Circa 80 Prozent aller ‚Jogger’ verletzen sich anscheinend durchschnittlich einmal pro Jahr beim Laufen über die Ferse. Hingegen ist die natürliche Lauftechnik, wie wir sie noch bei Naturvölkern und auch teilweise bei unseren Kindern beobachten können, den meisten Menschen in unserer zivilisierten, von gedämpften Schuhen eroberten Welt, abhanden gekommen. Dabei ist es genau dieser artgerechte Barfußlaufstil, der uns Zweibeiner erst zu dem perfekten Laufwesen werden lässt, zu dem wir geboren wurden.
Ist Barfußlaufen nur ein neuer Trend?
Barfußlaufen – Schon wieder ein neuer Trend? – Das dachte ich mir noch vor zwei Jahren, als mich kurz darauf die Argumente der Natural Runner dazu bewegten, meinen Laufstil weg vom Fersenlauf hin zum Lauf auf den Mittel- und Vorderfuß zu ändern. Dafür mussten auch andere Schuhe her, denn der normale Joggingschuh ist meist ein in der Ferse stark gedämpfter Schuh, der die natürlich Pronation des abrollenden Fußes unmöglich macht. Die Umstellung dauerte eine Weile, denn der neue Laufstil forderte meine Füße, mein Sprunggelenk und meine Waden sehr. Ich hatte deftigen Muskelkater und musste meine Einheiten im neuen Stil nach und nach auf- und ausbauen und erst langsam aber stetig verlängern.
Zurück zu den Wurzeln: Natürlich Laufen ist die ursprüngliche Technik des Menschen
Heute laufe ich “natürlich”, das heißt, ich nutze die natürliche Dämpfung meines Fußes zum Laufen, statt die eines gedämpften Schuhs. Ich habe keine Knieprobleme beim Laufen und meine Füße und Sprunggelenke sind sehr viel kräftiger geworden. Die positiven Erfahrungen, die ich beim natürlichen Laufen gemacht habe, sprechen sehr für die Barfußbewegung, die sich als Trend einige Jahre zuvor zunächst nur bei den Läufern etabliert hatte. Die neue Barfuß-Technik, die eigentlich eine alte von Naturvölkern war, sollte Verletzungen der Fuß- und Beingelenke beim Laufen durch eine natürliche und ursprüngliche Lauftechnik verhindern. Back to the Roots.
Bei den Sportläufern hat das in Folge allerdings zu einigen Diskussionen über das für und wider der Barfuß-Technik mit sich gebracht, denn die zu schnelle Umstellung unserer ziviliserten und geschonten Füße und Gelenke brachte, vor allem zu Beginn und bei zu hohen Leistungsansprüchen, erst einmal viele Verletzungen anderer Art mit sich.
Laufen ohne Joggingschuhe: Natürlich laufen anstatt mechanische Hilfsmittel einzusetzen
Seit jüngerer Zeit erreicht die Barfußbewegung aber auch den Alltag jener Menschen, für die sich überprotektioniertes Schuhwerk, Einlagen und orthopädische Hilfsmittel jeder Art als wirkungslos erwiesen haben. Denn Menschen mit Fuß- oder Beinschmerzen, die aus Halux Valgus, Mittelfußsyndrom, Achillissehnenproblemen, Senk-, Spreiz- oder Plattfuß oder Knieproblemen herrühren, finden oft nicht wirklich Linderung oder Heilung durch Einlagen, orthopädisches Schuhwerk oder gar operative Eingriffe.
Da die Vorteile des Barfußlaufens vor allem in der sensorischen Rücksensibilisierung des Fußes liegen, welches die wichtigsten Muskeln der Füße reaktivert und das Neu-Erlernen des natürliche Laufens ermöglichen, interessieren sich immer mehr Menschen für die neue alte Geh- und Laufmethode des Barfußlaufens. Denn sie verspricht Prävention und Therapie für unsere durch Überprotektionierung geschädigten Füße und Knie gleichermaßen.
Mein erster Barfuß-Laufkurs
Für mich als Autorin, Läuferin und Yogalehrerin ist es interessant und spannend herauszufinden, ob sich durch die ursprüngliche Nutzung unserer Fußsensoren und der Fußmuskulatur Krankheiten der Fuß- und Beingelenke verhindern oder heilen lassen. Die Neugier hat mich also dazu bewogen, einen Barfußlauf-Workshop bei Vivobarefoot, einem Pionier in Sachen Barfußlaufen und Barfußschuhe, mitzumachen.
Ich habe einen 8-stündigen Tag in einer netten Gruppe und mit dem engagierten und vielseitig sportlich-medizinisch ausgerichteten Lauf-Coach Per-Olof De Marco verbracht und bin um einige Erkenntnisse zum ursprünglichen Laufen und den Vorteilen des Barfußlaufens schlauer geworden.
Was ja jeden interessiert: Habe ich die richtige Lauftechnik?
Vor allem, da ich mich bereits auf eine natürliche Laufweise umgestellt hatte, war ich besonders neugierig auf die Video-Analyse meiner bisherigen Lauftechnik und wie diese wohl einzustufen ist. Alle Teilnehmer mussten also gleich zu Beginn des Workshops einen kurzen aber zügigen Lauf auf dem Laufband absolvieren, welcher gefilmt und danach durch ein Laufanalyse Programm ausgewertet wurde.
Videoanalyse der bisherigen Lauftechnik auf dem Laufband
Zu Beginn des Kurses mussten alle Teilnehmer zunächst eine Video-Analyse ihres Laufstils auf dem Laufband absolvieren. Dazu haben wir unsere normalen Laufschuhe mitgebracht, die meisten mit gedämpfter Sohle im Fersenbereich. Ich besitze drei Paar Laufschuhe, die ich ab und zu wechsle, damit ich mich nicht zu sehr an einen Laufkomfort gewöhne. Meistens laufe ich aber mit meinen Natural Run Schuhen, die eine dünnere und kaum durch Dämpfung verstärkte Sohle haben. Denn diese eignen sich für mich am besten, um mehr im Vorder- und Mittelfußbereich zu laufen. Mein Lauf wurde also mit diesem Laufschuh eine halbe Minute in einem flotten Lauftempo gefilmt.
Doch vor der Auswertung unserer eigenen Laufstile haben wir noch einige Dinge über die evolutionsbiologischen und biomechanischen Hintergründe zum Barfußlaufen erfahren.
Das Laufen in der Evolution des Menschen – biomechanische Hintergründe
Der Mensch ist ein echtes Ausdauertier, seine natürliche Fortbewegung ist das Laufen, und er braucht dafür kein gedämpftes Schuhwerk. Das ist die Message, die ich hier mitgenommen habe.
Dass Naturvölker dieser evolutionsbiologischen Entwicklung noch am nächsten sind, und große Teile der Menschheit immer noch barfuß laufen und keine überprotektionierten Schuhe tragen, liegt natürlich auch an klimatischen, kulturellen und wirtschaftlichen Bedingungen in den einzelnen Ländern.
Aber de facto ist der Fuß des Zivilisationsmenschen häufig durch falsches Schuhwerk und Unterbeanspruchung stark degeneriert. Senk-, Spreiz-, Plattfuß, Entzündungen und Schmerzen im Mittelfuß, Probleme mit der Achillessehne oder anderen Sprunggelenkssehnen und Knieschmerzen – all dies sind die Auswirkungen einer Unterbeanspruchung der sensorischen und muskulären Funktionen unserer Füße.
Füße sind wie Hände Greifwerkzeuge, die sich sensorisch anpassen
Eigentlich sind unsere Füße sogar Greifwerkzeuge, sie können tasten und bei entsprechender Beanspruchung sogar die Hände ersetzen. Dies wird eindrucksvoll belegt an Menschen mit der Contergan Erkrankung, die ihre Füße wie Hände zu nutzen verstehen. Durch gedämpfte Schuhe und die falsche Gehweise werden die Sensoren unserer Füße jedoch schon in der Kindheit ausgeschaltet. Wir spüren den Untergrund nicht mehr deutlich, die Muskeln können sich also auch nicht entsprechend anpassen.
Künstliche Dämmung der Laufschuhe verhindert die natürliche Anpassung der Füße
Was für uns Läufer besonders wichtig ist: Durch die Fersendämmung der meisten Laufschuhe wird nicht nur unsere Sensorik im Fuß bei jedem Laufschritt gedämpft und damit das Gefühl dafür, wieviel Gewicht eigentlich hier durch die Ferse durch unsere Gelenke in den Boden stemmt (bei Joggern ist es das 3-fache ihres Körpergewichts). Es wird auch die natürliche Pronation (Absenkung nach innen) des Fußes, die ein Ausscheren des Kniegelenks kompensiert, verhindert.
Das erklärt die häufigen Kniegelenksbeschwerden bei Joggern, denn das Knie muss bei dieser Fußführung durch einen gedämpften Schuh nach außen ausweichen. Dafür ist es aber nicht gemacht.
Joggen ist nicht Laufen!
An dieser Stelle muss ich erklären, was liele vielleicht noch verwechseln: Joggen ist nicht Laufen. Jogger haben einen festgelegten Laufstil, mit raumgreifenden Schritten vor dem Körperschwerpunkt, die über die Ferse abgerollt werden. Dafür sind die Laufschuhe mit Dämpffunktion auch gemacht, denn ohne diese würde der Jogger schnell spüren, dass sein Laufstil sich ungünstig auf seine Gelenke in Füßen und Beinen bis hin in den Rücken auswirkt.
Unter Laufen verstehen wir vielmehr diejenige Gangart, in die sich der Körper automatisch begibt, sobald er in eine höhere Geschwindigkeit anstrebt. Wir schalten sozusagen einen Gang höher und wechseln automatisch in diese Gangart. Die Füße und ihre Sensorik sind hierbei der Auftraggeber für den Gangwechsel. Das klappt allerdings am besten, wenn wir es ohne gedämpftes Schuhwerk auf verschiedenen Untergründen versuchen. So wie es unsere Vorfahren, die Jäger, getan haben, oder die Naturvölker immer noch tun.
Laufen ist der Wechsel der Gangart durch achtsames Spüren des Untergrundes
Im Workshop versuchen wir also zunächst einmal das zügige Gehen barfuß: Wir halten uns dabei die Ohren zu und gehen zügig einige Schritte, bei denen wir über die Ferse abrollen. In meinem Kopf hämmert jeder Fußaufsatz, das lässt sich nur ändern, wenn ich wesentlich langsamer gehe.
Danach probieren wir das Gehen über den Vorderfuß, oder eben so, wie man natürlicherweise schneller geht, wenn man keine Schuhe anhat und den Untergrund spürt. Bei dieser sachten, eher schleichenden Gangart sind keine Schläge mehr spürbar/hörbar. Meine Hüfte passt sich den Bewegungen schwingend an. Anscheinend adaptiert sich barfuß meine gesamte Gangtechnik automatisch an den Untergrund, wird insgesamt weicher und achtsamer. Und wenn man barfuß auf hartem, unebenen Untergrund unterwegs ist, wechseln wir automatisch in das Laufen, sobald wir schneller werden wollen.
Auswertung der Videoanalyse: Wie sieht meine bisherige Lauftechnik aus?
Nachdem ich nun weiß, dass normales Joggen und falsches Schuhwerk zu zahlreichen Beschwerden in Füßen, Gelenken und sogar im Rücken führen kann (was ich aus eigener Erfahrung bereits wusste), möchte ich aber jetzt unbedingt wissen, wie ich denn laufe. Auf einem großen Bildschirm spielt Per-Olof, unser Laufcoach, das Video von meinem Lauf ab. Erst schnell dann in Zeitlupe. Wir sollen unseren eigenen Laufstil nun im Hinblick auf den Fußaufsatz, den Körperschwerpunkt, die Haltung und die Entspannung beurteilen. Das Analyseprogramm macht schöne deutliche Striche dahin, wo mein Körperschwerpunkt ist und wie meine gesamte Körperachse beim Laufen verläuft.
Ich bin zufrieden, Per-Olof auch: Ich bin schon ein guter Läufer. Meine Füße sind bereits durch meinen Natural Run Schuh und meine Vorderfußlauftechnik an eine bessere Adaption des Untergrundes gewöhnt. Sie setzen zwar noch leicht zu weit vor dem Körperschwerpunkt auf, aber das bedarf nur einer minimalen Korrektur, durch eine noch bessere angepasste Barfußlauftechnik. Meine Körperachse ist auftrecht, meine Haltung entspannt.
Die meisten anderen Teilnehmer sind noch ganz eindeutig Jogger. Ihr Fußaufsatz liegt weit vor dem Körperschwerpunkt, die Schritte sind groß und raumgreifend, die Abrollbewegung erfolgt über die Ferse. Zudem sind die meisten zu weit nach vorne gebeugt, schauen zu sehr nach unten und wirken leicht verkrampft (was aber auch an dieser Video Analyse selbst liegen kann). Hier haben wir also noch ein bisschen Arbeit im Workshop, denn einige Übungen für die Beweglichkeit in den Gelenken und gezielt für das Barfußlaufen stehen noch aus.
Übungen und Grundregeln für das natürliche Barfußlaufen
Entscheidend für ein natürliches Laufen ist die Dämpfung durch den eigenen Fuß statt durch einen gedämpften Schuh. Das ist die Quintessenz der Barfußlaufphilosophie. Dies kann aber nur durch eine perfekte Sensorik in den Füßen, die Vorbereitung der nötigen Muskeln und Sehnen sowie die Anpassung des Gelenkapparates in Füßen und Knien geschehen. Dass dies nicht von heute auf morgen geschehen kann, ist klar. Es bedarf eines Umlernens.
Mit der Toega Übung (Zehen Yoga) können wir beispielsweise lernen, wie wir unsere Zehen und Muskeln in den Füßen aktivieren können. Die Tiefe Hockemacht uns dagegen mobil in den Gelenken und bereitet uns auf die Sprungbewegungen beim Laufen vor. Gezielte Sprungübungen in der 180 bpm (Beats per Minute) Methode, zeigen uns, den richtigen Rhythmus für das natürliche Laufen.
Bei den vielen Übungseinheiten kommen wir mächtig ins Schwitzen. Der Rhythmus von 180 bpm macht einigen zu schaffen, deren Sprunggelenke nicht auf diese Schnellkraft eingestellt sind. Hier zeigen sich erste Schwächen und Trainingshinweise für den Einzelnen.
Vorher-Nachher: vergleichende Videoanalyse auf dem Laufband im Barfuß Stil
Nun sind wir alle gut vorbereitet. Wir wissen, worauf es ankommt, und können nun versuchen, das neu Gelernte beim Vorher-Nachher-Vergleich auf dem Laufband umzusetzen. Wieder laufen wir eine halbe Minute in vollem Tempo – diesmal barfuß und mit Metronom auf 180bpm (Rythmusgeber).
Als Per-Olof meine Videosequenzen gegenüberstellt, lässt sich bei mir kaum ein Unterschied feststellen, mein Beinaufsatz scheint ein wenig näher am Körperschwerpunkt, meine Haltung und mein Rhythmus sind OK. Auch die anderen ehemaligen Jogger haben sich dem Laufen angenähert, bei einigen ist der verbesserte Stil anhand der gesamte Körperachse deutlich sichtbar. Die Barfußtechnik bringt uns also tatsächlich einem gesunden Laufstil näher.
Analyse der Fußdruckpunkte über die plantare Druckmessplatte
Auch interessant fand ich die Messung meiner Fußdruckpunkte über die plantare Druckmesslatte. Auf dieser Platte kann man genau sehen, auf welchen Bereichen des Fußes das meiste Körpergewicht verteilt wird. Dies sollte am besten auf drei Punkten verteilt sein:
- Die große Zehe,
- der rechte Außenballen
- und die Ferse.
Dazwischen sollte sich ein Hohlraum aufspannen, die natürliche Fußwölbung, die die Dämpfung unseres Fußes gewährleistet.
Hier zeigten sich erhebliche Schwächen in meinem Messbild. Wenn ich stehe, belaste ich vor allem auf der Ferse und manchmal auf dem Vorderballen. Die Zehen werden im Messbild kaum sichtbar. Wahrscheinlich das Ergebnis von jahrzehntelangem Tragen unangemessener Schuhe, die mir den Ausgleich meines Gewichts über den Fuß nicht ermöglichen.
Nur wenn ich mich wirklich stark darauf konzentriere und meine Muskeln aktiviere, kann ich das Fußgewölbe gezielt aktivieren. Das wird ein Teil meiner privaten Übungen sein, um meine Füße noch besser auf die natürliche Gangart vorzubereiten und mich vor Verletzungsrisiken und Fehlbildungen meiner Füße zu schützen.
Warum brauchen wir für das Barfußlaufen überhaupt noch Laufschuhe?
Diese Frage wurde bereits am Anfang von vielen Teilnehmern gestellt. Aber sie beantwortet sich fast von alleine: Die Schuhe dienen vor allem dem Schutz vor äußeren Verletzungen durch Glas, Steine oder Dornen sowie vor Kälte und Nässe. Aber sie betonen unter Umständen auch die Funktionalität des Barfußlaufens, denn nur durch einen guten Schuh kann ich die Vorteile des Barfußlaufens in jedem Gelände und bei jeder Temperatur gewährleisten. Worauf es ankommt ist aber vor allem eine stichfeste Sohle.
Fazit aus dem Barfußlaufworkshop und Empfehlung
Die Barfuß Lauftechnik eignet sich nicht nur für Läufer, die dies als Sport betreiben. Sie ist sogar vielmehr eine Technik, die uns die natürliche Art zu stehen, zu gehen und zu laufen zurückgeben kann. Nicht umsonst suchen viele Menschen über 50 Heilung in dieser neuen alten Technik, denn orthopädische Hilfsmittel wie Einlagen, Zehentrenner, Stützbandagen oder gar operative Eingriffe können an einer fortschreitenden Fehlbelastung durch möglicherweise unterentwickelte Füße nicht wirklich helfen. Die Übungen, wie die Toega Technik, können uns dabei sehr helfen.
Ich habe nun mein erstes Paar Barfußschuhe und werde mich drei Monate lang an deren Einsatz im Alltag gewöhnen und erneut darüber berichten. So lange kann ich zum Einstieg nur empfehlen, an einem entsprechenden Workshop teilzunehmen oder das Barfußlaufen sanft zu testen. Viele Freude beim Ausprobieren!