Im dritten Teil unserer Reihe zur Konfliktlösung beschreiben unsere Experten Nayoma de Haen und Torsten Hardiess, die als Kommunikationstrainer und Coaches arbeiten, wie wir uns mit Hilfe der Gewaltfreien Kommunikation (GFK) konkret verständigen können.
Haben Sie schon einmal etwas nicht gesagt, weil Sie fürchteten, es könnte falsch ankommen? Und haben Sie dann gemerkt, wie die Situation durch das Schweigen eher schwieriger wurde und eine innere Distanz entstand? Die meisten werden das kennen. Wir spüren, dass die Art, wie wir gewöhnlich kommunizieren, der Verbindung nicht dient, wissen jedoch oft nicht, wie es anders gehen könnte.
Positiv kommunizieren: Lebensfördernde und lebensentfremdende Kommunikation
Eine lebensfördernde Kommunikation bringt das zum Ausdruck, was in mir und meinem Gegenüber lebendig ist und schafft so die Grundlage, dass sich auch zwischen uns mehr Lebendigkeit entfalten kann.
Lebensentfremdend hingegen ist alles, was statisch ist und was versucht, etwas Lebendiges durch Manipulation, Druck oder Zwang dem eigenen Willen entsprechend zu formen. Ein klassisches Beispiel sind die “Du bist…” Botschaften, über die wir schon gesprochen haben, aber auch alles was mit “Du musst…” oder “Du sollst…” anfängt. Vielleicht kennen Sie das noch von Ihren Eltern. “Du musst jetzt schlafen gehen” oder “Du solltest mal netter zu Deiner kleinen Schwester sein”. Das ist eher wenig motivierend, oder?
Wenn wir nett zu jemandem sind, damit er tut, was wir wollen, dann ist das ebenfalls nicht förderlich für eine friedvolle, harmonische Verbindung. Auch, wenn wir einfach automatisch auf etwas reagieren, kann es lebensentfremdend wirken.
Stellen Sie sich vor, jemand rempelt Sie an und Sie schnauzen ihn aus dem Affekt heraus an. Vielleicht haben Sie sich erschreckt oder Sie möchten eine klare Grenze setzen. Mit Ihrer schroffen Reaktion haben Sie dann Ihr aktuell stärkstes Bedürfnis befriedigt, aber längerfristige Bedürfnisse wie Harmonie oder ein friedvolles Miteinander außer Acht gelassen. Dann kann es sein, dass Sie hinterher bereuen, wie Sie reagiert haben.
Gemeinschaft und Kooperation für ein friedliches Miteinander
Abgesehen von unserem persönlichen Harmonie-Bedürfnis gibt es auch noch weitreichendere Gründe, lebensfördernde Kommunikationsformen zu entwickeln. Wenn wir uns die Entwicklung des Lebens ansehen, haben die großen evolutionären Fortschritte immer dann stattgefunden, wenn Gemeinschaft und Kooperation gesteigert wurden. Vom Einzeller zum Vielzeller zum Organismus zum Schwarm oder Stamm zur Nation.
Über die letzten Jahrhunderte hinweg sind wir immer individueller geworden. Wir sind als Individuen unabhängiger vom direkten Kontakt mit anderen Menschen, als wir es jemals waren. Vieles spricht dafür, dass unser nächster großer Entwicklungsschritt darin besteht, zurück zur Gemeinschaft zu finden, ohne dabei unsere individuellen Freiheiten aufzugeben. Das ist eine große Herausforderung. Die GFK unterstützt uns in genau diesem Schritt der Verbindung von Individualität und Miteinander, Selbstbestimmung und Rücksichtnahme, Spontaneität und Mitgefühl.
So kommuniziert man richtig
Um die Chancen zu erhöhen, von unserem Gegenüber so verstanden zu werden, wie wir es uns wünschen, empfiehlt uns die Gewaltfreie Kommunikation eine Struktur für eine vollständige Mitteilung, die aus vier Aspekten besteht. Nehmen wir ein Beispiel aus der Familie: Sie sitzen mit Ihrer Familie beim Kaffeetrinken und Ihr Bruder vertilgt gerade das zweite und letzte Stück des Kuchens. Sie waren so ins Gespräch vertieft, dass Sie sich noch keines genommen hatten.
1. Beobachten (statt interpretieren): Statt das Gespräch mit einer Interpretation zu beginnen („Du bist echt unmöglich. Du bist immer so gierig. Kaum gibt es was zu essen, vergisst du alle um dich herum!“) steigen Sie damit ein, so objektiv wie möglich zu benennen, worauf Sie sich gerade beziehen. Eine Beobachtung wäre: “Du hast das letzte Stück Kuchen gegessen und ich hatte noch keins.“ Damit weiß mein Gegenüber, auf was sich meine Mitteilung bezieht, und meine Chancen steigen, dass er mir weiter zuhört.
2. Gefühle identifizieren (statt Gedanken): Was fühlen Sie dabei? Sind Sie traurig oder enttäuscht? Vielleicht frustriert? Wenn Sie sich ärgern, können Sie sich einen Moment Zeit nehmen, um die Gedanken zu erkennen, die den Ärger nähren (siehe oben). Vielleicht können Sie auch nachspüren, wie es Ihnen jetzt ginge, wenn Sie die Situation nicht auf diese Weise interpretieren würden. Wenn es einfach so ist, dass jetzt kein Stück Kuchen mehr da ist. Was fühlen Sie dann? Sind Sie verblüfft, hungrig, enttäuscht? Manchmal ist es gar nicht so leicht, unseren Gefühlen auf die Spur zu kommen und sie in Worte zu fassen, denn wir haben wenig Übung darin. Aber um einander wirklich zu verstehen, sind Worte sehr hilfreich. Die deutlichere Wahrnehmung und das Benennen unserer Gefühle hilft uns auch, die dahinter liegenden Bedürfnisse zu erkennen.
3. Bedürfnisse benennen (statt Strategien): Worauf weisen Ihre Gefühle hin? Vielleicht geht es Ihnen gar nicht um etwas zu essen, sondern darum, dass Sie sich Rücksichtnahme wünschen oder dass Sie gerne beachtet würden. Oder Sie hatten tatsächlich Hunger und müssen sich nun mit einem knurrenden Magen abfinden. Wenn wir uns darüber austauschen, welche unserer Bedürfnisse angesprochen wurden, entsteht Verständnis, denn jeder kennt den Wunsch nach Rücksichtnahme, Beachtung oder wie es sich anfühlt, hungrig zu sein. Aber nur wenn klar ist, worum es Ihnen geht, wissen Sie und die Beteiligten, ob Ihnen gerade ein paar mitfühlende Worte oder ein Marmeladenbrot gut tun.
4. Bitten (statt fordern): Es macht allen Beteiligten viel mehr Freude, wenn eine Bitte erfüllt wird, als eine Erwartung oder gar Forderung. Wenn ich bitte, lasse ich dem Anderen ehrlich die Möglichkeit, sich dafür oder dagegen zu entscheiden. Eine Bitte könnte lauten: „Kannst du mir bitte sagen, was in dir vorgegangen ist, als du dir das Stück Kuchen genommen hast?“ Oder einfach: „Wärst du bereit, zu versuchen, daran zu denken, das nächste Mal nachzufragen, bevor du dir das zweite Stück nimmst?« Eine Forderung hingegen wäre: „Jetzt sorge mal dafür, dass ich noch was zu essen kriege.“ Die größten Aussichten auf Erfolg habe ich, wenn meine Bitte konkret (Zeit, Ort, Personen) und umsetzbar ist.
Welche Gefühle eine Situation auslöst oder welche Bedürfnisse sich darin zeigen können, ist ganz unterschiedlich. Zum Beispiel kam die acht Jahre alte Tochter meiner Schwester von einem lang ersehnten Ausflug zu einem Ponyhof nach Hause und erzählte, sie sei als einziges Kind aus der Gruppe nicht geritten, weil es nicht genug Pferde gab. Geistesgegenwärtig traf meine Schwester keine Annahme über ihre Reaktion, sondern fragte: „Und wie war das für dich?“ Die überraschende Antwort lautete: „Kein Problem, ich fand es interessant, die anderen dabei zu beobachten und Fotos zu machen“ und damit war das Thema für sie erledigt. Wenn wir offen nachfragen, erfahren wir manchmal erstaunliche Dinge.
Richtig kommunizieren: Mit Kopf und Herz zuhören
Neben dieser vierteiligen Struktur für eine vollständige Mitteilung spielt auch das Zuhören eine entscheidende Rolle. Auch hier bestimmt unser Denken, was wir hören. Filtere ich die Worte des Anderen durch das Konzept „Mit dir stimmt was nicht“? („Du bist rücksichtslos“) oder neige ich eher zu der Idee „Mit mir stimmt was nicht“? („Ich war nicht schnell genug“)? Oder höre ich aus der Perspektive zu „Was brauche ich?“ („Ich möchte berücksichtigt und mit einbezogen werden“) und „Was brauchst du?“ („Brauchst du wohlwollendes Verständnis dafür, dass du gar nicht gemerkt hattest, dass ich noch keinen Kuchen habe?“)