Alle sprechen von Burnout. Was ist eigentlich dran an der Modediagnose? Unsere Autorin Caro Ritgen greift die Frage auf in ihrer Kolumne “Vom Work-Life-Bullshit zur Balance”.
Liebe Business-Punks!
Würde Gott die Erde heute in sieben Tagen erschaffen, bekäme er ein Managergehalt und einen Burnout – das ist total klar. Die Arbeitstiere unter euch, die so viel wie er arbeiten, können sich „gottgleich“ nennen. Ihr wollt etwas erreichen, seid Angestellte, die in Unternehmen etwas unternehmen.
Das macht euch zu besseren Mitarbeitern, Studenten, Managern und Eliten: intelligent, flexibel, ausdauernd. Stellenprofil: sehr belastbar. Nachtschichten machen euch nichts aus, keine Überstunde ist zu viel, jeder Arbeitsauftrag wird angenommen. Damit seid ihr die „Work hard, play hard“-Typen, die diese Welt braucht.
Ist Burnout nicht nur eine Modediagnose?
Während die Nutzer und Förderer der Psycho-Branche die Krankenkasse mit Therapie belasten, macht ihr eure Vorgesetzten, Dozenten und Mutti stolz: „Dieses Jahr schaffe ich es nicht in den Urlaub“ sagt ihr mit einem Lächeln. Burn-out? Das ist für euch eine Modediagnose, die „moderne Depression für den Manager“.
Ihr habt das Gejammer der Deutschen statt, erst recht den Stressreport 2012. Demnach arbeite jeder Zweite unter Termindruck, jeder Vierte verzichte auf eine Pause und jeder Fünfte fühle sich überlastet – die Jammerlappen sind „out“, auch ohne „burn“. Sogar Arbeitgeber-Präsident Dieter Hundt hat zu Spiegel-Online gesagt:
„Es ist falsch, psychische Erkrankungen vorrangig auf Arbeit zurückzuführen, das Gegenteil ist richtig“.
Beschäftigte würden seltener an psychischen Erkrankungen leiden als Nichtbeschäftigte. Demnach hätte Gott Harz IV und eine Depression empfangen, wenn er die Erde nicht erschaffen hätte. Möglicherweise.
Aber Gott arbeitet als Arzt für Allesmedizin, Pfleger, Erzieher, Lehrer, Seelsorger und Richter – in Vollzeit. Wie Gott lebt ihr wie ein lebendiges Burn-out-Antibiotikum in dem Leben, was nach dem Feierabend tobt. Auf einer After-Job-Party geht ihr fleißig netzwerken, mit einer tollen Idee erstellt ihr noch kurzfristig eine Präsentation. Am nächsten Morgen sprecht ihr so cool wie ein Punk, eben Business-Punk, vollkommen stressfrei. Wie macht ihr das?
Ihr wisst, die beste Vorsorge gegen Stress ist, Stress von vorneherein zu vermeiden. Google hilft beim Ideen-Abkupfern und ein Liter Kaffee gegen Müdigkeit. Achtung Suchtgefahr! Die Bewunderung der Durchschnitts-Menschen gibt euch das Gefühl, auf der Seite der Besseren zu sein.
Immer mehr Menschen schließen sich euch an. Mit über 300 Facebook-Freunden seid ihr so beliebt, dass euer Smartphone mindestens einmal pro Stunde vibriert. Ihr seid die Talente des Multitaskings – wie Gott. Wegen dieser ganzen Beterei hört er immerzu mehrere Stimmen gleichzeitig, ohne schizophren zu sein. Er hört sich den ganzen Kummer und die Sorgen an von Menschen mit Problemen, für die busy People keine Zeit haben.
Auf private Belastungen lasst ihr euch gar nicht erst ein, weil ihr klug genug seid, euch nicht darum zu kümmern. Ihr geht mit einem Lächeln und zwei, drei charmanten Standard-Floskeln durch die Welt. So bemerkt nicht einmal eure Freundin oder euer Freund eure Oberflächlichkeit.
Denn ihr seid ja sogar cleverer als Gott: Probleme macht ihr nicht zu eurem Problem – das ist für euch die ultimative Super-Lösung aller Probleme. Deshalb könnt ihr auch getrost auf die Nutzer und Förderer der Work-Life-Bullshit-Industrie herab blicken und sagen: „Selbst schuld“. Stress entsteht ja „nur“ im Kopf. Das ist richtig, vor allem eine richtig naive Milchmädchen-Rechnung.
Was passiert überhaupt bei einem Burnout?
Wenn der Mensch unter Stress gerät, wird das Gehirn mit Zucker versogt. Es schießen Hormone namens Cortisol, Noradreanlin und Adrenalin ins Blut. Diese kleinen Adrenalinstöße steigern die Leistungsfähigkeit. Doch wenn diese Hormon-Ausschüttungen ständig durch unser Speichersystem laufen, was macht die Festplatte dann? Sie leidet an Überbelastung — Error.
Ein Burn-out ist gemein, er kommt unbemerkt und selten allein, hat gerne eine Depression dabei. Oder eine andere Störung mit schlaflosen Nächten, Schweißausbrüchen, Schwindel, Übelkeit, Herzrasen, Zittern oder sogar Nebel im Kopf. Diese Krankheiten werden durch Stress ausgelöst und verschlimmert. Sie werden in der Medizin „Störungen“ genannt, weil durch die Überbelastung die Zellstoff-Produktion gestört werden kann – nicht, weil die Menschen „gestört“ sind.
Manche Menschen können nicht mehr alle Glückshormone produzieren – „Fehler in der Festplatte“ sozusagen. Wenn ein Mensch nervös ist oder sich aufgeregt, wirken Glückshormone dagegen und machen die Anspannung erträglich. Wenn jemand traurig ist, weil etwas Schlimmes passiert ist, steuern Glückshormone die Stärke des Seelenschmerzes.
Manche Menschen mit „Psycho-Defekt“ zittern vor Stress, weinen oder bekommen Kopfschmerzen, obwohl sie wissen, dass es übertrieben ist. Sie können es aber nicht ändern. Sie ertragen mehr als „gesunde“ Menschen, weil sie müssen.
Es ist ähnlich wie bei Menschen mit Parkinson, die können auch bestimmte Zellstoffe nicht mehr produzieren – deshalb zittern sie. Zittern ist lediglich ein Symptom defekter Gehirnzellen. So, wie jeder Parkinson bekommen kann, kann auch jeder psychisch krank werden. Kandidaten, die viel arbeiten, um so erfolgreich wie möglich zu sein, gehören zur gefährdeten Gruppe.
Da ihr euren intakten Adrenalin-Haushalt noch habt, könntet ihr dieses göttliche Geschenk positiv nutzen und euch gegen Überbelastung wehren. Ihr habt nämlich die Stressresistenz dazu.
Muss man den Trottel-Trend zum „Work hard, play hard“-Typen mitmachen? Ist es noch zeitgemäß, dass in Stellen-Ausschreibungen die Grundanforderung „belastbar“ steht? Die Ausfallzeiten wegen psychischer Erkrankungen steigen. Gott hat kein Manager-Gehalt, kein Harz IV, keine Depression und keinen Burnout. Warum? Er ist nicht versichert. Und ein Gott, kein Mensch.