Meditieren liegt im Trend. Ob alt oder jung, Mann oder Frau – sogar Kinder tun es bereits. Im Yogastudio, im Büro, in Turnhallen, in Sitzungsräumen und unterwegs – es gibt kaum einen Ort, an dem man nicht meditieren kann. Doch trotz seiner Popularität wird Meditation zunächst häufig missverstanden. Alexandra Majer, Ashtangayoga-Lehrerin aus Bonn, erklärt, wie ein guter Start gelingen kann.
Mit den aus meiner Sicht größten Irrtümern möchte ich aufräumen und zeigen, dass das, was wir „meditieren“ nennen, nichts Mystisches, nichts Spektakuläres und schon gar nichts Neues ist, im Gegenteil. Meditation ist ein natürlicher, uns allen bekannter Zustand.
Erstes Missverständnis: Meditation ist keine Handlung, sondern ein Zustand
“Ich meditiere.”
Dieser mittlerweile so gebräuchliche Satz lässt darauf schließen, Meditation sei eine Handlung. Ist es aber nicht. Auf Sanskrit* heißt Meditation dhyana und meint einen Zustand erhöhten Bewusstseins, in dem persönliche Gedanken und Gefühle völlig zur Ruhe gekommen sind. Diese mentale Stille können wir nicht machen, schon gar nicht zwanghaft. Wir können lediglich den Weg ebnen, auf dem unser Geist ganz von selbst in die Meditation gleitet.
Etwa, indem wir unsere Aufmerksamkeit auf ein Objekt ausrichten. Das kann der Atem sein, ein Mantra, eine Kerzenflamme oder das Schwarz hinter unseren geschlossenen Augen. Letztlich ist es egal, worauf wir uns fokussieren. Es geht einzig und allein darum, unseren Geist einpünktig werden zu lassen, vergleichbar einem Laserstrahl.
Richtig wäre also zu sagen:
“Ich konzentriere mich” oder “Ich bündele meine Aufmerksamkeit”, um in den Zustand der Meditation zu gelangen.
Nicht so einfach wie es klingt, denn unser Geist ist schwer zu zähmen. Wie wild flitzt er umher und sucht nach neuen Reizen. Jedes Mal, wenn er etwas Interessantes gefunden hat, bringt er einen Gedanken hervor. Ihn davon abzubringen geht nur durch liebevolle Nachsicht und Geduld. Womit wir beim zweiten Missverständnis wären.
Zweites Missverständnis: Beim Meditieren ist Denken verboten!
Eine Yogaschülerin sagte einmal zu mir: “Ich kann nicht meditieren weil ich da nicht denken darf”. Im Grunde lag die Dame gar nicht so falsch, denn im Zustand der Meditation hört das konditionierte Denken tatsächlich auf. Nicht jedoch, in dem wir uns verbieten zu denken. Der Vorsatz: “Ich denke jetzt nicht” heizt unseren Geist erst Recht an. Uns dafür zu verurteilen bedeutet, dass wir selbstabwertende Gedanken produzieren.
Das Ziel, nicht zu denken, entfernt uns also nur weiter vom Zustand mentaler Stille. Der menschliche Geist ist nun einmal dafür geschaffen, unentwegt Gedanken hervorzubringen. Besonders gut erkennen wir das, wenn wir uns still hinsetzen und die Augen schließen. Dann kommt unser Geist nämlich so richtig in Fahrt, weil wir nicht durch unser Tun abgelenkt sind.
Dieses zu erkennen ist der erste Schritt auf dem Weg zur Meditation.
Gedanken annehmen und lenken lernen für die Meditation
Der zweite Schritt ist, das Treiben in unserem Kopf anzunehmen. Uns nicht dagegen aufzulehnen, sondern es ganz und gar zu akzeptieren. Gedanken sind wie kleine Kinder, die uns sagen wollen “Schau her, ich bin ganz wichtig”. Erst wenn wir ihnen die Beachtung schenken, nach der sie verlangen, werden sie ruhiger.
Hat sich ein gesehener Gedanke schließlich zurückgezogen, kommt der dritte Schritt: Die Aufmerksamkeit zurück zum gewählten Meditationsobjekt lenken. Bis der nächste Gedanke nach Aufmerksamkeit schreit. Dann beginnen wir wieder beim ersten Schritt. Diese Übung nennt sich Konzentration auf ein Objekt oder auf Sanskrit dharana.
Setze dich vor eine Kerze, eine Blume, ein Bild oder einfach vor eine weiße Wand. Schalte dein Telefon aus und sorge dafür, dass du ein paar Minuten Ruhe hast. Gib dir die Ausrichtung, dich für eine feste Zeit nur auf dein Objekt zu konzentrieren. Für den Anfang genügen drei bis fünf Minuten. Diese Übung klingt einfach. Du wirst aber schnell merken, wie dein Affengeist davon läuft und sich mit etwas anderem als der Kerze, dem Himmel oder der weißen Wand beschäftigen möchte.
Es werden Gedanken kommen wie:
“Ich sollte jetzt eigentlich arbeiten und nicht hier rumsitzen”. Oder “Mein Bauch ist viel zu dick, ich sollte mehr Sport machen”. Vielleicht kommen auch Gefühle in dir hoch wie Traurigkeit, Müdigkeit, Schmerzen oder Ungeduld. Ganz egal, welchen Gedanken oder welches Gefühl du bemerkst, tue immer das Gleiche: Bewerte nichts. Nimm alles an und umarme es. Etwa, indem du innerlich sagst: “Hallo Gedanke, ich umarme dich”. Oder “Hallo Schmerz, ich umarme dich”.
Du kannst den Gedanken oder das Gefühl auch in eine imaginäre Seifenblase hüllen. Tu, was immer für dich passt. Kehre, sobald du den Gedanken oder das Gefühl bemerkt und umarmt hast, wieder zu deinem Objekt zurück. Tue das Gleiche mit jedem Gefühl und jedem Gedanken. Immer und immer wieder.
Es geht bei der Übung nicht darum, etwas richtig zu machen. Der Sinn ist, deine Gedanken und Gefühle zu bemerken, um deine Wahrnehmung für dich selbst zu schärfen. Dadurch lernst du, dich genauso anzunehmen, wie du bist. Sich in jedem Moment bedingungslos anzunehmen und zu lieben ist die Voraussetzung dafür, dass sich der glückselige Zustand innerer Stille irgendwann einstellen kann.
Drittes Missverständnis: Meditieren bedeutet langes Stillsitzen
Vielen Menschen fällt langes, aufrechtes Sitzen schwer. Sie meinen, deshalb ungeeignet für die Meditation zu sein. Natürlich ist es einfacher, seine Gedanken und Gefühle zu beobachten, wenn man still sitzt und nicht abgelenkt ist. Doch ist dies nicht zwingend nötig.
Genauso gut kann man in jeder Alltagssituation Meditation erleben. Dies wird möglich, in dem man vom Erleben ins Beobachten wechselt.
Damit ist Folgendes gemeint: Wir sind nicht unsere Gedanken. Genauso wenig, wie wir unser Körper sind. Einfaches Beispiel: Wenn ich ein Bein verliere, bin ich immer noch ich. Wenn ich einen Gedanken loslasse und nie mehr denke, bin ich immer noch ich. Gedanken sind ein Produkt unseres Geistes. Sie kommen und gehen und wir können ihnen dabei zusehen.
Egal, was du gerade tust, schalte in den Beobachtermodus. Schaue dafür deine Gedanken und Gefühle an. So, als wären es nicht deine. Zum Beispiel: Beobachte auch, welche Gefühle und Körperreaktionen deine Gedanken auslösen. Zum Beispiel: Nicht immer sind unsere Gedanken so klar. Manchmal flitzen bloße Gedankenfetzen durch unser Bewusstsein und wir können sie gar nicht richtig greifen. Beobachte auch das Chaos in deinem Kopf möglichst gelassen und vor allem wertfrei. Damit wirst du Abstand zu deinen Gedanken bekommen und lernen, dich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren. Du wirst außerdem erfahren, dass du alles, was dein Geist hervorbringt, auch wieder loslassen kannst. Du bist nicht deine Gedanken. Du bist der stille Beobachter. Wenn wir bei alltäglichen Handlungen diese beobachtende und alles bejahende Haltung einnehmen, kann es passieren, dass wir plötzlich ganz in unserem Tun aufgehen. Dass wir etwa den Abwasch nicht mehr wie eine lästige Pflicht hinter uns bringen, sondern er zur meditativen Erfahrung wird. Das geschieht, wenn wir alle Ich-Gedanken losgelassen haben und nur noch das Wasser auf unserer Haut spüren, das Porzellan des Tellers fühlen, den Duft des Spülmittels riechen. Dieses Einssein mit etwas können wir bei Kindern beobachten, die völlig in ihrem Spiel aufgehen. Sie sind damit dem Zustand namens „Meditation“ sehr nahe. Womit mir bei einem weiteren Missverständnis wären. Das eben beschriebene Gewahrsein, das nur beobachtet und nicht wertet, entspricht unserer wahren Natur. Wie Kleinkinder, die weder über Vergangenes grübeln noch an Morgen denken. Die in all ihrem Tun ganz im Hier und Jetzt verweilen. Die die Phänomene der Welt nicht in falsch oder richtig einteilen, sondern betrachten, wie sie sind. Voller Neugier. Das ist Meditation. Wir alle waren einmal Kind und wissen, wie es sich anfühlt, im Hier und Jetzt zu sein. Wir kennen mentale Stille und somit auch den Zustand der Meditation. Wir müssen das Meditieren also keinesfalls neu erlernen. Wir brauchen uns lediglich an etwas zu erinnern, das uns vertraut ist. Was wir tun können ist, der Erinnerung ihren Weg zu ebnen. Indem wir unser konditioniertes, mit Vorurteilen behaftetes Denken Schritt für Schritt beruhigen. Indem wir es beobachten, annehmen und loslassen. Damit unser Geist irgendwann zu seinem natürlichen Zustand glückseligen Stillseins zurückfinden kann. * altindische Sprache, in der alle Quelltexte über Yoga und Meditation verfasst sindEinfach mal der Beobachter sein und die Gedanken loslassen
Viertes Missverständnis: Meditation müssen wir lernen