Sie ist viel gepriesen und hat doch einen schlechten Ruf: Die Selbstliebe. Für die einen klingt sie fast “unanständig”, möchten wir doch auf keinen Fall “selbstverliebt” erscheinen. Dann wiederum heißt es, du musst dich selbst lieben, um andere lieben zu können. Doch was bedeutet das eigentlich: “Sich selbst lieben”? Beate Waltrup, Coach, Mediatorin und Trainerin für “Gewaltfreie Kommunikation” nach Marshall B. Rosenberg, erklärt, wie wir uns selbst mit Liebe und Wertschätzung begegnen können: Indem wir uns annehmen, wie wir sind – in guten wie in schlechten Zeiten.
Wenn wir von Liebe sprechen, dann denken wir meist an eine tiefere, innere Bindung zu einem anderen Menschen: Wir können die Gefühle von Wärme, Dankbarkeit und Glück beschreiben, die uns durchfluten, wenn wir an unseren Lebenspartner, unsere Familie oder an einen lieben Freund denken. Wir würden vermutlich sagen, dass diese Bindung auf Vertrautheit und gegenseitiger Achtung beruht: Den anderen zu kennen, ihn zu verstehen, viele Seiten an ihm sehr zu schätzen und die anderen Seiten zumindest zu tolerieren: Ihn anzunehmen, wie er ist.
Leider fehlt uns häufig eben diese Wärme und tiefe Verbundenheit, die uns einen liebevollen, mitfühlenden Umgang mit dem Menschen ermöglicht, der uns ohne Zweifel ein Leben lang begleitet: Uns selbst.
Unsere Expertin Beate Waltrup erklärt, wie wir mit Achtsamkeit und Mitgefühl den inneren Raum finden, uns selbst der beste Partner zu sein und ein Leben voller Liebe zu führen:
Selbstliebe heißt, mit sich und dem Leben verbunden zu sein
Kürzlich lag ich wieder einmal auf der Massageliege meiner Physiotherapeutin. Eine meiner Lieblingsmaßnahmen, mir selbst eine Liebeserklärung zu machen. Ich fragte sie, was für sie „Selbstliebe“ bedeute. „Ganz bei mir zu sein“ hat sie geantwortet. Da konnte ich absolut zustimmen.
Ich kenne dieses Gefühl in den „guten Momenten“ und wenn ich meine Arbeit „im Flow“ tue, in mir ein ruhiges friedliches Gefühl zu spüren und über eine Art Nabelschnur mit dem Leben verbunden zu sein. Dann fließt ein Strom von Liebe und Dankbarkeit durch mich hindurch und ich fühle mich absolut wohl in meiner Haut.
In kritischen Momenten verlieren wir oft die Verbindung zu uns selbst
Ich kenne aus meiner Arbeit und auch aus meinem eigenen Erleben andererseits sehr genau die vielen Momente, in denen es anders aussieht. Wenn herausfordernde Nachrichten eintreffen, der Chefin der erarbeitete Vorschlag nicht gefällt, wenn gute Vorsätze scheitern, sich innerer Druck aufbaut oder Menschen sich im Zentrum eines Konflikts wiederfinden. In solchen Momenten verlieren wir oft die Verbindung zu uns selbst.
Bildlich gesprochen sitzen wir dann in einem Kino, auf dessen Leinwand gerade unser persönlicher „kindlicher Horrorfilm“ abgespielt wird. Nicht gehört, nicht genügend beachtet, nicht ernst genommen, allein gelassen … nicht geliebt. Menschen fühlen sich dann klein und erleben Ärger und Wut und darunter oft unbewusst Gefühle wie Ohnmacht, Schuld oder Scham.
Unsere Kindheit war zumeist keine „Schule der Selbstliebe“
Unsere Kindheit war zumeist keine „Schule der Selbstliebe“ und das obwohl – das sei ausdrücklich erwähnt – unsere Eltern das Beste taten, das ihnen möglich war und das sie für angemessen hielten. Statt bedingungsloser Liebe und Annahme haben wir oft erfahren, so wie wir sind, nicht gut genug zu sein.
Was wir in den ersten Lebensjahren gehört haben, ging als unzensierte Downloads direkt auf unsere kindliche Festplatte, wirkt von dort und ist uns heute zumeist noch nicht einmal mehr bewusst. Verletzte kindliche Ichs werden in Krisenmomenten reaktiviert. Drückt jemand einen unserer alten Schmerzpunkte, schlagen wir um uns, rechtfertigen uns oder nehmen uns auf ungesunde Weise zurück.
Selbstliebe praktizieren, indem wir den „Inneren Raum“ erforschen
Sich und andere in solchen Momenten nicht zu beurteilen, nicht abzulenken und auch nicht unbewusst zu „re-agieren“ ist eine wunderbare Art, Selbstliebe zu praktizieren. Erforschen Sie jetzt mutig und liebevoll Ihren „Inneren Raum“. Fühlen Sie mit größtmöglicher Ehrlichkeit die Gefühle, die durch Sie hindurchziehen, auch wenn es auf den ersten Blick „ungeliebte Gäste“ wie zum Beispiel Wut, Ohnmacht, Schuld oder Scham sind.
Es ist Teil des „alten Films“, zu glauben, diese Gefühle nicht aushalten zu können bzw. zu wollen. Beobachten Sie offen und ehrlich Ihre Gedanken und seien Sie bereit, alles, was Sie über sich und andere denken, in Frage zu stellen. Nehmen Sie Ihren Körper bewusst wahr. Spüren Sie alle Körperempfindungen als würden Sie aus sicherer Entfernung ein Gewitter beobachten und jeden Blitz und Donner spüren.
Das wird nicht immer in der auslösenden Situation möglich sein. Nehmen Sie sich wo möglich eine „kleine Auszeit“ oder setzen Sie sich später in Ruhe hin und „spüren nach“. Lassen Sie sich bei Bedarf von einem Menschen Ihres Vertrauens unterstützen.
Selbstliebe heißt, sich selbst zu unterstützen
Bleiben Sie in der Krise in jedem Fall fest an Ihrer eigenen Seite, so, wie Sie auch einen Freund oder eine Freundin begleiten würden, der oder die mit einer herausfordernden Situation konfrontiert ist. Ehrlich Hinsehen und Annehmen bedeuten Liebe und diese Form von Selbstliebe ist der Dünger für Ihre gesunde Entwicklung. Sie dürfen darauf vertrauen, dass das Leben entwickelt, was wir liebevoll annehmen. Alles, was mit Liebe angeschaut wird, wird heilen.
Selbstliebe heißt, für sich zu sorgen
Wenn in Ihrem Inneren wieder Ruhe eingekehrt, Sie sich wieder erwachsen und souverän fühlen, ist es Zeit, einen Blick auf Ihre aktuellen Bedürfnisse zu werfen und sich um diese zu „kümmern“. Was wollen Sie jetzt? Was werden Sie ganz konkret tun? Worum werden Sie andere bitten?
Selbstliebe bedeutet, sich in Selbstliebe zu üben
Nun sind nicht alle „Auslöser“ so grundlegender Natur. In manchen Fällen und mit zunehmender Übung werden Sie überrascht feststellen, dass sich nach der inneren Klärung in einer Art „Selbstreinigungsprozess“ alles in Wohlgefallen aufgelöst hat. Dann gibt es nichts mehr zu tun.
Damit Sie besser verstehen, was ich meine, gibt es hier noch ein konkretes Praxisbeispiel, wie Selbsterkenntnis der Selbstliebe förderlich ist.