Ein falsches Wort, ein Missverständnis, eine Kleinigkeit vergessen und schon ist er da, der Streit. Konflikte mit anderen Menschen lassen sich nie vermeiden – Muss man auch gar nicht, sagt Verhaltenstherapeut Dr. Werner Ehrhardt. Stattdessen kommt es darauf an, auf die richtige Art und Weise zu streiten.
Streit entsteht zumeist spontan, schnell und nebenbei. Typische Szenarien sind etwa:
- Es gibt zwei verschiedene Meinungen und einer will „RECHT“ haben.
- Es werden Vorschläge für Aktivitäten und Entscheidungen gemacht, wobei der andere gar nicht nach seinen Bedürfnissen gefragt wird, sondern über ihn bestimmt wird.
- Wenn die Gefühle des anderen verletzt werden, ohne dass man bereit ist, sich zu korrigieren.
- Wenn Vereinbarungen, Regeln und Normen nicht eingehalten werden. Das gilt sowohl für vereinbarte und bekannte als auch für nicht vereinbarte Regeln und Normen. Und erst recht für vermutete Regeln und Vereinbarungen.
Wenn der Streit denn einmal „läuft“, wird oft statt mit klarer Ansprache und Nachfrage mit beleidigtem Rückzug und Verweigerung anderer Vereinbarungen reagiert. Das hat einen Bestrafungs-Charakter: „Der andere wird es schon merken, er soll selbst drauf kommen, er soll leiden usw.“ Dann eskaliert es schnell ins Diffuse, Unendliche und nur noch Destruktive.
Sollte man Streit nicht eher vermeiden?
Ja, bei Tisch und vor dem Einschlafen schon. Ansonsten nicht. Partnerschaftliches Streiten ermöglicht Harmonie, denn Streit, der unterdrückt wird, erzeugt früher oder später Disharmonie. Es werden geheime Guthaben- und Schuldenkonten angelegt, die irgendwann, wenn der andere mal schwach ist oder irgendetwas Besonderes benötigt, eingeklagt und eingezogen werden. Das erzeugt noch mehr Ärger und Wut und initiiert den Wunsch nach Rache und Gegen-Reaktionen.
Es gibt auch so etwas wie eine “Lust am Streiten”, aber nur dann, wenn man das Gefühl hat, dass man akzeptiert und mit Respekt behandelt wird. Dann macht jeder Argumentations-Schachzug Spaß. Es wird zum Spiel.
Das hat nichts damit zu tun, Lust daran zu haben, jemanden niederzumachen! Das ist nämlich die Lust am Gewinnen, am Rechthaben, am Demütigen, am Heimzahlen. Die heißt zwar auch Lust, ist aber eigentlich eher eine „Freude“ an Unterdrückung, Geringschätzung und Nichtakzeptanz.
Die meisten Menschen wollen sich nicht mit Streit auseinandersetzen
71 % der Deutschen sind bei Aggressionen gehemmt. Sie vermeiden es, sich offen und direkt zu streiten und sich mit Argumenten auseinander zu setzen. Was bei Frauen die „Zickenkriege“ sind, sind bei Männern Rang- und Rollenkämpfe, üble Nachrede, Zynismus und Angeberei. Das ist sicherlich geschlechtsspezifisch unterschiedlich, aber nach dem Volksmund irgendwie typisch.
Ansonsten spielt natürlich auch das Machtgefälle in der konkreten Beziehung eine Rolle. Wer sich stärker fühlt und einen anderen irgendwie “am Haken” hat, wird sich eher unfair durchsetzen, als jemand, der sich abhängig fühlt oder von einem anderen abhängig ist. Dieser wird sich eher (zeitweilig) unterordnen und auf den Tag der Abrechnung warten.
Manche Menschen verlagern ihren Ärger, ihre Wut oder ihre Rache auch auf Rechtsanwälte und das Gericht (klappt ganz selten), oder sie verschieben es, je nach Ideologie bedingt, auf himmlische Mächte, Gott und Allah, das Schicksal, das Jenseits oder das Karma.
Wut und Ärger akzeptieren lernen
Ein Wutanfall und eine paar emotionale Worte sind nicht so schlimm, da man sie hinterher mit Hilfe einer Entschuldigung auf den rationalen Kern reduzieren kann. Bösartigkeit, Feindseligkeit und alle Formen von Aggressionen, die nur das Ziel haben, weh zu tun und zu zerstören, sollten vermieden werden.
Dazu kann man Techniken wie das Ausatmen und das Runterklopfen von Wut an bestimmten Akupressurpunkten nutzen. Obwohl diese Techniken sehr einfach zu erlernen und anzuwenden sind, scheitern sie oft an einer wichtigen inneren psychologischen Voraussetzung: Der Akzeptanz unserer Gefühle.
So widersprüchlich es auch klingen mag, ich kann Wut und Ärger nur dann steuern lernen, wenn ich sie als normale Gefühle akzeptiere! So lange man sie mit “Nicht o.k., gefährlich, krank oder böse” bewertet, bleibt einem nichts anderes übrig, als sie zu unterdrücken und zu verdrängen.
Und dann gehört man zur Gruppe der 71 %, die Konflikte nicht offen angehen können. Irgendwann muss aber jeder lernen, sich durchzusetzen. Wann und wie auch immer.
Manchmal kann nur ein Streitschlichter helfen
Im Erfahrungswissen der Menschheit, aller Völker dieser Erde und aller Kulturen haben sich erfolgreiche und bewährte Streitregeln angesammelt, die in reiner Form weniger von Ideologien oder Moralschulen, sondern fast immer von erfahrenen Einzelpersonen angewendet werden.
Egal ob Sufi Meister, Häuptling, Arzt, Weisheitslehrer, Stammesältester, Pfarrer, Prediger, Richter, Mediator, Führungspersönlichkeit, Vermittler, Familienoberhäupter in Großfamilien oder geniale Bürgermeister, es gibt eine bestimmte Kategorie streit-fähiger und streit-erfahrener Menschen, an die man sich im Konfliktfalle wendet und deren Urteilspruch man akzeptiert.
Die brisanteste Streitregel lautet übrigens: Schlage bei Verrat sofort und angemessen zurück.
Neugierig? Die 10 bewährten Streitregeln der Menschheit sind (mittlerweile computervalidiert und mit dem Nobelpreis ausgezeichnet) in meinem Buch anschaulich dargestellt verfügbar. Sie sind in die Alltagssprache unserer Zeit übersetzt und für jede Lebenslage nutzbar.
Richtig streiten ist machbar, verlangt aber die Kenntnis und Akzeptanz dieser 10 Grundregeln und den Willen und die Fähigkeit, sie auch einzusetzen. Im Zweifelsfall kann man sich bei den Autoren für konkrete Fälle im InternetHilfe, Rat und Unterstützung holen.
Streit ist nur dann für alle gewinnbringend, wenn am Ende wirklich alle Gewinner sind. Dann schweißt er zusammen und vertieft Vertrauen.