Seit Menschengedenken ranken unzählige Mythen und Klischees um die weibliche Sexualität. Mal ist die Frau die sündige Verführerin, mal eine anbetungswürdige Göttin und manchmal auch nur Objekt der männlichen Begierde, das zur Reproduktion benötigt wird. In ihrem Ratgeber Entfalte dein erotisches Potential räumt die Sex-Lehrerin Sheri Winston mit sämtlichen kulturellen Vorstellungen auf. Offenherzig, unterhaltsam und angenehm schamlos erklärt die Sex-Therapeutin Frauen (und Männern!), was der weibliche Körper im Stande ist zu spüren und zu fühlen und wie sie es lernen können.
Die Mehrheit der Frauen nutzt nur einen Bruchteil ihrer erotischen Fähigkeiten. Geprägt von verirrten kulturellen Betrachtungsweisen über Sexualität und mangelnder Aufklärung leben die meisten Frauen ein Leben im erotischen Mittelfeld – ohne es zu wissen. Selbst Mediziner sind sich oft nicht bewusst, welches Erektionspotential sich im Körper einer Frau verbirgt. Dabei ist soviel mehr an orgiastischer Vielfalt möglich. Wie kann es sein, dass Frauen viel zu wenig über eigene Sexualität wissen?
Eine Antwort darauf sieht Sheri Winston vor allem im stetigen Wandel des Frauenbildes in der Geschichte. So sind viele Erkenntnisse aus dem Bereich der Anatomie des weiblichen Körpers und dessen Erregungssystems in Epochen, in denen die Frau als sündhaft angesehen wurde, schlichtweg aus den Büchern verschwunden.
Frauen lernten, ihre Sexualität zu unterdrücken. Die Klitoris wurde erst wieder im 20. Jahrhundert in den Anatomiebüchern erwähnt. Trotz sexueller Befreiung und feministischen Bewegungen der Moderne ist bis heute vielen Frauen nicht bewusst, wie sie ihr erotisches Potential optimal nutzen können.
Unser kultureller Hintergrund wirkt bis heute
In Gesellschaften, die dem Sex wohlgesonnen waren, wurden Frauen und ihre weibliche Kraft verehrt. Sie galten aufgrund ihrer Fähigkeit, neues Leben zu gebären und zu nähren sogar als göttliche Wesen. In diesen Kulturen waren Männer und Frauen im Gleichgewicht. Die Welt, in der wir heute leben, ist Sexualität nicht ganz so wohlgesonnen.
Kulturell geprägte Moralvorstellungen auf der einen Seite und die mediale Omnipräsenz von Erotik auf der anderen Seite erzeugen ein Spannungsfeld. In diesem Dschungel die eigene, noch gar nicht hinreichend erforschte Sexualität zu leben, ist für Frauen keine leichte Aufgabe.
Es geht nicht nur um Sex – es geht um die ganze Beziehung zu uns selbst
Zudem basieren unsere Vorstellungen von einer normalen, gesunden Sexualität vor allem auf dem, was den meisten Männern gefällt. Laut Sheri Winston liegt hier das Hauptproblem: Frauen sind keine Männer und solange sie versuchen, sich daran zu orientieren, bekommen sie nicht, was sie sich wünschen und der Zugang zur Kraft ihrer weiblichen Erotik bleibt ihnen verwehrt.
Diesen Zugang erhalten Frauen in erster Linie, wenn sie mit sich selbst in Verbindung treten und zwar in allen Facetten ihres Wesens: Geist, Körper, Herz, Seele und Energie. Die Sexualität ist nicht davon zu trennen, sondern ein gesunder und natürlicher Aspekt ihrer selbst.
Es geht also nicht nur um einen besseren Sex, sondern die Verbindung zu sich selbst zu vertiefen, mehr Freude in alle Aspekte des Lebens zu bringen, nährende, authentische und lustvolle intime Beziehungen zu führen, und sich selbst rundum wohl zu fühlen. Es geht vor allem um die Freiheit, sich für eine Entfaltung der eigenen Sexualität zu entscheiden.
Wenn eine Frau ihr volles sexuelles Potential ausschöpfen will, dann muss sie sich mit diesem Netzwerk aus Schwellkörpern vertraut machen. Ist das ganze System dann vollständig aktiviert, kann sie mit Leichtigkeit ihre Erregung vertiefen, unglaubliche Orgasmen erleben und ihre eigene tiefe und wundersame Wildheit entdecken. – Sheri Winston
Auf Erkundungstour des weiblichen Orgasmus
Und so fordert Sheri Winston Frauen dazu auf, Bestandteile ihrer Genitalien, die kulturbedingt in Vergessenheit geraten sind, zu erkunden und in die anatomischen Tiefen ihrer Weiblichkeit vorzudringen. Ausführlich erklärt sie das äußere und innere Geschlechtsorgan der Frau. Im Mittelpunkt stehen das gesamte Schwellkörpernetzwerk und die dazugehörigen Strukturen. Zahlreiche ästhetische Illustrationen im Buch tragen zum Verständnis der Anatomie bei.
- Klitoris (einschließlich Schaft, Eichel und Schenkel)
- Urethralschwamm („Spaßröhre“, G-Punkt)
- Perinealschwamm
- Vorhofschwellkörper
- Scheideneingang („Pussyportal“)
- Beckenboden- und Scheidenschließmuskel
- Uterus und Mutterband
Im Gegensatz zum Mann reicht es bei der Frau, wenn nur ein Teil des Netzwerkes erregt wird, um einen Höhepunkt zu erleben. Beim Mann herrscht das Ganz-oder-Gar nicht Prinzip vor. Nach Sheri Winston ist ein Zusammenspiel aller Bereiche, also eine Stimulation des gesamten Erregungssystems die Königsklasse. Um dort hinzukommen sind allerdings die zehn Stufen der sexuellen Erregung zu durchlaufen (drei Phasen, mit je drei Stufen), die in der zehnten, orgiastischen Stufe, enden.
Praktische Tipps und Anregungen für Frauen und Männer
Auf freizügige und oft amüsante Art und Weise erteilt die Sex-Therapeutin Tipps, wie sich Frau selbst oder auch mit Hilfe des Partners oder der Partnerin entdecken kann. Das Buch ist angereichert mit Informationskästen, die Frauen und Männern zum Ausprobieren am eigenen Körper und zum gegenseitigen Liebesspiel motivieren:
Guided Tour
Schritt-für-Schritt Instruktionen für die Führung durch die Welt der weiblichen Genitalien.
Besitzerinnen-Handbuch
Eingehende Informationen zu gynäkologischen Belangen, die für die Frauen besonders nützlich sind.
Göttinnen-Führer
Möglichkeiten für Frauen sich mit der spirituellen Kraft ihrer Körper und ihrer Sexualität zu verbinden und diese zu zelebrieren.
Spiel und Spaß
Aktivtäten, Übungen und Spiele und Anregungen, die dabei helfen, die erotischen Künste zu verfeinern und mehr Spaß an der Selbsterkundung zu finden.
Heiße Tipps für den Mann
Die Informationen sollen Männern dabei helfen, die wundersame Vagina und die Frau zu ehren, sich auf sie einzulassen einen guten Umgang mit ihr zu finden und sie zu beglücken.
Fazit: Erfrischend erotisch
Das Buch ist mal was erstaunlich Anderes. Wenn man sich an den zuweilen offenherzigen Sprachstil und die Illustrationen, bei denen nichts verborgen bleibt, gewöhnt hat, liest sich das Buch wunderbar leicht. Selbst eingefleischte Kenner(-innen) des weiblichen Körpers werden überrascht sein.
Von einigen Begebenheiten hat man weder im Aufklärungsunterricht gehört, noch in der Bravo gelesen, ganz zu schweigen von seinen Eltern erklärt bekommen. Man muss nicht jeden Tipp ausprobieren und auch nicht den 15minütigen Mega-Orgasmus erlebt haben, um zu verstehen, dass Frauen ein phantastisches erotisches Potential besitzen.