Noch nie war Einkaufen so einfach. Statt an langen Schlangen vor der Umkleide zu stehen und sich die Hose mit den Schuhen vorstellen zu müssen, kann man sie sich auch gemütlich nach Hause schicken lassen. Am besten in mehreren Farben und Größen. Was dann nicht gefällt, kann innerhalb von (mindestens) 14 Tagen zurückgeschickt werden, in der Regel kostenlos.
Laut Informationen der WirtschaftsWoche Online senden Verbraucherinnen und Verbraucher jährlich eine dreistellige Millionenzahl von Paketen an Versandhäuser wie Amazon zurück. Die Frage die sich stellt ist, was passiert mit unseren Retouren?
Wir wissen, was im Supermarkt nicht mehrere Tage vor dem Verfall der Mindesthaltbarkeitsdatum gekauft wird, landet im Müll. Warum? Unter anderem weil die direkte Entsorgung der Produkte für die Unternehmen am günstigsten ist. Ein ähnliches Problem macht sich auch außerhalb der Lebensmittelbranche bemerkbar.
So einfach macht das Widerrufsrecht den Online-Kauf
Der amerikanische Onlineversandhändler Amazon hat es vorgemacht – der Kunde steht im Mittelpunkt. Um die Customer Experience so angenehm wie möglich zu gestalten, setzt Amazon auf eine sehr offene Rückgabe-Politik. Um heute eine hohe Kundenzufriedenheit zu erreichen, orientieren sich Unternehmen an genau dieser Rückgabe-Politik.
Ein weiterer Grund für die große Freiheit im Retouren-Prozess ist das Widerrufsrecht. Dieses erlaubt, den Onlinekauf innerhalb von 14 Tagen ohne Angabe von Gründen zu widerrufen. Seit 2014 müssen die Unternehmen die Rücksendekosten allerdings nicht mehr übernehmen. Da wir es aber wie eben beschrieben mit einer sehr anspruchsvollen Kundschaft zutun haben, übernehmen die meisten Versandhäuser die Rücknahmekosten. Zalando wirbt sogar mit einem hundert Tage Rückgaberecht.
Umgang mit Retouren: was ist am profitabelsten für Amazon?
Nun setzen die Onlineversandhäuser sich millionenfachen Retouren aus – und das kostet. Denn selbst wenn die Produkte in einwandfreiem Zustand retourniert werden (was keine Selbstverständlichkeit ist, viele Unternehmen berichten von Missbräuchen des Rückgaberechts) müssen diese wieder in die Umlaufbahn gelangen.
Dafür müssen sie auf Beschädigungen geprüft, neu verpackt, in das System aufgenommen und letztlich auch wieder gelagert werden. Es kommen neue Kosten für Personal und Lagerung auf. Profitabler ist es in vielen Fällen, die retournierten Produkte stattdessen zu entsorgen.
Massenhafte Produktvernichtung bei Amazon
Auf diese Vernichtungsprozesse machten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Amazon aufmerksam. Laut Frontal 21 und der WirtschaftsWoche wurden diese aufgefordert, retournierte Produkte wie Lebensmittel, Bücher, Matratzen, Tablets, Smartphones, Waschmaschinen und weitere Elektrogeräte zu vernichten – tausende pro Woche.
Heimliche Aufnahmen zeigen, wie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Gegenstände in die Industriepresse geben. Dazu sollen sowohl Amazons eigene als auch die Produkte externer Anbieter gehören. Nicht nur B-Ware wird dabei vernichtet, sondern auch neuwertige Ware. Die Entsorgung ist günstiger und durch Schrottmüll kann sogar noch Geld generiert werden. Dabei wird keine Rücksicht auf knappe Ressourcen gegeben.
Amazon gibt keine Zahlen zu den entsorgten Produkten preis. Stattdessen macht das Unternehmen auf Lebensmittelspenden aufmerksam. Ein wichtiger Punkt, denn die Frage, warum die Produkte, die im Müll landen, nicht gespendet werden, beschäftigt viele.
Natürlich ist dies kein reines Amazon-Phänomen, es scheint sich um ein Branchenproblem zu handeln. Zum einen weil Amazon als Marktführer für andere Unternehmen als Vorbild fungiert. Zum anderen, weil natürlich auch andere Marktteilnehmer (einfach ausgedrückt) Kosten sparen und Wachstum steigern wollen.
Die Folge ist dann zum Beispiel der fragwürdige Umgang mit Retouren. In diesem Artikel beziehe ich mich ausschließlich auf Amazon aus dem einfachen Grund, dass uns diese Informationen zur Verfügung stehen, anderen Unternehmen konnte eine solche Praktik bislang noch nicht nachgewiesen werden.
Warum spendet Amazon so wenig?
Spendet ein Unternehmen Waren (dazu gehören auch Lebensmittel), fallen hohe Kosten an. Konkret werden alle Spenden mit 19 Prozent Umsatzsteuer belastet. Spendet Amazon beispielsweise Matratzen im Wert von 10.000 Euro kommen weitere 1.900 Euro Steuern hinzu. Günstiger ist dann wieder die Entsorgung.
Kritikerinnen und Kritiker fordern die Entsorgung von Wert- und Rohstoffen gesetzlich zu unterbinden. Allerdings kommt dann die Frage auf: wie weit sollte der Staat in den Markt eingreifen? Doch wenn das Wegwerfen günstiger als Spenden ist – sollte da nicht das deutsche Steuerrecht überdacht werden?
Laut einer Umfrage geben 13 Prozent der Befragten an, nicht mehr im Internet zu kaufen, wenn Retouren gebührenpflichtig werden würden. Im Falle einer Gebührenpflicht würden jedoch die Verbraucherinnen und Verbraucher für die Ressourcenvernichtung der Unternehmen bestraft, diese wiederum würden Kosten sparen.
Was können Verbraucherinnen und Verbraucher ändern?
Weder eine Gesetzesänderung noch eine Einstellungsänderung bei den Dienstleistern scheint moment realistisch. Den größten Unterschied können aktuell wohl die Verbraucherinnen und Verbraucher bewirken und zwar indem sie ihr Online-Einkaufsverhalten überdenken. Ist es wirklich nötig die Salatschleuder online zu bestellen oder kann ich diese auch im Offline-Handel erwerben? Muss ich wirklich alle erhältlichen Farben zur Ansicht bestellen oder kann ich diese Entscheidung womöglich schon während der Bestellung treffen?
Eine weitere Alternative sind natürlich Unternehmen, die auf ethische Produktion und Versand setzen. Es ist schwer festzustellen, wie die Unternehmen mit Retouren umgehen, allerdings lohnt es sich immer, zum jeweilige Onlineversandhaus zu recherchieren. Je transparenter diese mit Informationen und Zahlen umgehen, desto besser.
Der Kunde ist König… und wird zum Sündenbock
Meiner Meinung nach sollten wir allerdings nicht nur ethisches Handeln bei Käuferinnen und Käufern verlangen. Zu schnell passiert es, dass die Effizienzsteigerung bei Großunternehmen akzeptiert wird, von Verbraucherinnen und Verbrauchern allerdings wird mehr Konsumkontrolle verlangt.
Jeff Bezos, der Gründer von Amazon, gilt mit einem geschätzten Vermögen von rund 150 Milliarden US-Dollar als der reichste Mensch der Welt. Wenn ein Unternehmen wie Amazon kaum spendet, weil 19 Prozent Umsatzsteuer aufkommen würden, dann klingt das sogar fast plausibel – natürlich, ein Unternehmen will wachsen und möglichst kostengünstig wirtschaften.
Wenn wir Konsumentinnen und Konsumenten aber wissentlich Produkte bestellen und zurücksenden, die dann womöglich in der Industriepresse landen, gelten wir als unvernünftig und nicht handlungsbewusst, weil wir der Verführung des Konsums nicht widerstehen konnten.
Wir halten Verantwortungsbewusstsein bei Konsumentinnen und Konsumenten für selbstverständlich, wir verlangen es geradezu. Amazon scheint dieses nicht zu brauchen, Amazon wächst auch so.