühlen. Einsamkeit hingegen ist ein Gefühl und beschreibt mein inneres Befinden.
Ich fühle mich dann von der Welt verlassen und ungeliebt. Ich habe das Gefühl, zu niemandem zu gehören und irgendwie anders als alle anderen zu sein. Das hat aber nicht zwingend etwas mit Alleinsein zu tun. Ich kann mit vielen Menschen zusammen sein und mich trotzdem zutiefst einsam fühlen.
Wir geben weder vor uns selbst noch vor anderen gerne zu, dass wir einsam sind. Das liegt daran, dass Einsamkeit häufig schambesetzt ist.
Die Angst vor der Einsamkeit
In der Regel haben die meisten gar nicht so viel Angst vor dem Alleinsein, auch wenn sie das vielleicht sagen. Dahinter steckt vielmehr die Angst vor der Einsamkeit, also vor diesem fröstelnden Gefühl innerer Leere und Verlassenheit.
Hier schwingt immer die Angst mit, nicht mehr integriert, sondern von der Welt ausgeschlossen zu sein. Viele Menschen, die sich einsam fühlen, sagen zwar häufig: „Ich fühle mich allein“. Doch wie wir gerade festgestellt haben, kann man sich gar nicht alleine fühlen. Es müsste eigentlich heißen: „Ich fühle mich einsam”, aber genau das zuzugeben, ist für viele ein Problem.
In unserer Gesellschaft, in der wir ständig miteinander kommunizieren, erscheint es vielen seltsam, wenn man einsam ist. Und wenn man dann auch noch einsam ist, obwohl man viele Kontakte hat, stößt man auf noch mehr Unverständnis der Umgebung. Wir haben leider verlernt, mit Einsamkeitsgefühlen umzugehen, und zwar sowohl mit unserer eigenen Einsamkeit, als auch mit der Einsamkeit anderer Menschen. Deshalb ziehen wir uns auch zurück, wenn wir mit Einsamkeit konfrontiert werden. Das macht uns Angst und zeigt, wie mächtig dieses Gefühl ist.
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Es mag paradox klingen, aber es kann auch hilfreich sein, sich bewusst im Alleinsein zu üben, um möglichen Einsamkeits-Gefühlen vorzubeugen und sich von ihnen nicht überraschen zu lassen.
Oft wird Alleinsein aus der Angst heraus gemieden, dass gleichzeitig Einsamkeits-Gefühle auftreten könnten. Aber weder Alleinsein noch Einsamkeit werden wir in unserem Leben vermeiden können. Es gibt immer wieder Lebensphasen, in denen wir alleine und auch einsam sind. Gerade in Übergangsphasen ist dies oft der Fall.
Vielleicht bekomme ich einen Job in einer fremden Stadt und der Weg in die Heimat ist viel zu weit, um ihn jedes Wochenende zu fahren. Selbst wenn ich mich über die neue Arbeitsstelle freue, werde ich mich vielleicht anfangs fremd fühlen und merken, wie schwer es ist, sich einen neuen Freundeskreis aufzubauen.
All das das braucht Zeit und bringt auch Unsicherheiten mit sich. In dieser Zeit ist es keineswegs ungewöhnlich, sich einsam zu fühlen. Wir sollten uns zugestehen, dass solche Phasen im Leben völlig normal und auszuhalten sind – übrigens auch im Hinblick auf das Alter.
Es ist wichtig, dass wir unsere Aufmerksamkeit nach innen richten, statt uns ständig mit Aktivitäten abzulenken.
Wir sollten uns immer wieder fragen: Wer bin ich und was will ich? Was sind meine Wünsche und meine Sehnsüchte? Viele vermeiden das, weil manchmal auch schmerzvolle Erinnerungen hochkommen oder sich Zukunfts-Ängste entwickeln. Doch gerade dann ist es wichtig, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen und neue Kompetenzen zu entwickeln.
Warum entsteht Einsamkeit?
Einsamkeit ist ein komplexes Gefühl und taucht in ganz unterschiedlichen Situationen auf. Manchmal überwältigt sie uns auch nur für einen kurzen Moment. Vielleicht schauen wir uns gerade ein Gewitter an und plötzlich merken wir, wie sich Einsamkeitsgefühle einstellen.
Andere Situationen der Einsamkeit können sein, wenn wir unsere Arbeit verlieren oder gerade eine Trennung hinter uns haben.
Dann sind Einsamkeitsgefühle ganz natürliche Reaktionen auf dieses bestimmte Ereignis. Letztlich können jedoch jegliche Veränderungen in unserem Leben Einsamkeitsgefühle auslösen. Selbst ein schönes Ereignis, wie die Geburt eines Kindes, kann ein Einschnitt sein, der uns anfangs überfordert und einsam machen kann. Gerade in solchen Fällen treffen wir leider schnell auf Unverständnis.
Einsam in einer Beziehung oder Gruppe
Es gibt auch sehr viele Menschen, die sich in ihrer Partnerschaft einsam fühlen! Dann will uns die Einsamkeit etwas sagen. Vielleicht, die Beziehung genauer zu hinterfragen oder den Schritt zu wagen, wieder neue, eigene Wege zu gehen.
Auch in Anfangssituationen, also wenn wir zum Beispiel auf eine Party gehen, auf der wir niemanden kennen, kann uns das Einsamkeitsgefühl erfassen. Zumindest so lange, bis wir mit jemandem ins Gespräch gekommen sind und merken, wie wir uns langsam entspannen.
Einsamkeit ist übrigens kein isoliertes Gefühl, sondern geht immer mit anderen Gefühlen einher, wie Sehnsucht, Hoffnung und auch Angst. Schwierig wird es, wenn Einsamkeit chronisch wird. Einsamkeit wird dann fast schon zu einer Lebensbegleiterin, also zu einem Gefühl, das ständig da ist.
Was tun bei Einsamkeit?
Einem einsamen Menschen wird von Freunden oder Bekannten oft geraten, doch mehr unter Leute zu gehen und sich neue Kontakte zu suchen. Allerdings kostet das sehr viel Überwindung und Kraft. Außerdem sind die Erwartungen einsamer Menschen in der Regel sehr hoch. Viele fühlen sich nach einem Partybesuch noch viel einsamer, weil es so frustrierend ist, in die leere Wohnung zurückzukehren und schon wieder keine neuen Kontakte gefunden zu haben. Hier rate ich:
Tipp: Wenn Sie einsam sind und sich überwinden, unter Menschen zu gehen, dann erkennen Sie sich genau das an. Es geht nicht darum, fünf neue Bekanntschaften gemacht zu haben. Was zählt ist, dass Sie den Schritt gewagt haben, überhaupt rauszugehen.
Es geht also darum, einen Moment vorher anzusetzen und sich unbedingt jeden kleinen Schritt anzuerkennen. Gerade in einsamen Zeiten sollten wir ganz besonders freundlich und fürsorglich zu uns selbst sein.
Alleinsein lernen und Gemeinschaft üben
Ich hatte vorhin schon erwähnt, dass es sehr hilfreich sein kann, Zeit alleine zu verbringen, um sich im Alleinsein zu üben und den eigenen Wünschen und Bedürfnissen zu lauschen. Doch wie alles hat das natürlich auch zwei Seiten: Denn wenn jemand sehr oft alleine ist und die Stille zu schätzen gelernt hat, dann kann es auch sein, dass ihm irgendwann gelebte Gemeinschaft und der Lärm, der damit verbunden ist, schnell zu viel wird.
Es ist eben immer ein Balanceakt, den wir zu bewältigen haben. Auch in einer Partnerschaft tut es übrigens gut, mit sich allein sein zu können, denn sonst werden die Ansprüche an den anderen irgendwann viel zu hoch. Wenn ein Paar zusammenlebt, jeder aber auch innerhalb der Wohnung Zeit für sich alleine verbringt, dann sind beide nicht so drängend auf die Zweisamkeit angewiesen. Außerdem geben sich die Partner gegenseitig mehr Freiraum, was fraglos wohltuend für jede Beziehung ist. Es geht hier um das notwendige Wechselspiel zwischen Nähe und Distanz.
Social Media und Einsamkeit
Und was die neuen Medien betrifft, so gelten auch hier die zwei Seiten einer Medaille. Besonders Menschen, die eher schüchtern sind, profitieren davon und können über die sozialen Netzwerke ihre schwächer ausgeprägten sozialen Kompetenzen ausgleichen. Doch der Umgang mit den neuen Medien kann auch dazu führen, dass wir vorhandene Fähigkeiten wieder verlieren oder sie sich gar nicht erst entwickeln. Das ist schade, denn schließlich ist es wichtig zu wissen, wie man ein Gespräch beginnt oder auf jemanden zugeht.
Letztlich brauchen wir einen Wechsel zwischen Rückzug und Geselligkeit, um bei uns selbst zu bleiben, aber auch, um gesellschaftlich eingebunden zu sein.