Die erfolgreiche Buchautorin und Gründerin der OpenMind Akademie und Liebesakademie Anne Heintze ist eine außergewöhnlich schöne Frau mit langen blonden Haaren. Vor kurzem hat sie sich freiwillig und ohne erkennbaren Grund von ihren Haaren getrennt und eine Glatze geschnitten. Das hat uns bei evidero beeindruckt. Wir freuen uns, dass Anne mit uns über ihre Beweggründe und Erfahrungen spricht. Es geht um den Mut zum eigenen Sein, der nichts mit Äußerlichkeiten tun hat.
Liebe Anne, Respekt! Was hat dich zu deinem Kahlschlag bewegt?
Oh, da gab es eine lange Vorgeschichte: Ich hatte eine jahrelange Diskussion mit meinem lieben Friseur Dennis, der sich weigerte, meine grauen Haare zum Vorschein kommen zu lassen: „Das mach ich erst, wenn du 60 bist. Punkt!“ Dann habe ich, als ich nach München umgezogen bin, eine neue Friseurin gefunden und – man glaubt es nicht – sie sagte das Gleiche.
Aber ich wollte es wirklich anders. Dann habe ich es selbst in die Hand genommen und wollte ergrauen, das ist aber gründlich schief gegangen. Die Farbe war einfach nur schrecklich. Also nahm ich kurz entschlossen erst die Schere und dann mehrere Rasierer und der Kopf war nackt.
Warum ich meine grauen Haare haben wollte? Um nicht mehr 10 Jahre jünger aussehen, als ich bin, nämlich 55! Und nach 10 Jahren Farbe wusste ich nicht mehr, wie ich ECHT aussehe. Das wollte ich wissen. Die Optik bestimmt die Wirkung auf andere Menschen viel mehr, als wir meistens glauben. Ich war nicht wirklich echt. Und kannte meinen äußeren Kopf nicht mehr. Daher.
Was ging in dir vor, als du die ersten Haare abgeschnitten hast?
Ich habe mich einfach nur selbst dabei beobachtet. Erst habe ich einen Zopf gemacht und beschlossen, den mit der Schere abzuschneiden. Was für ein merkwürdig intensives Geräusch, wenn die Schere schneiden und schneidet und klemmt und versagt, weil der Zopf so dick und üppig ist! Das Ergebnis war erst mal ein Schock. Die Haare sahen aus wie abgefressen.Also habe ich ein paar Nassrasierer genommen und gründlich geschabt. Auch dabei war das Geräusch besonders beeindruckend, weil nie gehört, bisher. Eigentlich hatte ich erwartet, dass das Abrasieren mir richtig schmerzhaft sein wird. Das war aber nicht so. Denn ich wusste immer: „Ich bin nicht meine Haare“.
Was meinst du, wenn du sagst, „Ich bin nicht meine Haare“?
Ich bin immer noch der gleiche Mensch.
Mein Denken hat sich nicht verändert, nur ein Teil meines Körpers.
Mein Fühlen hat sich nicht verändert, nur ein Teil meines Körpers.
Mein Handeln hat sich nicht geändert, nur ein Teil meines Körpers.
Ein wirklich unwichtiger Teil.
Die Haare sollen und werden wachsen, wie Unkraut. Nächste Woche werde ich anders aussehen, in drei Monaten ebenso und ich habe keine Vorstellung davon, welche Frisur ich in einem Jahr haben werde.
Ich bleibe der gleiche Mensch.
Ich bin nicht mein Denken.
Ich bin nicht mein Fühlen.
Ich bin nicht mein Handeln.
Ich bin auch nicht mein Körper.
Und ich war auch nie mein früheres langes, blondes Haar. Oder 1,73m und 78kg oder Konfektionsgröße 42 oder Schuhgröße 40 oder ….
Wie haben Familie, Freunde und auch fremde Menschen reagiert?
Woran ich keine Sekunde gedacht hatte, als “ich es tat” (das scheinbar weltbewegende, unfassbare, irritierende Haarabschneiden), waren die vielfältigen Reaktionen der Umwelt. Ist es denn so ungewöhnlich, einfach mal den Mut zu einer rein äußerlichen, oberflächlichen Veränderung zu haben? Ich bin ja kein neuer Mensch geworden. Das, was unter der Nacktfrisur passiert, ist immer noch das Gleiche.
Es gab viele Reaktionen von Menschen, die mich urplötzlich völlig neu “bewerten”: “Du bist ja doch nicht so eine Barbie-Puppe oder Tussi wie ich dachte”. Oder: “Ich dachte immer, dass du viel Wert auf dein Äußeres legst.” Oder: “Wie kannst du dich nur so verunstalten, deine Psyche muss sehr durcheinander sein.” Oder auch: “Respekt, das hätte ich nie von dir gedacht, du schienst immer so unnahbar perfekt und jetzt traust du dich, unperfekt zu sein”.
Aber auch Sorge habe ich erlebt: Menschen schrieben mir oder riefen an, um sich zu erkundigen, ob es mir gut geht oder so etwas wie Krebs und Chemotherapie der Grund für die neue Frisur ist. Nein, ich bin rundum gesund und fühle mich prächtig.
Befremdend waren manche Nachrichten von Menschen, die ich gar nicht persönlich kenne, die sich aber dennoch bemüßigt fühlten, mir zu schreiben “wie Scheiße” sie meine Optik jetzt finden. Übergriffige und respektlose Reaktionen habe ich also auch erlebt. Sehr wenige, aber auch die waren da.
Das Allerbeste war: Meine Lieblingsmenschen, Freunde und Familie, waren alle TOTAL gelassen. „So kennen wir dich, kompromisslos, experimentell und weit weg von einer Anhaftung an Äußerlichkeiten.“
Am Tag nach der Glatzenaktion hatte ich ein Skype-Gespräch mit meinem Sohn, der weit weg lebt und noch nichts davon wusste. Ich war schon so daran gewöhnt, dass ich nichts sagte, als das Gespräch begann und er mich urplötzlich so sah. Er fing heftig an zu lachen, war null schockiert, bewunderte meine Schädelform, verglich sie mit seiner und das war’s auch schon.
Was hast du aus dem Kahlschlag gelernt?
Ja, ich bin ein eitler Mensch. Ästhetik ist mir in vielen Bereichen meines Lebens wertvoll. Ich lege auch Wert auf mein Äußeres, ohne es wirklich wichtig zu nehmen. Ich fühlte mich immer beschenkt von der Natur und den Genen, dass ich so bin wie ich bin. Mit allem was mich ausmacht.
Wenn ich nackt vor einem Körperspiegel stehe, sehe ich Stellen an meinem Körper, die ich weniger mag, als andere. Ich sehe die Frau in den Wechseljahren, die in der Mitte rund wird, sehe die Cellulitis, die Falten, die Schwangerschaftsstreifen, die Narben. Im Profil entdecke ich seit ein paar Monaten eine Entwicklung zur Birne. Na und?
Jetzt sieht auch mein Kopf anders aus und ich garantiere für nichts. Vielleicht will ich morgen doch wieder Haare färben. Rot oder braun oder schwarz. Oder ich lasse sie grau. Kurz oder lang wachsend. All das betrifft mein inneres Sein nicht wirklich. Meine Seele ist unabhängig davon. Mein Sein ist nicht mein Körper. Es ist sehr entspannend, das nochmal erlebt zu haben durch diese Haare-Aktion.
Welche Erfahrung möchtest du weitergeben?
Die Frage an alle: Können wir uns nicht immer wieder neu erfinden? Haben wir es nicht viel mehr in der Hand, uns so sein zu lassen, wie wir sind, als wir bisher angenommen haben? Können wir uns nicht alle befreien von dem Urteil(en) anderer Menschen? Du, lieber Leser: Was würdest du ändern, wenn du mutig und selbstbestimmt wärst? Nein, ich meine nicht nur deine Frisur, deine Kleidung oder andere Äußerlichkeiten. All diese Fragen können wir auf viele Ebenen des Lebens übertragen. Ich lade dich ein zu mehr Mut, um so zu sein, wie du es dir wünscht.
Die Fragen stellte: Jutta Echterhoff