Susanne Behlau ist Therapeutin für Menschen, die von Hypersexualität, genannt Sexsucht, betroffen sind. In ihrer Praxis in Köln bietet sie neben allgemeiner Psychotherapie bei Depressionen, Angststörungen oder Burnout diese Therapie speziell für an Hypersexualität erkrankte Menschen an. Bei der – im Volksmund sogenannten – Sexsucht drohen nicht selten Vereinsamung und Verwahrlosung. Im Interview mit der Therapeutin erfahren wir, was Hypersexualität ist, wen es betrifft und wie eine Heilung für Betroffene aussehen kann.
Sexsüchtige gibt es mittlerweile viele in Deutschland. Schätzungen gehen von über 500.000 Betroffenen aus. Laut Spiegel Online (Mai 2017) kann man aber über die genaue Zahl der Betroffenen keine endgültige Aussage machen. Vor allem der rasante Anstieg der Nutzung von Internet-Pornographie spricht für höhere Zahlen. Trotzdem bedarf dieses neue Suchtbild immer noch der hinreichenden medizinischen Anerkennung. Liebe Frau Behlau,
Sie sind Psychotherapeutin (HP) mit Schwerpunkt Hypersexualität, auch Sexsucht genannt. Was genau müssen wir uns unter Sexsucht vorstellen?
Hypersexuelle Menschen haben dauerhaft die Kontrolle über ihr sexuelles Verlangen verloren. Befriedigung wird dabei kaum erreicht und das Verhalten wird immer extremer. Nach einer gewissen Zeit setzen auch soziale und wirtschaftliche Folgen der Sucht ein: Die Beziehungen zu anderen Menschen werden schlechter, bis hin zur Isolation. Sexsüchtige sind bereit hohen finanziellen Aufwand für ihre sexuellen Aktivitäten einzusetzen. Das kann großen persönlichen wirtschaftlichen Schaden verursachen, vor allem, wenn auch der eigene Beruf nicht mehr normal ausgeübt werden kann. Die Sexsucht trägt alle Anzeichen, die auch andere Süchte kennzeichnet.
Gehört die Hypersexualität wie Drogensucht oder Spielsucht zu den medizinisch anerkannten Süchten?
Nein, trotz ähnlicher Kennzeichen leider nicht. In der Klassifizierung von Krankheiten des ICD 10 (Internationale statistische Klassifikation der Kranheiten) gibt es zwar unter dem ICD Code F52 ( sexuelle Funktionsstörung, nicht verursacht durch eine organische Störung oder Krankheit) ein paar ähnliche Definitionen, aber Hypersexualität hat keine eigene Klassifizierung und ist daher als eigenständiges Suchtbild nicht anerkannt.
Seit wann gibt es denn die Hypersexualität und was macht die sogenannte Sexsucht genau aus?
Das ist eine schwierige Frage, aber ich würde vermuten, seit dem es uns Menschen gibt. Wenn man sich die Geschichte der Pornographie anschaut, dann hat man schon prähistorische Höhlenzeichnungen mit pornographischen Inhalten, Vasenmalereien oder Wandfresken aus der Zeit der Antike oder aus noch früheren Zeiten, wie das Kama Sutra, gefunden. Man kann aber erst von Sexsucht sprechen, wenn man seine Triebe nicht mehr unter Kontrolle hat bzw. sich und anderen Menschen damit schadet, denn der Sexsüchtige betreibt Sex nicht zum Spass sondern zwanghaft und hat einen erheblichen Leidensdruck.
Gibt es gesellschaftliche Umstände, die die Hypersexualität (Sexsucht) befeuern?
In unserem digitalen Zeitalter ist Sexualität immer und überall abrufbar. Millionen Deutsche konsumieren Pornographie im Internet. Und das in jeder Form, sei es über die Kontaktplattform Tinder, über Online Chats oder Pornographie-Anbieter. Und das ist sogar komplett anonym möglich, also ohne jegliche Kontrolle einer äusseren Instanz. Das verführt mächtig zum Missbrauch in jedweder Form.
Jede Sucht hat Konsequenzen. Welche Folgeschäden kann die Sexsucht haben?
Durch den zwanghaften Konsum von Sex entstehen persönliche, finanzielle und soziale Schäden im Umfeld des Betroffenen. Angefangen bei Scham und Selbstverachtung, über innere Leere, Halt- und Perspektivenlosigkeit, Verlust von Arbeitsplatz oder finanzieller Ruin, bis hin zu sozialer Vereinsamung und Isolation ist alles möglich. Das sollte aber bei einer guten Therapie der Sexsucht alles erst gar nicht passieren. Daher sollten die Patienten sich schon früh an einen spezialisierten Therapeuten oder eine Therapeutin wenden. Ich biete meinen Patienten auch vorher Beratung an, bei der Fragen bereits vor der Therapie geklärt werden können.
Wer ist sonst noch von der Sexsucht betroffen? Hat sie auch negative Konsequenzen für Freunde und Angehörige?
Gerade für den Partner hat es natürlich unglaubliche Konsequenzen. Trennung ist das Eine. Das Schlimmere kann sein, wenn dieser aus Mitleid oder durch ein Helfersyndrom motiviert, beschließt beim Sexsüchtigen zu bleiben. In diesem Kontext spricht man von Co-Abhängigkeit.
Oft ist es aber auch so, dass der von Hypersexualität Betroffene seinen/ihren Partner/in noch sehr liebt und ihn/sie nicht verlieren möchte. Der Wunsch nach Erhalt der Beziehung ist oft ein Grund, warum sich diese Betroffenen therapeutische Hilfe suchen. Leider herrscht in solchen Beziehungen aber irgendwann Misstrauen, Angst vor eventuell möglichen Geschlechtskrankheiten und vor weiteren Rückfällen. Daher empfehle ich dem/der Partner/in eines/r Sexsüchtigen auf jeden Fall ebenfalls eine therapeutische Beratung.
Welche Art von Menschen sind von Sexsucht betroffen? Gibt es bestimmte Muster hypersexueller Menschen?
Meiner Erfahrung nach sind es oft sehr erfolgreiche, eher gutgebildete Menschen, die hohe Ansprüche an sich selbst haben. Häufiger sind deutlich die Männer. Aber ein eindeutiges Muster gibt es nicht. Jede einzelne Geschichte von hypersexuellen Menschen ist sehr individuell.
Sie sind die erste Therapeutin für das Thema Hypersexualität im Raum Köln und Umgebung. Warum gibt es bisher so wenige Therapieangebote für das Thema Sexsucht?
Gute Frage! Ich weiß es nicht, schauen Sie sich nur die unzureichende Literatur zu dem Thema an. Letztlich gibt es dazu nur ein paar wenige Bücher im deutschsprachigen Raum, denn es ist ja bisher ein wenig erforschtes Gebiet. Ich kann hier zum Einstieg aber den Titel “Sexsucht” von Kornelius Roth empfehlen.
Hinzu kommt, dass Hypersexualität auch entweder heroisiert oder tabuisiert wird. Ich werde auf jeden Fall immer noch mit großen Augen angeguckt, wenn ich Freunden oder Bekannten erkläre, worauf ich mich im Rahmen meiner therapeutischen Tätigkeit spezialisiert habe. Leider sind die meisten Menschen sehr unaufgeklärt, was das Thema angeht. So höre ich gar oft den Satz “die Sucht hätte ich auch gerne”, was ich mit Heroisierung des Themas meine. Leider ein großes Mißverständnis.
Was lernen die von Hypersexualität Betroffenen in der Therapie?
Das ist natürlich sehr individuell, aber in der Regel lernen sie, sich wieder “zu fühlen”, also wieder einen Zugang zu Ihren Gefühlen zu bekommen. Sie lernen auch Achtsamkeit in Umgang mit ihren Gefühlen und nicht auf jeden Impuls reagieren zu müssen. Sie gewinnen im Rahmen einer Therapie auch ihr Selbstvertrauen zurück und können ihre Ängste vor der Nähe zu anderen Menschen abzubauen.
Kann die Sexsucht geheilt werden? Wie sieht die Heilung aus?
Ja, ich würde sagen, sie kann geheilt werden. Und die so oft in meiner Praxis gestellte Frage: Ja er/sie kann auch wieder Sex haben, ohne süchtig danach zu sein. In der Therapie finde ich mit meinen Patienten gemeinsam heraus, wofür diese Sucht bei ihnen steht und arbeiten dann daran. In dieser Zeit empfehle ich allerdings sexuelle Enthaltsamkeit.
Was sollte ein von Sexsucht Betroffener genau tun, wenn ihm seine Sucht bewusst wird?
Er sollte sich natürlich Hilfe suchen. Wenn er den Weg zu einem Therapeuten nicht direkt gehen mag, dann kann er auch anonym Beratung einholen. Zum Beispiel in einem telefonischen Beratungsgespräch.
Er kann auch in eine Gruppe gehen, da fühlt man sich nicht mehr allein mit seinem Problem. Es gibt mehrere Anlaufstellen dafür, u.a. “Die anonymen Sexsüchtigen”, man findet sie im Netz und erfährt, wo und wann die Treffen stattfinden.
Ich glaube es ganz alleine zu schaffen ist wirklich schwierig, da die Gründe für eine ausgeprägte Sucht oft tief sitzen und bei nicht Bearbeitung immer wieder kehren können.
Können sich auch Angehörige Hilfe holen? Was können Angehörige oder Freunde für eine/n Sexsüchtige/n tun?
Angehörige sollten sich auf jeden Fall Freunden gegenüber öffnen, damit das Thema ansprechbar wird. Auch für Angehörige und Co-Abhängige gibt es Selbsthilfegruppen. Die beste Lösung ist auch ein Therapeut. In meiner Praxis helfe ich auch Angehörigen von hypersexuell Erkrankten.
Sie bieten in Ihrer Praxis auch eine vorherige telefonische Beratung an. Was können von Sexsucht betroffene Menschen dabei klären?
Das wichtigste ist, dass sie Vertrauen fassen können und den ersten Schritt gemacht haben. Ich spreche mit den Betroffenen über mögliche therapeutische Ansätze und meine Art mit ihnen zu arbeiten. Ich biete bei Wunsch nach Anonymität auch telefonische Sitzungen an. Diese sind auch für Betroffene geeignet, die nicht aus Köln oder der Umgebung kommen, denn es gibt sehr wenige Therapeuten in dem Bereich der Hypersexualität. Daher betreue ich einige meiner Patienten überwiegend telefonisch.
Liebe Frau Behlau, Vielen Dank für das Interview!