“Wenigstens habe ich noch meine Freunde”, singt Aura Dione. Freundschaft als Ersatz für Familie und Partnerschaft? Welchen Stellenwert hat Freundschaft in unserer heutigen Gesellschaft? Publizist Martin Hecht hat ein Buch über die Kunst der Freundschaft geschrieben: “Wahre Freunde”.
Was ist wahre Freundschaft?
Unter wahrer Freundschaft verstehen sich natürlich nicht die 500 Freunde aus unserer Facebook-Liste. Nein, die wirklich wahren Freunde sind die, die du an einer Hand abzählen kannst, auf die du dich immer verlassen kannst. Wenn es dir wirklich schlecht geht, sind sie da und erfinden keine Ausrede, warum sie dich gerade nicht unterstützen können.
Es ist ganz normal, dass wir von dieser Art Freunden nicht so viele haben, denn es gibt nur wenig Menschen, die perfekt zueinander passen. Diese Beziehungen entstehen nicht von heute auf morgen, sondern brauchen Zeit, um sich zu entfalten. Dafür kann wahre Freundschaft ewig halten und Liebespartner oder Familienbunde überstehen. Hier nun das Interview mit Martin Hecht, dessen Buch uns sehr gut gefallen hat.
Herr Hecht, direkt die drängendste Frage am Anfang: Was macht Freundschaft in der heutigen Zeit eigentlich so wichtig?
Freundschaft war natürlich immer schon wichtig. In jeder Zeit und jeder Gesellschaft braucht der Mensch Freunde und Beziehungen. Aber es ist natürlich so, dass es bei uns immer mehr Singles gibt, immer mehr Ehen und Partnerschaften zerbrechen. Der “Bruch” als solcher gehört heute zur Grunderfahrung der Menschen.
Wir haben keine festen Strukturen mehr, die für immer und ewig festgeschrieben sind, wie das vielleicht bei unseren Eltern oder Großeltern noch der Fall war. Stattdessen sind wir Einsame in einer Massengesellschaft geworden, in der immer alles in Bewegung ist. Und das macht die Fähigkeit, Freunde zu finden und Freundschaften zu pflegen, sehr wichtig.
Was gehört denn zu dieser Fähigkeit?
In erster Linie Empahtie und Einfühlungsvermögen. Freundschaft ist immer ein Geben und Nehmen und funktioniert also nicht einseitig. Es ist außerdem eine Herzenssache – das heißt, es geht um Gefühle und nicht um verkopfte Entscheidungen.
Ganz wichtig ist Konfliktmanagement! Es kommt immer mal wieder vor, dass Sand ins Getriebe kommt, und damit muss man umgehen können. Freundschaften sind dynamisch. Sie verändern sich, also muss man flexibel sein und nicht darauf beharren, dass der Freund oder die Freundin immer so bleiben muss, wie sie einmal war. Wir verändern uns selbst ja auch.
Sie sagen in Ihrem Buch, man sollte sich in einer Freundschaft nicht auf Kompromisse einlassen. Wie meinen Sie das?
Ja, das klingt natürlich sehr hart. Erst einmal meine ich damit nicht, dass in einer Freundschaft kein Platz für Spaß oder Albernheit wäre, oder dass man sich nicht einigen sollte, wenn man gerade einmal eine Meinungsverschiedenheit hat. Ich spreche eher über das Wesen von Freundschaft. Wer bleibt bei mir und unterstützt mich, wenn ich einmal wirklich Hilfe brauche? Die Zahl der Menschen, auf die man sich wirklich verlassen kann, ist meistens nicht groß und das muss sie auch nicht sein.
Was man überhaupt nicht braucht sind dagegen zum Beispiel Nützlichkeitsfreunde. Menschen, mit denen man nur Kontakt hält, weil man denkt, sie werden einem irgendwann einmal zu etwas nützen. Etwa den Weg zu einem guten Job ebnen. Hier ist das Motiv gar nicht die Freundschaft – das wäre für mich ein Kompromiss, den ich nicht eingehen will.
Ein anderes Beispiel sind Facebook-Freundschaften. Man kann über Facebook auch mit 1.000 Menschen befreundet sein, aber ob ein wahrer Freund darunter ist?
Sie haben in der Neuauflage Ihres Buches ein Kapitel zu den Social Media-Freundschaften ergänzt. Wieso war das nötig?
Ich würde sagen, dass die ganze Euphorie um die Social Media mittlerweile wieder abebbt. Viele Menschen haben erkannt, dass der face-to-face Kontakt wertvoller und gewinnbringender ist. Natürlich haben auch Internetplattformen ihren Nutzen. Durch eine Plattform wie Facebook lassen sich Freundschaften leichter organisieren, und man kann problemlos Kontakt halten mit Freunden, die weiter weg leben und die man nicht häufig sehen kann.
Man darf nur nicht Facebook-Freundschaft mit Freundschaft verwechseln. Es ist nur ein Instrument.
Freunde kann man sich aussuchen, die Familie nicht. Was denken Sie dazu?
Familie ist und bleibt der Ort, in dem wir aufwachsen und das prägt uns das ganze Leben lang. Tatsache ist aber auch, dass nicht alle Familienbeziehungen harmonisch sind und hier eventuell Menschen zusammengewürfelt werden, die außer der Blutsverwandtschaft kaum etwas gemeinsam haben. Familie hat ihre schönen und ihre weniger schönen Seiten. Sie bringt manchmal Zwänge mit sich, zum Beispiel Geburstagsfeiern von Verwandten, die man gar nicht sehen will.
Freundschaft hingegen basiert auf Freiwilligkeit. Wenn ich zu etwas keine Lust habe, kann ich sagen: Ich habe keine Lust. Das macht das eine nicht mehr oder weniger wert als das andere. Es ist einfach eine andere Form von Beziehung und kann sich nicht einfach ersetzen.
Allerdings kann man heutzutage manchmal beobachten, dass etwa bei Alleinerziehenden oder Patchwork-Familien Freunde der Eltern in die Position rutschen, die sonst vielleicht früher ein Partner oder ein anderer Familienangehöriger innehatte. Es entstehen Beziehungen zu Kindern, die keine Familien- sondern Freundschaftsbeziehungen sind. Das ist sicher eine Erscheinung, die es vor 50 Jahren so noch nicht gegeben hat.
Wahre Freunde erkennen
Außerdem ist es wichtig, das Gefühl zu haben, dass du deinem Freund jederzeit alles erzählen kannst. Offenheit und Loyalität sind die Grundpfeiler für eine wahre und langanhaltende Freundschaft. Wenn ihr einen Streit habt, sollte dein Freund außerdem dazu bereit sein, an dem Problem zu arbeiten. Menschen verändern sich und so auch die Freundschaft. Daran kann man aber arbeiten.
Wie ehrlich sollte man denn in einer Freundschaft sein?
Ehrlichkeit ist etwas sehr wichtiges und wertvolles in einer Freundschaft und zwar auf zwei Ebenen: Erstens kann man dem Freund ein Spiegel sein und ihn etwa darauf aufmerksam machen, wenn er gerade eine große Dummheit begeht.
Zweitens ist es etwas sehr Schönes, Geheimnisse mit jemandem teilen zu können und das Gefühl zu haben, alles offen aussprechen zu dürfen, was einem auf dem Herzen liegt. Das bedeutet nicht, dass man jeden Tag seinen Freunden alle Gedanken preisgeben muss. Aber die Möglichkeit sollte dazu bestehen, und das ist sehr befreiend. Wer seinem Freund nie einen Einblick in sein Inneres gewährt, wird ihn irgendwann verlieren.
Das wäre also ein möglicher Grund für das Zerbrechen einer Freundschaft?
Ja. Genauso wie mangelnde Bereitschaft, die Veränderungen in einer Freundschaft mitzutragen. Manchmal tritt auch ein Lebenspartner in das Leben eines Freundes, der die Freundschaft stört oder gar zerstört. Man sollte aber nicht vergessen, dass auch Abschied ein Teil des Lebens ist. Nicht jede Freundschaft ist dazu bestimmt, ewig zu halten. Das ist nicht unbedingt etwas Schlimmes.
Wenn beide an der Freundschaft arbeiten wollen, dann ist es gut das zu tun. Wenn die gemeinsame Zeit aber vorüber ist, dann ist sie vorüber. Man kann ja auch in jedem Lebensalter neue Freunde finden.
Was würden Sie sagen ist das Fazit Ihres Buches?
Ich denke, mein Buch ist die Beschreibung des Ideals. Als ich es geschrieben habe, habe ich mich gefragt: Wer ist eigentlich ein wahrer Freund in meinem Leben und wie definiere ich das? Das Wichtigste dabei ist, dass es eine Herzenssache ist, eine Form von Liebe, die nicht der Verstand steuert. Freundschaft ist eine Bereicherung des Lebens und ich möchte dazu ermuntern, sich diesen Gefühlen zu öffnen und für sich herauszufinden, was man selber von einer Freundschaft erwartet und was einem in einer Freundschaft besonders wichtig ist.
Vielleicht gibt es da ja bei dem ein oder anderen Leser dieses Buches auch eine Art Klärung, was den eigenen Freundeskreis angeht, sodass er die schönen Seiten der Freundschaft noch besser erleben und genießen kann. Das würde ich allen meinen Lesern sehr wünschen.
Herr Hecht, vielen Dank für das Gespräch!
Wie man wahre Freunde findet
Einen wahren Freund zu finden ist wie ein Sechser im Lotto, nur nicht ganz so unwahrscheinlich. Viele haben mindestens einen ihrer wirklich guten Freunde schon sehr früh in der Schule kennengelernt und sind bis heute mit ihm durch dick und dünn gegangen. Aber natürlich kann man auch später noch Freundschaften aufbauen und diese wachsen lassen.
Gehe unter Leute, probiere einen neuen Sport aus oder besuche einfach mal eine Party, nur um interessante, neue Menschen kennenzulernen. Das tolle: Ein wahrer Freund nimmt dich so wie du bist. Am Ende brauchst du nur ein wenig Mut, um auf andere zuzugehen. Der Rest passiert dann ganz von allein.