An diese mütterliche Mahnung erinnern sich wohl viele: „Iss auf, was Du auf dem Teller hast. Denk’ doch an die hungernden Kinder in Afrika.“ Wie Mahelet in Äthiopien satt werden soll, wenn ihr Sprössling Zuhause die Mahlzeiten verputzt, diese Erklärung blieb die Mutter am heimischen Küchentisch meist schuldig. Und doch fühlte sie wohl instinktiv, was inzwischen öffentlich debattiert wird: Weniger Verschwendung hierzulande käme der globalen Ernährung zugute.
Rein statistisch gesehen gibt es auf der Welt – noch – ausreichend Nahrung, um derzeit sieben Milliarden Menschen zu ernähren. Mit einer geschätzten Bevölkerung von neun Milliarden bis zum Jahr 2050 kann sich das ändern. Zudem ist die Nahrung ungleich verteilt. 925 Millionen Menschen hungern nach Angaben der Welternährungsorganisation FAO – die meisten davon leben in Südasien und in Sub-Sahara-Afrika. In Burundi, der Demokratischen Republik Kongo, Eritrea und im Tschad ist die Situation besonders schlimm. Dafür sind viele Faktoren verantwortlich: interne Konflikte, Dürren oder Überschwemmungen, die durch den Klimawandel noch zunehmen, eine unterentwickelte Infrastruktur, stark schwankende Lebensmittelpreise.
Lebensmittel werden zu schnell entsorgt, obwohl sie noch für den Verzehr geeignet sind
In welchem Ausmaß unser Ess- und Konsumverhalten ebenfalls zum Hunger in der Welt beiträgt, ist unter Experten umstritten. Dass es eine Verbindung gibt, zeigt der 2011 veröffentlichte Film „Taste the Waste“ von Valentin Thurn. Danach landet rund die Hälfte aller Lebensmittel – bis zu 20 Millionen Tonnen allein in Deutschland – im Müll. In Industrieländern wird bis zu 40 Prozent der Erntemenge bereits auf dem Acker aussortiert – etwa Kartoffeln oder Äpfel, die zu groß, zu klein, zu krumm sind oder zu viele Dellen haben. Auch der Handel, so Thurn, vernichtet zwischen 14 und 50 Kilo Nahrung pro Einwohner im Jahr.
Der Grund: Supermärkte müssen stets alles frisch vorhalten – Ladenhüter werden weggeworfen, auch wenn sie noch essbar sind. Zuhause landen abermals große Mengen an angebrochenen oder abgelaufenen Lebensmitteln und Speisereste im Müll. Würden wir weniger wegschmeißen (und kaufen), müsste weniger produziert werden. Und damit ließe sich ein großer Teil der globalen Energie- und Wasserreserven einsparen, die die industrielle Landwirtschaft – auch in Entwicklungsländern – verbraucht. Doch noch wird die Umwelt gerade in den Regionen, in denen hungernde Menschen leben, zerstört. Die Qualität der Ackerböden nimmt ab, die Erträge sinken. All das verschlimmert die Situation der Ärmsten.
2017 schlug der Minister für Ernährung und Landwirtschaft Christian Schmidt vor, das Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) teilweise abzuschaffen. Spätestens seit der Diskussion um die Willkür der Mindesthaltbarkeitsdaten, besteht ein neues Bewusstsein für die Haltbarkeit von Nahrungsmittel. Leider werden trotzdem noch immer viele Lebensmittel weggeschmissen, einzig aus dem Grund, dass das Mindesthaltbarkeitsdatum den Eindruck erweckt, dass Produkt sei abgelaufen. Dabei verweist es erstens daraufhin, bis wann das Lebensmittel mindestens haltbar ist, also nicht, wann es definitiv nicht mehr verzehrbar ist. Zudem können wir uns durchaus auf unsere Sinne verlassen. Sieht man Schimmel? Hat sich die Farbe verändert? Riecht das Produkt anders? In der Regel können wir davon ausgehen, dass abgelaufene Produkte auch abgelaufen aussehen oder riechen. Ergänzend zum Mindesthaltbarkeitsdatum schlägt Schmidt das Verbrauchsverfallsdatum unter anderem für Molkeprodukte vor. Bei lange haltbaren Produkten wie Nudeln wurde sogar die Abschaffung des MHDs gefordert, da sie bei korrekter Lagerung noch Jahre später verzehrbar sein sollen. Sogar Joghurt (verschlossene Verpackung) soll noch Monate nach Ablauf des MHDs problemlos verzehrt werden können. Bislang ist das Verbrauchsdatum nur für Produkte wie Hackfleisch oder Räucherfisch verpflichtend. Unterscheidet sich aber auch hier eindeutig vom Mindesthaltbarkeitsdatum.
Unser Konsum fördert den Hunger in der Welt
Überdies wird Getreide immer weniger als Menschennahrung, sondern als Viehfutter verwendet. Für ein Kilo Schweinefleisch werden drei Kilo Futter benötigt, rechnet die Welthungerhilfe vor, für ein Kilo Rindfleisch sogar sieben Kilo Futter. Die gesteigerte Nachfrage lässt die Getreidepreise in die Höhe schnellen – was Arme zuerst zu spüren bekommen. So kletterte der Preis für Maismehl, ein Grundnahrungsmittel in Ländern wie Kenia, rasant in die Höhe. Viele Familien müssen auf Mahlzeiten verzichten.
Ähnlich wie beim Biosprit verringert der Getreideanbau für Viehfutter außerdem die Ackerflächen, die für die Nahrungsproduktion zur Verfügung stehen. Den Kleinbauern geht fruchtbares Land für die Erzeugung von Obst oder Gemüse verloren. Was sie vorher für den Eigenbedarf anbauen konnten, müssen sie jetzt teuer dazu kaufen.
Und so kommt es, dass das, was wir nicht essen, sich genauso global auswirkt, wie das, was wir essen. Beispiel Hühnchen: Wir verspeisen fast nur noch die edleren Teile, wie etwa die Brust. Hühnerbeine und andere ungeliebte Reste gelangen als subventionierte Billigimporte aus Europa auf Märkte in Ghana oder im Senegal und zerstören dort die Hühnerzucht. Zahlreiche Kleinbauern werden von Armut und Hunger bedroht. „Keine chicken schicken“ lautete deshalb schon vor Jahren eine politische Forderung des Evangelischen Entwicklungsdienstes (EED) an die Europäische Union.
Was kann ich selbst gegen den Hunger auf der Welt tun?
Die Ratschläge an die Verbraucher lauten: weniger Fleischkonsum, mehr Gemüse und mehr heimische Lebensmittel. Letztere sind auch gut gegen den Klimawandel, denn im Winter aus Argentinien herbei geflogene Erdbeeren tragen mit dem dabei entstehenden CO2-Ausstoß zur Klimaerwärmung, zu extremen Wetterereignissen, Zerstörung von Lebensraum und so erneut zu Hunger bei. Auch Fischverzehr kann problematisch sein, denn der industrielle Fischfang führt zum Leerfischen der Meere und zu größerer Armut der lokalen Fischer. Doch woran soll man erkennen, was man essen darf und was nicht?
Das richtige Siegel hilft bei der Auswahl fairer Produkte
Im Dschungel der Bio- und Nachhaltigkeitssiegel sind viele Verbraucher überfordert. Eine Lösung bietet der Faire Handel an: Kleinbauern aus dem Süden erhalten für ihre Erzeugnisse wie Kaffee, Tee, Kakao oder Orangensaft, einen höheren Preis und werden darin geschult, umwelt- und klimafreundlich zu produzieren. Der Kauf eines Fairtrade-Produktes hilft so gegen Hunger und Armut.
Börsenspekulation: Zocken auf Kosten der Hungernden
Andere Ursachen des Ernährungsproblems kann der Einzelne weniger leicht beeinflussen: allen voran die Spekulation mit Nahrungsmitteln, die für extreme Preissteigerungen verantwortlich ist. Die Verbraucherorganisation Foodwatch gibt den Banken die Mitschuld am globalen Hunger, weil sie auf Agrarpreise wetten. Auch von politischer Seite werden vermehrt Regeln gegen solche Spekulationen gefordert – gegen den Widerstand derer, die staatliche Kontrolle der Finanzmärkte ablehnen. Verbrauchern bleibt, politischen Druck auszuüben und sich als (Klein-)Anleger zweimal zu überlegen, in solche „Index-“ und „Agrofonds“ und damit schlimmstenfalls in den Hunger auf der Welt zu investieren.