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Stadtlärm oder Stille: Wo findet man Stille in der Stadt?

Lärm, Stress und Hektik machen uns Stadtbewohnern zu schaffen. Oft sehnen wir uns nach einem Moment der Stille — doch gibt es sie überhaupt, die Stille in der Stadt?
Sabrina Gundert - Fotografin Alexandra Stehle
von Sabrina Gundert
Stille in der StadtFoto: 03-23-12 @ Anna Rise

Lärm, Stress und Hektik machen uns Stadtbewohnern oft zu schaffen. Ob wir Bus fahren, durch die Fußgängerzone hetzen oder an einer Hauptverkehrsstraße stehen — wie sehr wünschen wir uns doch manchmal einen Moment der Stille herbei. Aber gibt es sie überhaupt, die Stille in der Stadt?

Meist ist es schon am frühen Morgen mit der Stille vorbei: Auf den Wecker, der uns aus dem Schlaf reißt, folgt der Gang zur Bahn und der Weg zur Arbeit. Lärm, Enge und Hektik, wohin wir nur schauen. Im Büro löchern uns die Kollegen mit Fragen, das Telefon klingelt unentwegt und der Computer vermeldet im Minutentakt neue E-Mails. Auf dem Heimweg wollen wir noch rasch etwas in der Stadt besorgen, doch ehe wir uns versehen, stehen wir erst an der laut dröhnenden Straße voller Feierabendverkehr, ehe wir uns anschließend durch die volle Fußgängerzone schlängeln, um schließlich im Supermarkt in der Schlange zu stehen — wie immer ist nur eine Kasse geöffnet.

Stille in der Stadt entdecken

Stille ist etwas, was in einem normalen Stadt-Tag nicht vorkommt. Permanent strömen Reize auf uns ein und wenn gerade einmal im Außen Stille herrscht, dann rotiert meist unser Gedankenkarussell. Gleichzeitig sehnen sich viele von uns nach ein paar ruhigen Momenten — zum Durchatmen, Innehalten um wieder einen klaren Kopf zu bekommen.
Doch gibt es sie wirklich, die Stille in der Stadt? Vielleicht noch in der Kirche oder im Museum, aber sonst?

Ursula Richard hat sich auf die Suche nach dieser Stille gemacht und ein Buch darüber geschrieben. „Stille in der Stadt“ ist — so der Untertitel — „ein City-Guide für kurze Auszeiten und überraschende Begegnungen“. Es ist ein Reiseführer, mit dem die Reise gleich vor der eigenen Haustür beginnt. Er führt zu Orten der Stille — wie Friedhöfen, Toiletten oder auch Supermarktparkplätzen am Sonntagmorgen — und zeigt damit: Wenn wir genau hinschauen, gibt es noch viel mehr stille Orte in der Stadt, als wir dachten.

Manchmal warten sie in einer Seitenstraße auf uns, manchmal sind sie zeitabhängig, wie der Supermarktparkplatz. So entstehen und vergehen Orte der Stille je nach Tages- und Uhrzeit. Es ist ein Buch, das Lust macht, sich in der eigenen Stadt auf die Suche nach der zu begeben. Gleichzeitig bietet es Tipps und Anregungen, Stille mitten in Lärm und Hektik zu entdecken.

Entspannen im Supermarkt

So zum Beispiel an der Supermarktkasse. Erst vor wenigen Wochen stand ich wieder e­i­n­mal mitten in der langen Warteschlange. Hinter mir forderten die ersten lautstark eine zweite offene Kasse, vor mir wurde unruhig von einem Fuß auf den nächsten getreten. Normalerweise war das der Moment, in dem mir sonst immer der Schweiß ausbrach und ich nur inständig hoffte, ich möge bald aus diesem vollkommen überhitzten Supermarkt mit lauter Einkäufen auf meinem Arm herauskommen. Doch mittlerweile hatte ich Ursula Richards Buch gelesen und begonnen auszutesten, in welchen Situationen welche Form der Stille und Entspannung möglich ist.

So begann ich zunächst auf meinen Atem zu achten. Wie fühlte er sich an? Kurz? Lang? Nach dem achtsamen Beobachten einiger Atemzüge ging ich mit meiner Aufmerksamkeit weiter zu den Füßen: Wie fühlte sich der Boden unter meinen Füßen an? Weich? Hart? Konnte ich meine Füße auf dem Boden spüren? Nachdem ich mich auf diese Weise zentriert und geerdet hatte, war nicht nur meine Atmung ruhiger geworden, auch mein Blick auf die Situation hatte sich verändert. Ich konnte zum einen aus dem negativen Gedankenkarussell („Wie lange dauert das denn noch? Warum geht das denn nicht schneller? Der könnte ja auch mal…“) aussteigen, das meinen Ärger nur immer weiter vergrößert, zum anderen war ich auf einmal in der Lage, hier und da ein Lächeln an die Umstehenden zu verteilen.

Statt mich aufzuregen, konnte ich einfach weiter meinen Atem beobachten, ein paar Worte mit den Menschen vor und hinter mir wechseln und ehe ich mich versah, stand ich auch schon an der Kasse. Statt wie sonst gehetzt und genervt den Supermarkt zu verlassen, fühle ich mich heute leicht, freudig und bereichert — wie nach einer Mini-Meditation.

Achtsamkeit als Schlüssel zur Entspannung

Achtsamkeit ist einer der Schlüssel, der uns hilft, die Stille in unserem Alltag zu entdecken. Fühlen wir uns gestresst durch das Warten im Supermarkt oder den Lärm im Bus, so hilft uns beispielsweise das achtsame Atmen, bei dem wir einfach das Ein- und Ausströmen der Luft ohne einzugreifen beobachten, uns zu erden, zur Ruhe zu kommen und ein besseres Körpergefühl zu entwickeln. Können wir uns selbst besser spüren, zeigt sich die Stille immer häufiger auch mitten im Trubel.

Zum Beispiel dann, wenn wir in der Innenstadt auf einer Parkbank sitzen, die Menschen um uns herum wahrnehmen, den Mann, der Gitarre spielt, den, der Pantomime macht. Alles geht seinen Gang und doch: Wir können hier sitzen, in der Stille in uns ruhen und einfach sein. Auch das ist Stille mitten in der Stadt. Mehr und mehr löst sich die innere Stille von den äußeren Gegebenheiten und ist einfach da — egal, wie die Umstände gerade sind.

Loslassen beim Bahnfahren

Doch bis wir dies so erfahren, braucht es immer wieder Übung. Die Stadt bietet wunderbare Möglichkeiten hierzu — von morgens bis abends. So können wir zum Beispiel auf dem Weg zum Bus oder zur Bahn einmal bewusst spüren, wie unsere Füße den Boden berühren. Wie fühlt sich der Boden an? Wie unsere Schritte? So abstrakt der Vorschlag des vietnamesischen, buddhistischen Mönchs Thich Nhat Hanh vielleicht zunächst auch klingen mag — wenn wir uns vorstellen, mit unseren Füßen die Erde zu küssen, verändert sich meist augenblicklich etwas in unserer Art zu gehen.

In der Bahn sitzend, können wir dann erneut den Boden unter unseren Füßen wahrnehmen und anschließend die Achtsamkeit auf unseren Atem richten. Wie fühlt sich unser Atem an? Ebenso können wir beim Einatmen ein Wort wie „Ruhe“ denken und beim Ausatmen „Frieden“. Nach und nach löst sich vielleicht etwas der inneren Anspannung, die wir mit uns tragen.

Alltag als Übung für Achtsamkeit nutzen

Auf diese Weise entdecken wir zunächst die äußere Stille in der Stadt, um die Stille schließlich unabhängig von äußeren Begebenheiten zu erfahren. Natürlich ist es einfacher sich zu entspannen, wenn alles um uns herum ruhig ist — doch das ist selten der Fall. Wie habe ich einmal gelesen? Im Himalaya zu meditieren ist leicht, auf einer Verkehrsinsel mitten in Frankfurt ist es schon deutlich schwieriger.

Letztendlich spielt sich aber hier das wahre Leben ab, unser Alltag. Und so ist die Entdeckung der Stille in der Stadt auch eine gute Möglichkeit, die Grenzen zwischen Spiritualität und Alltag oder zwischen Erholung und Alltag fließender zu gestalten. Denn alle Übungen und Methoden helfen langfristig nichts, wenn sie nur auf bestimmte Stunden unseres Alltags — die Yogastunde, die Meditationszeit, der Entspannungskurs am Abend — begrenzt bleiben.

Weitere Informationen:

www.kirche-der-stille.de

www.raum-der-stille-im-brandenburger-tor.de

www.raumindir.de/

Sabrina Gundert - Fotografin Alexandra Stehle
Expertin: Sabrina Gundert
Sabrina Gundert ist Autorin und Coachin. Vom Bodensee aus unterstützt sie Menschen dabei, ihren Weg zu finden.