Mit beiden Beinen im Leben stehen! So sagt bereits das Sprichwort. Wenn wir einen festen Stand finden, dann haben wir ein Fundament, eine Basis für unser Leben. Doch wie steht man richtig? Und was hat das eigentlich mit dem Barfußlaufen zu tun? Laufcoach Per-Olof de Marco zeigt uns in der 6-teiligen Barfuß Laufschule bei evidero heute im ersten Teil, warum das richtige Stehen die Grundlage für das richtige Gehen ist.
Beim richtigen Stehen geht es nicht nur um die Aufrichtung, sondern vor allem darum, dass der Fuß erstmal wieder lernen muss, die Belastung des einfachen Körpergewichts zu tragen, am besten barfuß.
Dadurch passen sich der Fuß, seine Muskeln, Bänder und Sehnen an die Anforderung des einfachen Körpergewichts an. Beim Gehen haben wir es schon mit dem 2-fachen Gewicht, beim Laufen mit bis zu 5-fachem Körpergewicht zu tun.
Darum sollte man auch immer erst mal im Alltag Barfußschuhe tragen und diese nicht direkt zum Laufen nutzen. Stehen und Gehen lassen sich somit gar nicht richtig voneinander trennen.
Die Füße und das Stehen
Unser Füße sollten uns das Wertvollste sein. Sie tragen uns ein Leben lang durch die Welt. Und in der Tat, wir hüten sie wie ein Geheimnis. Kaum jemandem trauen wir uns, die Füße zu zeigen, ohne dabei Scham zu empfinden. Oft projizieren wir unsere Scham auf andere. Auf anderer Menschen Füße. “Ich ekel mich vor Füßen.” Wieviele lassen lieber die Socken an, selbst wenn alles andere ausgezogen ist. Dabei sind die Füße auch Greifer und sinnliche Wahrnehmungsorgane, wie unsere Hände.
Unsere Füße sind letztendlich ein Wunderwerk der Biomechanik. Wir haben es als einzige Spezies geschafft, völlig aufrecht zu stehen. Und dabei in Balance zu sein. Stabil zu stehen.
Hierfür mussten wir im Laufe unserer Evolution die Funktion unserer Füße umentwickeln. Sie ermöglichen uns erst den aufrechten Gang.
Allerdings ist statisches Stehen nicht unbedingt etwas Natürliches. Wir sind ständig in Bewegung. Gegebenermaßen verändern wir immer unseren Standpunkt, gehen von einem Bein aufs andere, setzen uns wieder hin, drücken die Hüften zu den Seiten hin und so weiter. Das statische Stehen muss viel mehr als Ausgangspunkt für dynamische Bewegungen angesehen werden.
Verlasse ich die Stabilität, setzt sich mein Körper in Bewegung. Er fällt nach vorne, nach hinten oder zu den Seiten hin. Indem ich beim Fallen einen Fuß unter meinen Schwerpunkt bringe verhindere ich das Fallen und beginne das Gehen oder das Laufen. Deshalb macht es Sinn, sich Stabilität noch einmal anzusehen. Denn Gehen und Laufen ist das Gegenteil. Etwas Instabiles.
Nichtsdestotrotz haben wir vergessen, wie man eigentlich richtig darauf steht, auf den Füßen. Sie sind durch herkömmliche Schuhe so beeinträchtigt, dass sie uns nicht mehr von alleine stabil tragen und wir sogar auf externe Stützen in den Schuhen angewiesen sind.
“Die Evolution des Menschen zur aufrechten Haltung sollte in angemessener Perspektive betrachtet werden: Es bedurfte einer Milliarde Jahre, um den Hexenschuss zu entwickeln.” (Unbekannt)
Die richtige Haltung beim Stehen
Um richtig zu stehen, ist es zunächst wichtig, entspannt zu sein. Es ist keine Anstrengung nötig, geschweige denn förderlich.
- Unser Kopf ruht auf unseren Schultern, den Blick zum Horizont. Er ist weder vor noch zurück geneigt. Er ist weder vor noch zurück geschoben.
- Unsere Schultern hängen locker, die Arme an ihnen hängen locker. Auch die Schultern sind weder vor noch zurück gehalten. Wir müssen einfach unserem Freund, der Schwerkraft, vertrauen.
- Das Brustbein ist leicht nach vorne angehoben. Insgesamt sollten wir nicht zusammenfallen. Es hilft, sich einen Bindfaden vorzustellen, der uns am Scheitel an der Decke aufhängt. Also sich selbst aufhängen am Himmel.
- Unser Becken ist in Mittelstellung. Bewegen wir das Becken hin und her oder kreisen wir es und lassen es in Mittelstellung anhalten. Dann wissen wir um die lotrechte Position.
- Die Knie sind ganz leicht gebeugt, bei einem schulterbreiten Stand. Ziehen wir einmal die Kniescheibe nach hinten oben, ganz fest mit durchgedrückten Knien und lassen sie dann wieder frei. Dann sind die Knie locker. Wenn wir nicht mehr aus der Hüfte heraus tanzen können, sind die Knie auch nicht locker.
Wie sollten die Füße stehen?
Unsere Füße sollten fest auf dem Boden stehen. Jeder Fuß sollte an mindestens drei Stellen Druck auf den Boden ausüben, um gleichmäßig zu stehen. Drei Punkte einer Säule sind statisch am stabilsten. Der große Zeh, der äußere Fußballen und die Ferse sind gleichermaßen belastet.
Bei manchen Menschen ist der große Zeh bei einer plantaren Fußdruckmessung gar nicht mehr sichtbar. Der große Zeh soll aber aktiv am Stand beteiligt sein. Machen wir die Toega Übung, bringen wir aktiv Kraft in die großen Zehen. Die kleineren Zehen dienen eher zur Stabilisation zu den Seiten hin. Der große Zeh ist für das Gehen und Laufen essenziell, ohne ihn wird es schier unmöglich.
Das richtige Stehen geht dem barfuß Gehen und Barfußlaufen voraus, da der Fuß von der einfachen Belastung des Körpergewichts profitiert. Die Plantarsehne dehnt sich langsam mit der Zeit und das Fußgewölbe senkt sich etwas, beziehungsweise die Muskulatur baut sich auf und das Fußgewölbe wird intrinsisch gestützt.
Das richtige Stehen beinflusst unsere gesamte Körperhaltung und unseren Stoffwechsel
Um das richtige Stehen zu lernen, müssen wir es neu und bewusst erlernen. Nichtsdestotrotz stellen wir uns selten einfach richtig hin. Wir sollten dies häufiger tun, wann immer wir können, denn Stehen ist auch gesünder als Sitzen. Die Wirbelsäule ist dafür ausgelegt, die Druckbelastungen der aufrechten Stehhaltung auszuhalten. Dies gilt nicht für das Sitzen. Muskeln, Bänder und Sehnen verkürzen und verkrampfen beim Sitzen.
Wenn wir viel im Büro arbeiten, sprechen wir am besten mal unseren Chef auf einen Standing Desk, also ein Stehtisch Pult oder einen höhenverstellbaren Tisch, an. Unser Stoffwechsel dankt es uns, da er im Stehen weniger runtergefahren wird als im Sitzen. Wir werden weniger müde und können aktiver Pause machen. Nach ein oder zwei längeren Arbeitseinheiten ist es dann mal eine Wohltat, sich für fünf Minuten “aktiv” hinzusetzen und dem Organismus bewusst eine Ruhepause zu geben, um dann wieder in eine stehende Position zu gelangen.
Wenn wir ohne Absatz und mit genügend Auflagefläche auf dem Boden stehen, nehmen wir den Untergrund besser wahr, die vielen Fuß-Nervenenden registrieren den Druck der Bodenreaktionskräfte und sorgen für eine gute Gesamtkörperwahrnehmung. Dies ist die Tiefenwahrnehmung der eigenen Person im Raum. Wir werden allein durch die richtige Haltung stabiler, das drückt sich auch nach Außen hin aus. Wir werden ruhiger, sind geerdet, selbstbewusster und vertrauenswürdiger.
Aufrecht Stehen drückt unsere innere Haltung, unsere Aufrichtigkeit aus
Aufrecht Stehen wird auch mit Aufrichtigkeit verbunden. Unsere Haltung kommuniziert viel mehr als wir oft ahnen. Wir kommunizieren die ganze Zeit und strafen uns selbst Lügen, wenn Haltung und Gesagtes nicht im Einklang stehen. Aufrichtung kommt also von Innen. Aber sie körperlich zu üben, kann die innere Aufrichtung besser entstehen lassen.
Erst wenn wir aufrecht Stehen lernen, können wir aufrecht gehen und laufen. In vielen asiatischen Bewegungskünsten steht das Finden und Spüren der eigenen Mitte im aufrechten Stand im Vordergrund, beispielsweise im Qi Gong, Tai Chi oder Aikido. Aber auch in westlichen Bewegungskünsten wie Feldenkrais oder Alexandertechnik.
Du musst wissen, dass viele Wege auf die Spitze eines Berges führen. – Miyamoto Musashis
Stehen ist Praxis, nicht Theorie. Ich hoffe, ich konnte dafür animieren, mehr zu praktizieren. Erst, wenn wir aufrecht Stehen lernen, können wir aufrecht gehen und laufen. Wie, das zeige ich in den nächsten Teilen der Barfuß-Laufschule bei evidero.