Beinahe 80 Prozent unseres Obstes und 60 Prozent des Gemüses sind mit Pestiziden belastet. Im Interview mit dem Bundesinstitut für Risikobewertung wird nachgefragt, wie hoch das Risiko für den Menschen ist, an ihnen zu erkranken.
Die Deutschen sind ein sicherheitsliebendes Volk. Auch deshalb gibt es seit fast zehn Jahren das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) in Berlin – eine Behörde des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Das BfR ist eine Beratungsstelle rund um das Thema Sicherheit: Egal ob Lebensmittel, Produkte, Chemikalien oder Arzneimittel – bei allen ungeklärten Fragen ist sie der Orientierungspunkt. Janine Otto hat Miriam Ewald vom BfR befragt.
Als Bundesinstitut für Risikobewertung sind Sie Hüter über die Lebensmittel-, Produkt- und Chemikaliensicherheit hier in Deutschland. Greenpeace hat einen Ratgeber herausgebracht, aus dem ersichtlich wird, dass beinahe 80 Prozent unseres Obstes und 60 Prozent des Gemüses mit Pestiziden belastet sind. Wie hoch schätzen Sie das Risiko ein, dass Menschen an diesen Rückständen erkranken können?
Für Rückstände von Pflanzenschutzmittel-Wirkstoffen in Lebensmitteln sind Höchstgehalte festgelegt – bis zu diesen Mengen sind die Stoffe in Lebensmitteln also erlaubt. Bis zu diesen Gehalten treten keine schädlichen Auswirkungen auf die Gesundheit auf.
Die Überschreitung eines Rückstandshöchstgehalts stellt einen Verstoß gegen geltendes Recht dar, die Lebensmittel sind nicht verkehrsfähig. Dies muss aber nicht bedeuten, dass der gefundene Rückstand auch ein Risiko für Verbraucher darstellt, denn Rückstandshöchstgehalte sind keine toxikologischen Grenzwerte. In aller Regel werden erst bei sehr viel höheren Konzentrationen toxikologische Grenzwerte erreicht bzw. überschritten.
Der Alchimist Paracelsus stellte im 16. Jahrhundert fest: „Die Dosis macht das Gift.“ Heute ist gerade bei Medikamenten bekannt, dass durch Kombinationen von Stoffen eine höhere toxische Wirkung entstehen kann – trotz geringerer Mengen. Als Institut, das für die Zulassung von Pestiziden mit verantwortlich ist, testen Sie bisher nur die Toxizität von Einzelpräparaten. Laut Greenpeace gibt es jedoch kein anderes Land als Deutschland, in dem mehr unterschiedliche Pestizide gefunden wurden. Ändert das in Zukunft ihre Untersuchungsmethoden?
Paracelsus hat mit seiner Aussage immer noch recht. Aber bei der Beurteilung von Proben, die Rückstände mehrerer Wirkstoffe enthalten, genügt es nicht immer, nur auf Einzelstoffbasis zu bewerten, sondern es muss auch geprüft werden, ob Kombinationswirkungen möglicherweise zu einem höheren gesundheitlichen Risiko führen. Wenn das BfR entsprechende Überwachungsproben bewertet, werden alle in der Probe gefundenen Rückstände in die Bewertung einbezogen. Die bisherigen Erfahrungen zeigten, dass eine gesundheitliche Beeinträchtigung durch Rückstände mehrerer Pflanzenschutzmittel-Wirkstoffe in einem Lebensmittel praktisch ausgeschlossen ist.
Gegenwärtig werden auf EU-Ebene einheitliche Methoden zur Bewertung von Kombinationswirkungen entwickelt. Das BfR ist an der Methodenentwicklung beteiligt, die in enger Kooperation mit der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) erfolgt. Selbstverständlich werden die Entwicklungen Eingang in die Bewertungspraxis des BfR finden.
Bereits jetzt ist die Bewertung von Kumulations- und Synergieeffekten vorgeschrieben. Enthält das Pflanzenschutzmittel z.B. mehrere Wirkstoffe, wird die gemeinsame Wirkung dieser Stoffe in den Prüfungen und Bewertungen zur Präparatetoxizität erfasst.
Deutschland ist das Land in der EU, in dem mit Abstand die meisten Lebensmittelproben auf Pestizide untersucht werden. Auch das Spektrum der unterschiedlichen Pestizide, die bei den Untersuchungen erfasst werden, ist höher als in anderen EU-Staaten. Insofern verwundert es nicht, dass laut Greenpeace in Deutschland die meisten unterschiedlichen Pestizide gefunden wurden.
Ende letzten Jahres haben Sie eine Warnung herausgegeben, dass auf Gurken nachgewiesene Rückstände des Pestizids Fenamiphos ein Gesundheitsrisiko für Kinder darstellen. Dieser neurotoxische Stoff ist seit 2006 gar nicht mehr zugelassen. Wie kann es sein, dass er trotzdem in unsere Lebensmittel gelangen kann?
Die Gurken, in denen die Fenamiphos-Rückstände gefunden wurden, sind zwar in Deutschland untersucht, aber nicht hier angebaut worden. Während in Deutschland derzeit kein Pflanzenschutzmittel mit Fenamiphos zugelassen ist, muss dies für andere Länder nicht der Fall sein.
Jedes Lebensmittel, das in Deutschland gehandelt wird, muss die aktuell geltenden Rückstandshöchstgehalte der EU einhalten. Höchstgehalte werden auch für Stoffe festgesetzt, die in Deutschland nicht mehr angewendet werden. Durch die Festsetzung von Rückstandshöchstgehalten auch für solche Stoffe können wir aber sicherstellen, dass Verbraucher vor diesen Stoffen ausreichend geschützt sind.
Welche Tipps geben Sie Verbrauchern: Wie sollen sie am besten mit Obst und Gemüse frisch vom Markt umgehen, um möglichst wenig Pestizide aufzunehmen?
Grundsätzlich gilt, dass Verbraucher aus Gründen der Lebensmittelhygiene, zum Schutz vor Keimen, Obst und Gemüse vor dem Verzehr gründlich waschen sollten. Dies kann manchmal auch zu einer Verminderung von Pestizidrückständen beitragen.
Da die Risikobewertung für Pestizidrückstände immer den kritischsten denkbaren Fall des Verzehrs berücksichtigt, also z.B. den Fall, dass ein Verbraucher ungewaschene und ungeschälte Äpfel in Mengen verzehrt, sind Verbraucher unabhängig vom weiteren Umgang mit ihren Lebensmitteln auf der sicheren Seite, was die Pestizidrückstände betrifft. Weitere umfassende Informationen zu Rückständen von Pflanzenschutzmittelwirkstoffen finden Sie in unseren „Fragen und Antworten” zum Thema.
Frau Ewald, herzlichen Dank für dieses Interview.
Die Fragen stellte: Janine Otto