Dies ist der zweite Teil des Interviews. Bitte lest zuerst den ersten Teil zum Thema Yogatherapie!
Kann Yoga schaden?
Yoga hat sich zur Massenbewegung entwickelt. Immer häufiger werden auch Stimmen laut, die dem Yoga schädliche Wirkung auf unsere Gesundheit wie etwa durch überdehnte Bänder oder Rücken-/Schulter-Leiden zuschreiben. Wie verträgt sich das mit dem Ansatz der Yoga Therapie?
Yoga ist ja alles andere als eine einheitliche und überall in der gleichen Weise praktizierte und verstandene Methode. Im Gegenteil, es gibt zum Beispiel unterschiedlichste Konzepte und Anweisungen, wie ein so bekanntes Âsana wie die Kobra „richtig“ geübt werden sollte, die auch bei besten Willen nicht kompatibel sind.
Wir wissen heute, dass nicht wenige Menschen durch Yoga in große körperliche Probleme geraten sind und immer noch geraten. Wir wissen auch, dass dafür unter anderem der Glaube verantwortlich ist, es ginge im Yoga um das Erreichen bestimmter oft akrobatischer Formen.
Dazu gesellt sich die irrige Annahme, eine Körperhaltung sei schon deshalb sinnvoll, nützlich und natürlich auch gesund, weil sie als ein Âsana auf uns gekommen ist. Eine weit über das gesunde Maß hinausgehende Beweglichkeit ist für manche Yogaübende noch immer ein anstrebenswertes Ideal. Gerade so, als ließe sich ein Fortschritt auf dem Yogaweg an der perfekten Beherrschung möglichst vieler Âsanaformen ablesen.
Auch die Mitte des letzten Jahrhunderts vollzogene Stilisierung von Kopfstand und Schulterstand zum „König“ und der „Königin“ der Âsanas, die mit unakzeptablen Risiken für die Gesundheit verbunden sind, hat vielen begeisterten Yogapraktizierenden große Probleme beschert.
Aber es gibt eben auch andere Vorstellungen von Yogapraxis, in denen gesundes Üben, achtsamer Umgang mit den eigenen Möglichkeiten und ein Wissen um vorhandene Risiken selbstverständlich sind. Auf einer solchen Grundlage ist Yogatherapie dann eine ganz naheliegende Erweiterung des Anwendungsspektrums von Yoga.
Sie beziehen auch den Geist, den Atem, die Meditation und andere Aspekte des Yoga in Ihre Therapie mit ein. Heißt das, dass Therapie-Yoga nur dann heilend wirkt, wenn es multimodal praktiziert wird?
Das schöne an der Arbeit mit Yoga ist, dass es gar nicht anders geht, als immer alle Aspekte eines Menschen zusammen anzusprechen. Die jeweiligen Betonungen können dabei sehr unterschiedlich sein und sich auch im Laufe einer Therapie verändern: Mal ist der körperliche Aspekt ganz wichtig, mal das Bei-sich-sein-Können in der Meditation.
Aber auch im Körperüben gibt es Achtsamkeit und in der Meditation eine Körperpräsenz. Was schließlich einen Heilungsprozess am meisten voranbringt, lässt sich dabei nur schwer ermitteln.
Was kann therapeutisches Yoga und was kann es nicht?
Es gibt ein großes Angebot an therapeutischem Yoga wie Yoga für den Rücken, Hormonyoga und vieles andere mehr – was ist davon zu halten?
Es kommt dabei immer darauf an, was in der entsprechenden Verpackung steckt. Es ist zum Beispiel unsinnig, von standardisierten Übungsreihen für bestimmte Beschwerden – also die Reihe für Rückenschmerzen oder das Prânâyâma für den sicheren Stressabbau – verlässliche und nachhaltige positive Veränderungen zu erwarten.
Leider wird im Zusammenhang mit therapeutischen Wirkungen von Yoga immer wieder mit Vorstellungen argumentiert, die einem ganz und gar mechanistischen Menschenbild folgen. Und damit auch in keiner Weise mit dem Wissen vereinbar sind, das wir heute über die ungeheuere Komplexität des menschlichen Körpers haben. Zu diesen Vorstellungen gehört zum Beispiel die irrige Annahme, man könne mit Yogaübungen direkten Einfluss auf die Hormonausschüttung nehmen. Aber solche Ideen finden sich erfreulicherweise immer seltener.
Viele Krankenkassen erstatten mittlerweile Yogakurse. Ist ein von einer Krankenkasse bezuschusster Yoga-Kurs immer ein geeigneter Kurs, wenn es mir um meine Gesundheit geht?
Bei einer Lehrerin oder einem Lehrer mit der entsprechenden Kompetenz, ja sicher. Allerdings sollten die Erwartungen an einen solchen Kurs nicht zu hoch sein. Einmal die Woche für eine oder anderthalb Stunden üben, hilft sicher, gesünder zu bleiben. Ernsthafte Ungleichgewichte lassen sich damit nur selten beheben.
Was kann ich mir von Yogatherapie erwarten/erhoffen? Werde ich von meinem Rückenleiden oder Krebsleiden geheilt?
Yoga kann nicht mehr, aber auch nicht weniger, als Heilungsprozesse zu unterstützen. Bei vielen, vor allem chronischen Erkrankungen, sind einer Heilung oft enge Grenzen gesetzt. Diese Grenzen müssen wir akzeptieren, Wunder gibt es auch im Yoga nicht.
Entsprechend müssen sich die Ziele jeder Therapie, auch die des Yoga, an der Realität der Gegebenheiten orientieren. Wir erleben immer wieder, wie eine Yogapraxis gerade auch Krebskranken zu einer besseren Lebensqualität verhelfen kann. Aber die Vorstellung, jemanden mit Hilfe von Yoga vom Krebs heilen zu können, ist natürlich völlig unrealistisch – oder verantwortungslos, je nachdem, wer sie äußert.
Anders sieht es mit Beschwerden wie etwa chronischen Rückenschmerzen aus. Hier kann manchmal eine intensive Yogapraxis eine wichtige Rolle in einem Prozess spielen, an dessen Ende bisweilen tatsächlich ein stabiler Rücken steht.
Welches Yoga sollte ich machen, wenn ich ein konkretes Leiden habe? Wie finde ich den richtigen Stil, den richtigen Lehrer?
Suchen Sie sich jemanden, die oder der sich um konkrete Symptome Ihrer Beschwerden kümmert, offen ist für Fragen, Interesse an Ihrer Erfahrung mit vorgeschlagenen Übungen hat und sie entsprechend anpasst, Ihnen keine großen Versprechungen macht und Ihnen vertrauenswürdig erscheint.
Vor allem im Umgang mit Problemen und Fragen, die sich beim Üben ergeben, erkennen Sie eine vorhandene Kompetenz: Fühlen Sie sich ernst genommen, werden Alternativen angeboten, sind Schwierigkeiten einfach kommunizierbar? Daneben sind natürlich eine absolvierte gute Ausbildung und kontinuierliche Qualitätssicherung durch regelmäßige Super- oder Intervisionen eine gute Voraussetzung, die richtige Person gefunden zu haben.
Herr Soder, wir danken Ihnen für das aufschlussreiche und interessante Interview!
Weitere Informationen:
Die Fragen stellte: Annette Coumont