Um die Ursachen für Übergewicht zu ergründen, ist es wichtig zu wissen, woher der Mensch eigentlich kommt. Was ist sein genetisches Programm? Was ist für ihn natürlich? Wie waren die Bedingungen vor 20.000 Jahren, aus denen die Mechanismen kommen, die uns auch heute noch bestimmen? evidero-Ernährungsexperte Marcus Lauk weiß, der Auslöser ist akuter Bewegungsmangel.
In der Steinzeit sind Menschen jeden Tag 20 Kilometer gelaufen. Sie haben sich an der frischen Luft bewegt und waren ständig körperlich aktiv. Ab und zu sind sie Tieren hinterher gesprintet. Ganz anders ist es in der Gegenwart: Heute läuft jeder von uns im Durchschnitt noch 750 Meter am Tag. Das sind nicht mal mehr vier Prozent von dem, was eigentlich natürlich ist.
Der Steinzeitmensch ist nicht nach dem Aufstehen an den Kühlschrank gegangen und konnte sich aus einem reichhaltigen Nahrungsangebot etwas heraussuchen. Er musste durch Jagen und Sammeln sein Essen selber beschaffen. Bevor er auch nur eine einzige Kalorie zu sich nehmen konnte, hatte er schon hunderte auf seinem Weg dorthin verbrannt.
Heute nehmen wir tausende Kalorien zu uns, ohne dabei eine einzige verbrennen zu müssen. Und gerade weil wir heute zu jederzeit und überall etwas zu essen bekommen und auch gerne zuschlagen, ist es umso wichtiger, dass wir uns bewegen.
Und es kann ja auch so einfach sein. “Bewegungs-Geschenke” liegen überall auf der Straße:
Fahrt doch lieber mal mit dem Rad statt mit dem Auto oder der Bahn; ignoriert die Rolltreppe oder den Aufzug und lauft selber die Stufen; nehmt einen Parkplatz weiter weg vom Supermarkteingang.
Kalorien werden gepeichert
Unser genetisches Programm ist auf die Verarbeitung von natürlichen Lebensmitteln ausgelegt. Der Steinzeitmensch hat das gegessen, was die Natur zu bieten hatte. Beispielsweise hat er eine Nuss gefunden und sie gegessen. Die Nuss enthält tausende von chemischen Substanzen, die der Körper kennt und verarbeiten kann. Heute essen wir hochverarbeitete Lebensmittel. Wir kaufen Lebensmittel im Supermarkt, ohne die Inhaltsstoffe zu kennen. Oft sind es viele Kalorien, und zwar mehr als wir brauchen. Wir nehmen also permament mehr zu uns als wir für unseren täglichen Bedarf benötigen, die Kalorien werden gespeichert. Bei dem einen mehr und bei dem anderen weniger. Das Speichern ist auch eine sinnvolle Funktion, wenn man sich die Bedingungen vor 20.000 Jahren vor Augen hält.
Damals gab es nicht jeden Tag etwas zu essen, es war also durchaus sinnvoll mehr zu essen als man brauchte. Man musste seine Speicher voll machen, um Hungerzeiten zu überbrücken. Und letztendlich haben diejenigen überlebt, die gut speichern konnten. Heute gibt es diesen Wechsel zwischen Essen und Hungern nicht mehr. Wir bekommen überall und jederzeit etwas essbares. Weil dieser Mechanismus aber immer noch in uns drin ist, essen wir immer noch mehr als wir brauchen und das jeden Tag. Wir speichern also immer mehr ohne uns zu bewegen. Es werden keine Kalorien verbrannt und man wird dick.
Stress und Übergewicht
Auch Stress ist eine Übergewichts-Ursache. Viele von uns sind heute einer Art von Stress ausgesetzt, den unser genetisches Programm nicht kennt. Acht Stunden am Schreibtisch sitzen – das ist Stress für uns. Ebenso die Technik, die schnellen Bilderwechsel am Computer oder im Fernsehen. In manchen Musikvideos gibt es fünf Bildsequenzen pro Milisekunde. Früher in der Natur gab es ein einziges Bild – und das über Stunden. Wenn wir gestresst sind, wird das Hormon Cortisol ausgeschüttet. Dieses Hormon dockt an die Rezeptoren an, an denen eigentlich das Hormon Insulin andocken soll. Das Insulin kommt also nicht dort an, wo es soll, und der Körper produziert immer mehr Insulin. So kommt beispielsweise die Zuckerkrankheit “Typ-2-Diabetes” zustande, ich nenne sie daher auch Lifestyle-Diabetes.
Fertigprodukte und Nahrungsmittelergänzung
Eine weitere Ursache von Übergewicht ist die Art der Lebensmittel, die wir zu uns nehmen. Sie sind nicht mehr natürlich, sondern hochverarbeitet. Die Lebensmittelindustrie ist ein großes Geschäft, denn gegessen wird immer. Die Zahl derer, die nicht kochen können oder wollen, wird immer größer. Laut einer Studie verbringen Männer und Frauen im Durchschnitt 136 Minuten am Tag im Internet, aber sie glauben, dass sie keine Zeit haben, zu kochen. Zeit hätten sie schon, es ist ihnen einfach nicht mehr wichtig, sich damit zu beschäftigen. Sie kaufen also Fertigprodukte oder versuchen ihrem schlecht gekochten Essen mit Pulvern einen guten Geschmack zu geben. In den Fertigprodukten sind viel weniger Stoffe drin als in natürlichen Lebensmitteln. Wichtige Inhaltsstoffe fehlen uns und der Körper sagt, dass wir mehr brauchen. Das äußert sich in Hunger, also essen wir mehr. Aber wir essen mehr von Dingen, die wir nicht brauchen und in denen wieder die wichtigen Stoffe fehlen. Qualitativ sind diejenigen, die sich so ernähren, unterversorgt, quantitativ aber überversorgt. Sie nehmen mehr Kalorien und Masse zu sich als sie brauchen. Trotz dieses Lebensstils wollen viele ein gutes Gewissen haben, etwas für ihre Gesundheit getan zu haben, also trinken sie zu ihren Fertignudeln eine Vitamin C-Brausetablette.
Lebensmittelhype und Hoffnung in Dosen
In einer Zucchini sind circa 20.000 chemische Substanzen in einer ganz bestimmten Konzentration enthalten, eine Substanz davon ist Vitamin C. Wie kann man also sagen, dass Vitamin C der Grund dafür ist, dass die Leute, die Zucchini essen, gesünder sind? In der Zucchini gibt es tausende sekundäre Pflanzenstoffe, die noch gar nicht erforscht sind. Die Zucchini ist gesund, weil sie ein komplexes Zusammenspiel von vielen Inhaltsstoffen ist.
Es gab auch mal einen Olivenöl-Hype. Da hieß es plötzlich, dass Olivenöl gesund sei. Wie kam das zustande? Man hat festgestellt, dass die Leute, die viel Olivenöl zu sich nehmen, weniger Herzinfarkte bekamen. Dass sich die Leute von ihrem eigenem, im Garten angebauten Gemüse ernährt haben und dazu noch 120 Fastentage im Jahr hatten, wurde ignoriert. Man hat sich lediglich das Olivenöl heraus gepickt.
Man könnte auch aus einem Formel 1- Gewinner-Wagen eine spezielle Schraube herausbauen und von diesen Schrauben 100 auf einen Haufen legen und hätte trotzdem kein Gewinnerauto. Es gibt kein Lebensmittel auf der Welt, das nur einen einzigen Stoff wie Vitamin C enthält. Es ist eben die Gesamtkomposition, die ein gesundes Leben ausmacht.
Tipps für den Alltag:
- Bewegt euch so oft ihr könnt. Fahrt Fahrrad und ignoriert Rolltreppen und Aufzüge!
- Esst nur, wenn ihr Hunger habt und auch nur so viel bis ihr satt seid!
- Vermeidet Stress!
- Esst natürliche Lebensmittel und lasst Fertigprodukte weg!
- Nahrungsmittelergänzungen braucht ihr nicht, wenn ihr euch ausgewogen ernährt!
Gesamtkomposition ist auch das richtige Stichwort für meinen nächsten Text hier bei evidero. Darin werde ich euch mehr von den Langlebigkeits-Zonen berichten, die ich besucht habe.
Aufgezeichnet von: Tanja Korsten