Wo kommt eigentlich das Yoga her, das wir in Fitness-Studios und Volkshochschulen angeboten bekommen? Hat es einen nachvollziehbaren Ursprung in Indien? Ist es ausschließlich ein kommerzialisierter Mix aus Fitness und fernöstlicher Esoterik? Ist es einfach nur chic, das Ganze nachzutanzen? evidero-Geschäftsführer Thimo Wittich ist nach Indien gereist und hat sich auf Spurensuche begeben.
Schaut man sich die Kurspläne der meisten Fitness- und Yoga Studios an, so stößt man oft auf Bezeichnungen wie Power Yoga, Vinyasa Flow, Hatha Yoga Flow, Jivamukti Yoga, Yoga für Schwangere, Rückbildungsyoga, Kinderyoga oder Business Yoga.
Eine Orientierung oder Rückverfolgung, was das alles nun mit einer indischen Weisheitslehre zu tun hat, die nachweislich tausende von Jahren alt ist, fällt hier selbst dem Interessiertesten oft schwer.
evidero hat sich auf Spurensuche begeben und stieß auf eine Entwicklungs-Geschichte, die man auch als „yogischen Dreisprung“ bezeichnen kann. Denn taucht man in das yogisch geprägte Indien ein und versucht, sich einen Überblick über die Wurzeln des modernen Yogas zu verschaffen, stößt man auf drei Namen bzw. Werke, die für die Entwicklung durch die Jahrhunderte von größter Bedeutung sind. Insbesondere für die Entstehung der Formen der Asana-Praxis (der körperlichen Übungen), die bei uns im Westen am weitesten verbreitet sind.
Patañjali als Gründer des Yoga
Zunächst muss man rund 2.000 Jahre zurückgehen, um Bekanntschaft mit dem Gelehrten und Weisen Patañjali zu machen. Patañjali als Begründer des Yogas zu bezeichnen, geht sicherlich zu weit. Er ist aber eine zentrale Gestalt, da er die bis dorthin nur mündlichen Überlieferungen als Erster schriftlich in insgesamt 196 sogenannten Sutras zusammenfasste. Seine Lehre weist eine große Nähe zum zu dieser Zeit aufkommenden Buddhismus auf. Beide, sowohl Patanjali als auch Buddha, widmen sich dem nach innen gerichteten Weg zur Loslösung vom menschlichen Leiden hin zur befreienden Erkenntnis. Schon im zweiten Sutra gibt Patañjali die universelle und zeitlose Definition dessen, was Yoga bedeutet:
„Yoga ist das Zur-Ruhe-Kommen der geistigen Tätigkeiten“
Gemeint ist hier das Hemmen der Geistesaktivitäten des Alltagsbewusstseins. Schlicht ausgedrückt geht es also um das Beruhigen unserer permanenten Gedankenströme. Stell dir vor, dein Bewusstsein wäre auf einem Bildschirm sichtbar. Und am unteren Bereich dieses Bildschirms läuft ohne Unterbrechung ein Kommentarband, das deine Handlungen und Wünsche bewertet. Und nicht nur das, es verbindet uns auch mit den Erinnerungen aus der Vergangenheit und den Ideen für die Zukunft und blockiert damit das Hier und Jetzt.
Es ist dieses Alltagsbewusstsein, das uns mit den Dingen der äußeren Welt verknüpft. Jeder Mensch identifiziert sich demnach mit den äußeren, oberflächlichen Dingen und formt aus diesen Erfahrungen seine Identität. Obwohl er das Potential in sich trägt, erkennt er sein wahres und ewiges Selbst nicht mehr. Dieses wahre Selbst ist der zentrale Gedanke aller mystischen Weisheits-Lehren; von Meister Eckhardt, einem Theologen und Philosophen aus dem Mittelalter, sehr einprägsam als göttliches „Fünklein“ in uns bezeichnet.
Patañjalis Yoga-Sutras stellen somit eine Art „Road Map“ dar, die uns helfen soll, die Gebundenheit des Menschen aufzuheben und ihn zu seinem wahren Kern zu führen. Dies geschieht ohne großen religiösen Überbau, sondern als klare pragmatische Handlungsanweisung. Für die damalige Zeit sind das gewaltige psychologische Einsichten.
Yoga Asanas: Meditation durch körperliche Übungen
Es offenbart sich hier das riesige Potential, das Yoga für jeden Einzelnen von uns bereithält. Sei es aus rein psychologischer oder auch aus spiritueller Sicht: das Zur-Ruhe-Kommen unserer gedanklichen Tätigkeiten führt uns an einen Ort, an dem wir uns selber begegnen können. Jeder, der es einmal ernsthaft mit Meditation oder Yoga-Übungen versucht hat, wird dies bestätigen können. Es kehrt eine besondere Art der Ruhe ein, die uns den Augenblick sensibler und klarer erleben lässt und uns eine Ahnung gibt, dass hinter diesem permanent ablaufenden Kommentarband eine Stille wartet, die uns heilen kann.
Würde Patañjali allerdings heutzutage in eine der oben genannten Yoga-Klassen hineinstolpern, würde er sicherlich zunächst wenig von seinem Weg wiedererkennen können.
Das körperbetonte Yoga, so wie wir es heute kennen, ist großer Wahrscheinlichkeit nach nämlich erst in den letzten tausend Jahren entstanden und kann somit als das Baby der großen Yoga-Familie bezeichnet werden. Diejenigen, die es im zehnten Jahrhundert nach Christus entwickelt haben, nannten es Hatha Yoga.