Haben Sie schonmal versucht, nach einem anstrengenden Arbeitstag das Denken einfach abzustellen, den Kopf von all seinen Gedanken zu befreien? Wie schön wäre das manchmal. Dann wäre endlich Ruhe da oben – wir könnten uns entspannen, alles loslassen und uns ganz auf den gegenwärtigen Moment konzentrieren. Heute haben wir eine Auto-Übung zur Sitzmeditation für euch.
Unruhe im Kopf – Der Geist macht keine Pause
Wenn wir uns zur Meditation hinsetzen, bemerken wir als erstes die Unruhe in unserem Kopf. Wir denken ununterbrochen. Und so geht das den ganzen Tag: Man schätzt, dass ein Mensch am Tag 80.000 Gedanken hat, also 50 Gedanken pro Minute. Es scheint zuzugehen wie in der Hauptverkehrszeit auf einem mehrspurigen Autobahnkreuz. Die meisten unserer Gedanken dringen aber nicht konkret in unser Bewusstsein, wir bemerken oder realisieren sie gar nicht, aber sie haben trotzdem ihre Wirkung.
Wir merken, dass unser Denken größtenteils aus Beurteilungen und Bewertungen unserer Wahrnehmungen besteht, und wir entwickeln pausenlos Vorstellungen und Meinungen über Dinge, Menschen und Situationen. Wir etikettieren alles – auch uns selbst. Unser Denken ist komplex, chaotisch, unvorhersehbar und oft eher ungenau, unzusammenhängend und sogar widersprüchlich. Der Geist scheint ein unkontrollierbares Eigenleben zu führen.
Durch Achtsamkeit weniger Vorurteile
Das Problem ist, wir identifizieren uns mit unseren Gedanken und glauben alles, was wir uns selbst erzählen. Unsere Gedanken sind aber kein objektives Abbild der Realität, denn mit unserem Denken konstruieren wir erst unsere Wirklichkeit. Was bedeutet das?
Aus der Wahrnehmungsforschung wissen wir, dass die Wahrnehmung einzelner Attribute immer durch ein bereits gebildetes Urteil bestimmt wird. So werden zum Beispiel neu erhaltene Informationen über einen Menschen so interpretiert, dass sie das bestehende Urteil bestätigen. Eigenschaften, die im Widerspruch zu diesem Vor-Urteil stehen, werden dagegen unterbewertet, oder sogar vollständig ignoriert.
Unsere Wahrnehmung ergibt sich dabei einerseits aus unserer momentanen emotionalen Befindlichkeit. Vor allem aber ist sie eine Folge unserer persönlichen Entwicklungsgeschichte, mit all unseren Konzepten und Meinungen über uns selbst, über andere und über die Welt – und diese halten wir dann für wahr.
Beobachten statt bewerten – Gedanken sind nur Gedanken
Die Achtsamkeit lehrt uns, dass Gedanken lediglich unsere persönlichen geistigen Konstruktionen sind. Wir können das Denken als einen sich ständig entwickelnden Prozess betrachten, ohne uns in die Inhalte zu verwickeln und allem Glauben zu schenken, was wir denken. Wir müssen uns nicht identifizieren mit unseren Gedanken, sondern sie als das betrachten, was sie sind: Vorübergehende geistige Phänomene.
In der Meditation kann ich das üben, indem ich mir vorstelle, dass ich am Ufer eines Flusses sitze und die Gedanken wie Schiffe vorüberziehen sehe. Ich beobachte das ständige Kommen und gehen der Schiffe aus einer gewissen Distanz. Und wenn ich bemerke, dass ich auf ein Schiff – also einen Gedanken – aufspringe und ein Stück weit mit ihm fahre, dann kann ich einfach wieder aussteigen, mich ans Ufer setzen und weiter den Fluss der Gedanken beobachten: „Jetzt kommt dieser Gedanke, jetzt dieser und jetzt dieser… interessant, was da so alles vorüber fließt“.
Wahrnehmung mit dem Anfängergeist – die Dinge ohne Vor-Urteil betrachten
Es ist hilfreich, wenn ich mir meiner Bewertungen und Urteile und ihrer Auswirkung auf meine Wahrnehmung bewusst werde und versuche, sie immer wieder loszulassen. Shunruy Suzuki, ein bekannter Zen-Meister, spricht dabei von Anfängergeist, also einer inneren Einstellung der Offenheit, die bereit ist, alles so zu sehen, als wäre es das erste Mal. Wir versuchen einen klaren und ungetrübten Blick auf die Dinge zu richten – ohne den Filter der vorgefassten Meinung oder einer automatisierten Bewertung.
Achtsamkeitsübung: Anfängergeist
Versuchen Sie diese Geisteshaltung in Ihrem Alltag zu entwickeln, indem Sie beispielsweise Personen, die Sie „gut kennen“, einmal so sehen, als würden Sie diese Personen zum ersten Mal sehen, als hätten Sie noch keinerlei Meinung oder Bewertung zu dieser Person. Oder indem Sie eine Mahlzeit essen, als würden Sie diese zum ersten Mal sehen, riechen und schmecken. Erweitern Sie die Entwicklung dieser Geisteshaltung auf alltägliche Routine-Situationen – zum Beispiel Spülen, als hätten Sie noch nie gespült und als gäbe es in Ihnen keine Bewertung zu dieser Tätigkeit.
Beobachten Sie dabei, was es für Sie heißt, die Dinge mit dem Anfängergeist wahrzunehmen – was ändert dieser offene und „unbedarfte“ Blick an Ihrer inneren Haltung?
Achtsamkeitsübung: Sitzmeditation mit Audioanleitung
Beginnen Sie in dieser Woche mit der Sitzmeditation. Suchen Sie sich einen ruhigen Ort, an dem Sie nicht gestört werden. Setzen Sie sich entspannt und aufrecht auf einen Stuhl oder ein Mediationskissen und folgen Sie der Anleitung. Machen Sie diese Übung einmal täglich für 10 Minuten.
Die Übung des Innehaltens aus Woche 1 können Sie weiter beibehalten.