Arbeiten Sie in Ihrem Traumberuf? Oder sind Sie vielleicht unzufrieden und wollen sich umorientieren? Das ist heutzutage nicht unmöglich! Der Mediator und Coach Dr. Jürgen von Oertzen gibt Anregungen, was Sie bei einem Berufswechsel beachten sollten.
Die Berufswelt ändert sich: Immer seltener arbeiten Menschen von der Ausbildung oder nach dem Studium bis zur Rente im gleichen Berufsbild.
Gründe für einen Wechsel nicht nur des Arbeitsplatzes, sondern des Berufes, gibt es viele: Man findet vielleicht nicht die Erfüllung in der bisherigen Tätigkeit, ist nicht so erfolgreich wie erhofft oder will die Chance nach der Babypause für einen Neufanfang nutzen.
So ein Berufswechsel oder auch Berufseinstieg will gut überlegt sein; man kann schließlich nicht beliebig oft wieder von vorn anfangen – und will es sicher auch nicht.
Wie schafft man es, sich von einer so wichtigen Frage nicht so überwältigen zu lassen, dass sie unentscheidbar wird? Ich halte es für wichtig, sich klar zu machen, dass so weitreichende Entscheidungen immer unter Risiko getroffen werden müssen– es gibt keinen garantierten Erfolg, auch wenn Sie ewig überlegen. Und ich glaube fest, dass es letztlich eine Bauch-Entscheidung sein wird und sein muss.
Ich selbst denke heute als Mediator und Coach, ich hätte vielleicht doch besser Psychologie studieren sollen, denn daraus könnte ich jetzt viel Nutzen ziehen – aber das konnte ich damals nicht ahnen, weil ich meinen jetzigen Beruf noch gar nicht kannte. Und doch bin ich auch so mit meiner Tätigkeit erfolgreich. Die Entscheidung zum Konfliktmanagement als Beruf geschah übrigens sehr schnell und aus dem Bauch heraus, und ohne dass ich sicher sein konnte, wie mir mein Studium oder meine Promotion dabei nutzen könnten.
Trotz dieser Unsicherheiten lohnt es sich, über verschiedene wichtige Aspekte dieser weitreichenden Entscheidung gründlich nachzudenken.
Was soll ich über mich selber herausfinden, um mich für einen Beruf zu entscheiden?
So viel wie möglich! Aber irgendwann muss eine Entscheidung gefällt werden. Sie wissen ja schon viel über sich: Was hat Ihnen in Ihrem bisherigen Berufsleben, in der Schule, bei Ihrem Hobby, in der Familie Spaß gemacht? Was hat Sie gelangweilt oder überfordert? Probieren Sie mal aus, das alles aufzuschreiben, auch wenn es erst mal nichts mit der anstehenden Berufswahl zu tun hat.
Manchmal wird die eigene Berufswahl durch Vorbilder beeinflusst. Da ist nichts falsch dran, aber man sollte es bewusst tun. Überlegen Sie kurz: Inwiefern beeinflusst Sie der Beruf Ihrer Eltern oder anderer Menschen, denen Sie gerne ähnlich wären oder denen Sie auf keinen Fall gleichen wollen?
Einmal ausdrücklich überlegt, ist die Gefahr der unbewussten Beeinflussung schon gebannt und Sie können aus sich heraus überlegen, ob und an welchen Vorbildern Sie sich orientieren wollen.
Wie finde ich meine Stärken und Schwächen?
Ihre Schwächen kennen Sie schon, oder? Die meisten Menschen sind damit schneller bei der Hand als mit ihren Stärken. Aber fragen Sie doch einmal nach, wie Sie von außen eingeschätzt werden bei einigen Menschen, die Sie gut kennen. Bei Freunden, Arbeitskollegen, vielleicht auch den eigenen Eltern, wenn das für Sie geht. Seien Sie skeptisch, wenn Sie nur Gutes über sich hören – fragen Sie ausdrücklich auch, wo Ihre „Informanten“ bei Ihnen Schwächen vermuten. Und dann gehen Sie das kritisch durch; Sie selbst sind für sich die beste Expertin oder der beste Experte.
Etwas professioneller können Sie eine Selbsteinschätzung mit Hilfe eines der zahlreichen Typisierungs-Schemata bei seriösen Coaches durchführen und mit ihnen zusammen auswerten (DISG-Modell, KODE-Modell etc.).
Studium und Praktikum: Kür oder Pflicht?
Natürlich ist es gut zu wissen, wie der angestrebte Beruf praktisch aussieht, und das geht manchmal am besten über ein Praktikum. In manchen Branchen werden Praktika oder andere Formen schlecht bezahlter Vorarbeit unbedingt erwartet (z.B. im Journalismus); erkundigen Sie sich vorab bei Insidern.
Allerdings ist es nicht immer möglich, über ein Praktikum einen realistischen Einblick zu bekommen, und nicht immer ist es erforderlich: Wenn Sie die nötigen Vorkenntnisse schon haben, wozu dann ein Praktikum? Verkaufen Sie sich nicht unter Wert, sondern bewerben Sie sich gleich selbstbewusst.
Ähnliches gilt für ein (zusätzliches) Studium: Bei manchen Berufen ist es erforderlich, bei manchen hilfreich. Es gibt berufsbegleitende Studien für einige Fächer, aber der (zeitliche und finanzielle) Aufwand will gut abgewogen sein.
Wie kann ich meine bisherigen Erfahrungen produktiv nutzen?
Das wird sich zum Teil von alleine ergeben, und natürlich umso leichter, je näher der neue Beruf am bisherigen ist. Öfter werde ich allerdings andersherum gefragt: „Darf ich auf die Nutzung meiner bisherigen Erfahrungen verzichten und einfach etwas Neues machen?“ – Ja! Sie dürfen!
Wenn es für Sie gefühlt richtig scheint, einen Schritt zu wagen und der Erfolg halbwegs realistisch scheint: Lassen Sie sich nicht aufhalten!
Berufswahl: Lieber realistisch oder lieber spannend?
Ich hatte einen Schulfreund, der schon als Grundschüler sicher war, dass er Zahnarzt werden will. Er ist es heute immer noch und mit ungebrochener Begeisterung. Wenn Sie zu dieser Gruppe gehören: Glückwunsch!
Was aber, wenn Sie zwei Ideen haben, die eine eher realistisch und lukrativ, die andere vielleicht eher spannend und experimentell? Manchmal hilft es, mit einer Zeitmaschine zu arbeiten: Suchen Sie sich eine ruhige Ecke und stellen Sie sich vor, Sie seien 20 Jahre älter. Was würde dieses „ältere Ich“ zu der einen Entscheidung sagen, und was zur anderen? Kommen da irgendwelche Tipps, die Ihrem heutigen Ich weiterhelfen?
Soll der Beruf meine Berufung sein, oder Mittel zum Zweck?
Am Ende geht es darum, was Sie mit Ihrem Leben anfangen wollen. Welche Rolle soll Ihr Beruf dabei spielen: Ist es Ihre Berufung, für die Sie leben? Bei vielen Menschen, zum Beispiel in helfenden oder forschenden Berufen, ist das die Motivation, die zu tollen Leistungen anregt.
Oder arbeiten Sie vor allem, um zu leben? Ich habe einen Freund, der einen leidlich bezahlten Job als Programmierer angenommen hat, um in der übrigen Zeit ohne Sorge seinem eigentlichen Lebenszweck, der Philosophie, nachzugehen – die als Beruf ausüben zu können er nicht das Glück hatte.
Sollte ich meine Leidenschaften / privaten Interessen in meine Berufswahl mit einfließen lassen?
Unbedingt! Wie sonst sollten Sie die Motivation aufrecht erhalten, viele Jahre diesem Beruf nachzugehen? Das heißt aber nicht notwendigerweise, dass Sie nur entlang Ihrer Interessen entscheiden sollen. Es geht auch immer um Geld – zum Überleben, um sich etwas leisten zu können und als Maßstab der gesellschaftlichen Anerkennung. Das zu übersehen wäre naiv.
Versuchen Sie, verlässliche Daten zu finden, ob es im angedachten Bereich überhaupt Stellen gibt bzw. wenn es um eine Selbstständigkeit geht, ob sie realistischerweise ausreichend Kunden finden können. Und wenn Sie sich für eine „brotlose Kunst“ entscheiden, überlegen Sie, ob Sie den Preis zu zahlen bereit sind. Vielleicht lohnt es sich ja!
Was kann mich daran hindern, den für mich richtigen Beruf auszuüben? Wie kann ich das überwinden?
Bestimmt fällt Ihnen vieles ein, was Sie vom für Sie richtigen Weg abbringen kann – die Bedenken Ihres Partners, die Sorge, kein Geld zu verdienen, die Angst vor Überforderung… Was immer es ist: Nehmen Sie es ernst! Schreiben Sie alle inneren und äußeren Stimmen auf, die gegen Ihren Berufswunsch sprechen.
Danach nehmen Sie sich eine nach der anderen vor und unterhalten sich mit ihr: Vielleicht sind Einwände dabei, die es berechtigt erscheinen lassen, doch einen anderen Weg zu suchen? Oder können Sie Ihre inneren Warner besänftigen durch zusätzliche Sicherheiten, die Sie in Ihre Planung einbauen? Oder ermutigen durch positive Visionen?
Falls Sie weiter unsicher sind, auch nach angemessener Überlegungs-Zeit noch keinen guten Weg für sich wissen, dann kann vielleicht ein Gespräch mit einem Freund, einer Freundin oder auch einem professionellen Coach helfen, sich über das eigene Wollen ganz klar zu werden und Schritte zu planen. Viel Erfolg!