Bewegung ist wichtig für uns. Das fängt schon beim einfachen Gehen an. Nur eine halbe Stunde pro Tag wirkt sich positiv auf die Gesundheit von Körper und Geist aus. Doch wie geht man richtig? Und was hat das eigentlich mit dem Barfußlaufen zu tun? Laufcoach Per-Olov de Marco zeigt uns in der 6-teiligen Barfuß-Laufschule bei evidero heute im zweiten Teil, warum das richtige Gehen eine weitere Grundlage für das Barfußlaufen ist.
Richtig gehen lernen von der Wiege auf ist ein komplexer Prozess
Bevor wir mit dem Barfußlaufen angefangen, müssen wir barfuß gehen (wieder er-)lernen. “Barfuß gehen lernen”, kann man sich dann fragen, muss man das denn lernen?
Um ehrlich zu sein: eigentlich nicht. Wenn man sich damit zufrieden gibt, von A nach B zu kommen. Das kriegt man schon irgendwie hin. Ob es dann wirklich artgerecht ist, steht auf einem anderen Blatt.
Denn Gehen ist einer der komplexesten Bewegungsabläufe, die wir gelernt haben. Als Kinder schauen wir es uns von unseren Eltern ab. Wir liegen, kriechen, krabbeln erst mal und stellen uns dann mit großer Mühe auf zwei Beine. Dann irgendwann fangen wir an gestützt, später dann frei zu gehen. Allerdings ist das sehr ungelenk zu Beginn. Später läuft es dann flüssiger und wir üben Bewegungsmuster ein, die wir dann ein Leben lang beibehalten.
Aufrechtes Gehen war einst unser menschlicher Vorteil gegenüber anderen Spezies
Nicht selten sieht man bei Menschen Bewegungsmuster, die über das Stadium des Kindesalters nicht rausgekommen zu sein scheinen. Wir hinterfragen überhaupt nicht, ob man das Gangbild noch perfektionieren könnte. Er reicht aus, um von A nach B zu kommen. Ein Parcourläufer, welcher sich katzengleich den kürzesten, aber dafür hindernisreichsten Weg durch die Stadt erläuft, könnte sich so ein Denken nie erlauben! Beim Parcour muss jeder Bewegungsablauf immer wieder und wieder eingeübt und perfektioniert werden. Um nur ein Beispiel zu nennen. Wir geben uns mit viel zu wenig zufrieden!
In der Evolution hat das aufrechte Gehen und Laufen uns den entscheidenden Vorteil über die anderen Spezies verschafft, denn wir waren dadurch in der Lage, ausdauernd zu hetzen und zu jagen. Das, im Zusammenhang mit unserem abstrakten Denken und unserer Kommunikationsfähigkeit, machte eine Gruppenjagd möglich, wie es sie zuvor im Tierreich nicht gegeben hat. Vermutlich.
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Dennoch setzen wir uns lieber ins Auto und fahren Rolltreppe. Nehmen den Aufzug und lassen uns die Pizza nach Hause liefern. Was völlig verständlich ist, da wir nach evolutionären Maßstäben immer noch nach dem Ökonomieprinzip funktionieren. Je weniger Energie wir ausgeben müssen, um Energie zu erlangen, umso besser für unseren steinzeitlichen Organismus. Denn die nächste Hungerperiode kommt bestimmt. Oder eben nicht mehr.
Dies ist auch einer der entscheidenden Ursachen für Übergewicht. Denn die Nahrungsmittelindustrie bedient genau dieses Prinzip. Lecker Kalorien für wenig Aufwand mit freundlichen, erfreuten Gesichtern in der Werbung.
Warum und wann wir gehen – Gesund und natürlich Spazierengehen
Ist Gehen nur noch nützlich, um von A nach B zu kommen? Manchmal ist das so! Aber warum gehen wir dann Spazieren? In der ziellosen, absichtslosen Bewegung liegt Gesundheit und Regeneration verborgen. Wenn wir uns keinem äußerem Druck und Zielen unterordnen und uns ganz auf die Bewegung konzentrieren, haben wir die Möglichkeit, in Kontakt mit unserem eigenen Rhythmus zu kommen. Das Gehen eignet sich hier noch besser als das Laufen, weil nur die wenigsten es mit Sport in Verbindung bringen.
Dennoch, es findet eine kreislaufanregende und auch eine muskelaktivierende Wirkung statt. Gehen ist eine wundervolle Möglichkeit, Gedankenkarusselle anzuhalten, Ordnung ins Chaos bringen, oder einfach abzuschalten. Barfuß bietet uns außerdem die Möglichkeit, mehr in Kontakt mit dem Boden zu kommen, unser Unterbewusstsein hat die Möglichkeit, die Beschaffenheit des Bodens wahrzunehmen und einzuspeichern. Somit kennen wir uns in unserer eigenen Umgebung auch taktil aus. Außerdem heben wir das Getrenntsein von unserem Umfeld auf. Wir verbinden uns mit der Natur.
Beim Gehen kann man auch gut lernen und Stress abbauen
Gehen fördert das Denken. Denken Sie an sich selbst, wenn Sie für eine Prüfung gelernt haben. Viele wichtige Gespräche wurden im Gehen geführt.
Das Gehen wirkt sich positiv auf unsere Gesundheit aus. Wie alle sanften ausdauernden Bewegungen. Das Risiko an Krebs zu erkranken, Übergewicht zu entwickeln oder auch einer psychischen Erkrankung entgegenzusteuern, ist bei sanften Geheinheiten schon verringert. Unser Immunsystem profitiert sowohl von der frischen Luft, als auch davon, sich barfuß mal die Füße schmutzig zu machen. Bewegungen in aufrechter Position führen zu axialer Belastung entlang der Wirbelsäule und haben einen positiven Einfluss auf die Knochendichte.
Stress wird abgebaut. Dies wird an Herzratenvariabilitätsprüfungen (HRV) deutlich sichtbar, wie wir sie auch in der Gezeitenhaus Klinik in Bonn durchführen. Die beiden Stresshormone Adrenalin und Cortisol sinken, insbesondere bei einem Waldspaziergang.
Barfuß gehen vermindert Erkrankungen der Füße ohne hohen Aufwand
Barfuß zu gehen im Speziellen sorgt dafür, dass insbesondere Fehlstellungen und erworbene Deformationen der Füße verhindert und/oder vermindert werden können. Halux Valgus, Fersensporn und Ermüdungsbrüche werden mit falschem Schuhwerk und falscher Gangart in Verbindung gebracht.
Gehen ist vor allen Dingen aber auch etwas Praktisches. Ich muss mich nicht extra umziehen, ich schwitze nicht und ich kann Benzinkosten oder die Kosten für den öffentlichen Personennahverkehr sparen. Natürlich dauert es etwas länger als mit dem Auto, aber dafür spare ich mir wieder Zeit fürs Fitnessstudio. Denn Gehen bedient mein Körperbedürfnis nach natürlicher Bewegung optimal. Genau dafür sind wir gemacht, uns ausdauernd fortzubewegen.
Der Gehstil ist gemütsabhängig und Teil unserer situativen Körpersprache
Wir sind soziale Wesen, kommunizieren die ganze Zeit. Auch wenn wir nicht verbal kommunizieren. Die Körpersprache ist viel älter. Sie drückt sich auch im Gangbild aus. Es ist also nicht so leicht, von einer richtigen Gangweise zu sprechen, da Gehen etwas Individuelles und etwas Situatives ist. Gemütslage und körperliche Voraussetzungen bestimmen maßgeblich unser Gangbild und machen eine Beobachtung und Analyse von außen schwer. Eine eigene Analyse von Innen macht hier mehr Sinn.
Mit diesen Übungen das richtige Gehen neu lernen
Einige der folgenden Selbsttrainings führen uns zu einem guten, individuellen Gangmuster fernab von dogmatischen Gangschulen. Ich glaube nämlich, dass ein(e) Jede(r) mit den Füßen auf die Welt kommt, die er/sie braucht, um den Körper zu tragen, den er/sie bekam.
Wenn wir nicht mit einer tatsächlichen Missbildung auf die Welt kommen, haben wir einen funktionsfähigen Fuß bekommen, welcher sich aber, in Verbindung mit Trainingszeit und Schwerkraft, über die Jahre mitentwickeln muss, wenn wir wachsen.
Leider stützen wir den Fuß aber durch falsches Schuhwerk schon von Kind auf und verhindern, dass dies geschehen kann. Keinen anderen Körperteil packen wir dermaßen in einen Schutzmantel wie unsere Füße.
Ballengang oder Fersengang? Was ist gesünder für den Fuß?
Hier gibt es mehrere Lager in der “Barfußgemeinde”. Die einen sagen so, die anderen so. Für mich gibt es hier überhaupt keine Diskussion. Der Fußaufsatz wird nämlich vollkommen überbewertet! Oder eigentlich unterbewertet. Der Fuß ist mit all seinen Gelenken in alle Richtungen mobil. Strecken wir das Bein aus und lassen den Fuß kreiseln, dann merken wir es.
Wenn wir dann glauben, es gäbe nur einen richtigen Fußaufsatz, ist das doch sehr starr. Sowohl am Fuß, als auch im Kopf. Der Fuß soll beim Gehen alle Unebenheiten des Bodens abfangen können. Stellen wir uns nur mal einen Weg über einen Geröllhaufen vor.
Wir haben allerdings einen Großteil unserer Wege asphaltiert oder begradigt, was das Adaptieren fast unnötig macht. Deshalb sollte man dennoch so gehen, als wäre der Boden noch vielfältig, um einseitige Belastungen zu vermeiden. Entscheidend für den Fußaufsatz ist vielmehr alles, was über dem Fuß ist.
Gehen wir sanft und langsam über einen glatten Boden ist ein Fersenaufsatz möglich, es fühlt sich sogar leicht an. Verlassen wir den glatten Weg und gehen durch unbekanntes Unterholz, können wir nicht anders, als mit dem Vorfuß voran. Wir können unser Sicherheitssystem da kaum betrügen, welches Sicherheit den Vorrang vor Effizienz gibt.
Entscheidend ist aber insbesondere, wie schnell wir das tun. Denn wir sind im Alltag oft viel zu schnell gehend unterwegs. Unsere Füße können Belastungen, wie sie bei höheren Geschwindigkeiten entstehen, nicht gut aushalten. Wir sollten viel früher zu laufen beginnen.
Die verschiedenen Fortbewegungsarten des Menschen:
Der Mensch hat mehr oder weniger drei Fortbewegungsarten im aufrechten Zustand: Gehen, Laufen und Sprinten. Das klingt logisch, ist aber noch mal wichtig zu verstehen. Es gibt keine fließenden Übergänge!
Dies ist im Tierreich nicht anders. Pferde, Katzen, Hunde, alle haben eine Gehmethode, welche sich mit einem Trab oder Gallop/Sprint abwechselt.
Die Geschwindigkeit sagt uns, wann wir wechseln sollten in den nächst höheren Gang. Durch die vielen drucksensitiven Nervenenden im Fuß wissen wir, wann die Geschwindigkeit zu hoch ist für unsere Gelenke und schalten einen Gang höher. Nicht weil dieser Energie spart, nein er kostet mehr, sondern weil es sicherer ist. Am Ende wollen wir nach Hause kommen und nicht auf der Strecke bleiben!
Wie geht man richtig?
Beim Stehen haben wir gesehen, wie man stabil bleibt. Beim Gehen und Laufen ist Stabilität nicht erwünscht. Form ja, aber die Stabilität müssen wir zu Gunsten der Bewegung aufgeben.
Wir müssen Fallen lernen. Die Schwerkraft zieht uns kontinuierlich zur Erde hin, wie wir die Erde mit gleicher Kraft zu uns ziehen, das ist das dritte Newtonsche Gesetz.
Wenn wir “stabil” gehen wollen, also einen Fuß vor den anderen setzen, aber in Stehhaltung bleiben, kommen unsere Füße weit vor uns auf dem Boden auf und wir bekommen früher oder später Schmerzen in Ferse oder Ballen. Das sieht man oft.
1. Übung: Den richtigen Körperschwerpunkt zum Gehen finden
Stellen wir uns also aufrecht hin, denken an einen Faden an unserem/r Scheitel/Stirn, der uns an der Decke festhält, und nun lassen wir diesen Faden nach vorne wandern. Der Faden ist immer noch über uns an der Decke, aber er wandert über unsere Stirn weiter nach vorn. Wie bei einer Marionette. Irgendwann wird der Zug nach vorne so groß, dass wir nach vorne fallen würden. Um das aufzufangen, müssen wir einen Fuß nach vorne bringen. Wir müssen also erst raus aus der Stabilität, in die Dynamik.
Wir wollen dabei nicht vornüberfallen, sondern bleiben aufrecht nach oben ausgerichtet. Das Brustbein bleibt gehoben und der Blick am Horizont. Wir möchten so natürlich nicht gehen, aber es ist wichtig, diese Übung zu fühlen, um zu wissen, dass wir unseren Schwerpunkt nach außen verlagern müssen, um mit unseren Füßen unter dem Schwerpunkt zu landen.
Lehnt man sich zu weit zurück, stoppt man mit seinem Fußaufsatz und muss dann lange mit seinem Körper über den Fuß wandern.
Gehen ist eine Start-Stop Bewegung. Aber man kann diesen Wechsel abmildern und etwas flüssiger gestalten.
Beim Stehen ist es gut, wenn der Körperschwerpunkt tief ist, er liegt etwas unter dem Bauchnabel, in der Mitte des Körpers, allerdings etwas mehr zur Körpervorderseite hin.
Im Pilates Powerhouse genannt, anderswo Hara oder Dantien genannt. Je tiefer wir diesen setzen, zum Beispiel in der tiefen Hocke, um so stabiler sind wir. Je höher wir ihn setzen, um so instabiler sind wir.
Setzen wir uns in die Tiefe Hocke spüren wir, dass wir stabil am Boden sind. Strecken wir uns auf die Zehenspitzen und heben die Hände, werden wir sehr instabil. Beim Gehen brauchen wir einen hohen Schwerpunkt!
Um also energiesparend zu gehen, müssen wir nach vorne und nach oben “fallen”. Die Schwerkraft ist umsonst, gleichzeitig treten wir uns aber mit dem hinteren Fuß über den großen Zeh nach oben ab, um unseren Schwerpunkt oben halten, um schneller zu sein. Denn je mehr ein Gegenstand aus der Balance ist, umso schneller wird er.Alleine fürs Gehen ist es erforderlich, über die Toega-Übung viel Kraft im großen Zeh zu entwickeln. Er ist hier ganz klar der wichtigste Kontakt zum Boden und sollte nach vorne ausgerichtet sein.
2. Übung: Beim Gehen Hüfte und Arme bewegen
Die Wirbelsäule ist in ihrem Aufbau beweglich. An manchen Stellen mehr, an manchen Stellen weniger. Sie hat die Möglichkeit der Torsion. Davon machen aber nur die wenigsten beim Gehen aktiv Gebrauch. Da das Gehen aber eine Bewegung ist, die stark aus der Hüfte kommt, brauchen wir die Arme zum Auspendeln. Beim Gehen bewegt sich das Becken nach vorne zum schreitenden Bein hin. Der Arm auf dieser Seite bewegt sich aber in die andere Richtung.
Üben wir das! Wir bewegen die Arme beim Gehen übertrieben, mehr als sonst und schwingen richtig stark durch. Dies bringt unseren Oberkörper seitlich zur Gehrichtung. Aber es schleudert nahezu die Hüfte beim nächsten Schritt nach vorne. Dies brauchen wir, um ökonomisch zu gehen.
Es bringt unseren Schwerpunkt weiter nach vorn, aber den Fuß unter den Schwerpunkt statt wie beim statischen Gehen vor den Schwerpunkt. Wir landen dadurch mal mit der Ferse, mal mit den Mittelfuß oder auch mal auf dem Ballen. So wie es der Boden gerade fordert.
Hierzu gibt es viele weitere Übungen, welche zum Beispiel im Buch von Wim Luijpers: “Die Heilkraft des Gehens” beschrieben sind.
Begeben Sie sich selber auf die Suche nach Ihrem ureigenen Gang. Er sollte allerdings dynamisch sein und nicht zu bequem beziehungsweise zurück gelehnt. Achten Sie nicht darauf, was andere über Sie sagen oder denken. Gehen ist auch ein Ausdruck von Lebensfreude und Leichtigkeit. Das sollten wir uns von niemandem nehmen lassen.