Im ersten Teil des evidero-Interviews mit Buch-Autor Peter Mersch haben wir erfahren, wie Übergewicht entsteht. Im zweiten Teil klären wir die Frage, wie man wirklich abnehmen kann und warum so viele Diäten einfach nicht funktionieren.
Es gibt wahnsinnig viele Diätformen, was taugen die eigentlich? Gibt es Ihrer Meinung nach DAS Rezept gegen Übergewicht?
Nein, DAS Rezept gibt es sicherlich nicht. Viele Menschen sind aus den schon genannten Gründen übergewichtig. Sie sollten sich an die von mir empfohlenen Maßnahmen halten.
Allerdings trifft dies nicht auf alle Übergewichtigen zu. Bei manchen Menschen liegt eine Stoffwechselerkrankung vor, andere werden übergewichtig, weil sie ein bestimmtes Medikament einnehmen müssen; auch kann chronischer Stress eine Rolle spielen. Die jeweiligen Ursachen sind im Einzelfall abzuklären. Allerdings sollte man keineswegs zu vorschnell schließen, die Hauptursache könnte Stress sein. Viele Übergewichtige leiden allein schon deshalb unter Dauerstress, weil ihr Gehirn nur aus Glukose Energie gewinnen kann. In den Nahrungspausen (insbesondere in der Nacht) kommt es bei ihnen dann immer wieder zu einer verstärkten Ausschüttung von Stresshormonen, die mit einer Verzuckerung von Körperproteinen (Muskeln, Bindegewebe etc.) einhergeht, und zwar zur Versorgung ihres Gehirns mit Glukose. Der Stress ist in diesem Fall jedoch nicht die Ursache des Übergewichts, sondern dessen Folge. Gleichzeitig schwächt die häufige Proteinverzuckerung die Körpersubstanz. Ich beschränke mich in meinen Büchern auf Übergewichtige, die ansonsten gesund sind. Bei allen anderen müsste man gegebenenfalls genauer hinschauen.
Welche Rolle spielt Sport beim Abnehmen? Und welcher Sport ist der sinnvollste?
Sport spielt insbesondere dann eine große Rolle beim Abnehmen, wenn ich mich kohlenhydratreich ernähre und dabei auch bleiben möchte. Denn wie bereits geschildert, kann das Gehirn unter solchen Ernährungsbedingungen das Körperfett nicht nutzen. Man kann überreichliches Körperfett dann nur über zusätzliche Muskelarbeit verbrauchen. Die Sportart selbst ist meiner Meinung nach weniger entscheidend, solange sie körperlich ausreichend fordernd ist, sodass auch tatsächlich Fett verbrannt wird. Das wäre beim Schachsport beispielsweise noch nicht der Fall.
Gleichzeitig leiden viele Übergewichtige unter einer geschwächten Körpersubstanz, deshalb sollten sie gelenkbelastende Sportarten lieber weglassen, selbst wenn sie für die Fettmobilisierung eigentlich optimal wären. Ernährt man sich so, wie ich es empfehle, dann muss man nicht unbedingt noch zusätzlich Sport betreiben, um Gewicht zu verlieren, da dann das Gehirn bereits für eine ausreichende Fettverbrennung sorgt. In diesem Fall könnte man sogar beim Schachspielen Gewicht verlieren. Denken statt Sport könnte die Devise lauten.
Was können Sie übergewichtigen Menschen raten, um sie zum Abnehmen zu motivieren?
Es ist für Übergewichtige viel wichtiger, ihren Gehirnstoffwechsel zu trainieren, als sich sklavisch an eine Diät zu klammern. Denn viele Diäten haben so viele Regeln und Einschränkungen, dass sie auf Dauer nur schwer durchzuhalten sind. Wer seinen Kreislauf trainieren und seine Ausdauer verbessern möchte, muss auch nicht den ganzen Tag durch die Gegend rennen. Es reicht, dies zwei- oder dreimal in der Woche zu tun und sich ansonsten wie gewohnt zu verhalten. Bei Diäten scheint man aber noch immer zu glauben, die Übergewichtigen müssten sich unbedingt wochenlang, jahrelang oder sogar lebenslänglich penibel an bestimmte Regeln halten, und zwar Tag für Tag. Das halte ich für falsch. Auch scheint mir der Versuch, über einen längeren Zeitraum zu hungern (das heißt, sich unterkalorisch zu ernähren, z. B. mittels FDH), eher demotivierend zu sein.
Ich empfehle jedem, der abnehmen will, jede Woche mindestens zwei aufeinander-folgende strikt kohlenhydratarme Tage einzulegen. Bei Normalgewichtigen reicht meist ein Tag, um die einmal erlangten Fettverbrennungsfähigkeiten des Gehirns nicht wieder zu verlieren. In früheren Jahren war es üblich, einmal im Jahr eine Fastenzeit durchzuführen. Die Wirkungen beider Maßnahmen dürften durchaus vergleichbar sein: In beiden Fällen erfolgt ein baldiger Wiederanschluss des Gehirns an den Fettstoffwechsel.
An den restlichen Wochentagen können sich Übergewichtige dann so ernähren, wie es ihrem Geldbeutel, ihren Vorlieben (z. B. Geschmack) und Ansprüchen (z. B. ethischer Art) und grundsätzlichen gesundheitlichen Erwägungen (sodass sie z. B. nicht nur Softdrinks und Süßigkeiten zu sich nehmen) entspricht. Die Wahl der Diät an diesen Tagen ist nicht unbedingt entscheidend. Viel wichtiger ist, dass sie lernen, über mehrere Tage notfalls ganz ohne Nahrungskohlenhydrate auszukommen. In der Altsteinzeit war eine solche Fähigkeit Grundvoraussetzung für das tägliche Überleben.
Es gibt zahlreiche Hinweise darauf, dass der von mir empfohlene Wiederanschluss des Gehirns an den Fettstoffwechsel (beziehungsweise die Wiedererlangung der Ketolysefähigkeit des Gehirns) einen sehr guten Schutz vor einer späteren Demenzerkrankung darstellt. Auch scheint er sich positiv auf Migräne, Epilepsie und andere neurologische Erkrankungen auszuwirken. Umgekehrt ist Übergewicht in mittleren Jahren ein klarer Risikofaktor für die relativ frühzeitige Entstehung einer Alzheimererkrankung. Auch solche Faktoren könnten übergewichtige Menschen zusätzlich zum Abnehmen motivieren.
Vielen Dank für das Gespräch
Die Fragen stellte Tanja Korsten