Meditation ist eine der ältesten Methoden, das Bewusstsein zu weiten. Heute gibt es unzählige digitale Tools, die diesen Prozess effizienter und effektiver machen wollen. “Meditation zwischen Abgrund und Nirvana” lautet deswegen auch das Motto des nächsten Kongress Meditation & Wissenschaft im November in Berlin. Wissenschaftler und Experten gehen hier der Frage nach, ob es tatsächlich noch um Bewusstseinserweiterung oder vielmehr um Selbst-Optimierung geht? Was ist dran am Versprechen der effizienten und effektiven Meditation für Jedermann/-frau?
Transformative Technologien ermöglichen neue Meditations-Tools
Vor einigen Wochen fragte mich ein Zen-Lehrer, mit dem ich seit vielen Jahren zusammenarbeite, was es eigentlich mit all den Meditations-Tools auf sich hat, die mit „transformativen Technologien“ versuchen, meditative Erfahrungen zu ermöglichen.
Wir hatten gemeinsam in den letzten Jahren ein didaktisches Konzept für eine Meditations-App entwickelt. Ein Projekt, das vor dem Hintergrund der Zen-Tradition durchaus fragwürdig ist, geht es im Zen doch vor allem darum, sich von den Illusionen über das Leben zu befreien, um wieder in einen unverstellten Kontakt mit der Wirklichkeit zu treten.
Den Geist mit Inhalten zu füllen, erscheint da erst einmal kontraproduktiv. Wir hatten mit der App diesen Widerspruch bewusst zum Programm gemacht. Die Kurse mit geführten Meditationen geben keine Anleitung, »etwas« zu erreichen.
Sie bringen vielmehr Vorstellungen, die wir vom Leben haben, in die Wahrnehmbarkeit. Das erleichtert den Übenden das Erkennen und Loslassen von Trugbildern, das im Zen so zentral ist, und öffnet das Bewusstsein wieder für die Natur seiner Grenzenlosigkeit.
Binaurale Beats per App wirken im Gehirn wie tiefe Meditationszustände
Der Zen-Lehrer betrachtete die Nutzung von Technologie als eine Möglichkeit, Denkanstöße, die früher allein in der persönlichen Lehrer-Schüler-Beziehung vermittelt wurden, zeitgemäß auch über digitale Kanäle zugänglich zu machen. Und es interessierte ihn sehr, was in diesem Bereich möglich ist.
Einer seiner Schüler hatte sich bei iAwake Technologies, einem von dem integralen Aktivisten John Dupuy gegründeten Unternehmen, einige Tracks heruntergeladen und ausprobiert, die mit so genannten binauralen Beats die Hirnwellen stimulieren. Dabei beginnt das Gehirn in Frequenzen zu schwingen, welche die neurowissenschaftliche Forschung mit tiefen Meditationszuständen assoziiert.
Der Schüler hatte das Gefühl, dass diese Klänge ihm guttaten, konnte das Phänomen aber nicht einordnen und erhoffte sich nähere Hinweise. Auf meine Erklärungen hin, wie diese Technologien funktionieren, antwortete mir der Zen-Lehrer: »Beim Lesen deiner Einschätzung merkte ich, wie sich in meinem Bauch Alarmsignale aufbauten – und gleichzeitig ein Gelüst nach einer neuen Wundermethode.«
Formt die Meditation unser Bewusstsein oder die Technologie?
Diese spontane Reaktion sagt viel darüber aus, mit welchen Versprechen wie auch Herausforderungen uns die Digitalisierung konfrontiert. Wenn es darum geht, schnell mal eine Fahrkarte zu kaufen oder uns in einer fremden Stadt zurechtzufinden, sind wir erfreut über Hilfsmittel, die uns dies erleichtern, und fragen kaum nach möglichen Nebenwirkungen.
Beim Meditieren ist das schon anders. Als Praxis, die uns für unser tieferes Wesen öffnet, kommt sie uns so nahe wie kaum etwas anderes. Viele Menschen meditieren, um Ganzheit zu erfahren und sich von all den Beschränkungen, denen sie im Leben begegnen, zu lösen.
Ist es möglich, dass digitale Tools uns diese Urerfahrung menschlicher Lebendigkeit leichter zugänglich machen? Eröffnet uns die Digitalisierung vielleicht sogar neue Bewusstseinsräume, von denen wir noch nichts ahnen?
Oder schleicht sich hier auch eine technologische Logik in unser Leben, die unser Bewusstsein nach ihren ganz eigenen Regeln formt?
Angemessene Realitäten statt ausgedehntes Bewusstsein
Für Ray Kurzweil, Chef-Futurist bei Google und einer der prominentesten Vertreter des Transhumanismus (Transhumanismus verfolgt die Vision einer Grenzenlosigkeit, in der als erstes die Grenzen zwischen Mensch und Maschine verwischen), ist es nur eine Frage der Zeit, bis digitalisierte Denkprozesse unser gesamtes Dasein durchdringen und auf eine neue Stufe heben.
»Ich gehe davon aus, dass die Singularität 2045 eintreten wird – dann werden menschliche Wesen ihre effektive Intelligenz milliardenfach ausweiten, indem sie mit der Intelligenz, die wir geschaffen haben, verschmelzen«, sagt er. Es ist die Vision einer Ganzheit und Grenzenlosigkeit, in der als erstes die Grenzen zwischen Mensch und Maschine verwischen. Unzählige Forschungsprojekte arbeiten bereits an ihr.
Das Institut für experimentelle Neurologie der Charité beispielsweise entwickelt ein »Virtual Brain«, eine Nachbildung des menschlichen Gehirns.
»Obwohl das Virtual Brain die komplexe Neurochemie nur in geringem Umfang einbezieht, erreicht es viel dadurch, dass es nicht so komplex ist wie das Gehirn selbst. Stattdessen integriert es neue Konzepte aus der rechenbasierten, kognitiven und klinischen Neurowissenschaft, um die Komplexität des Modells drastisch zu reduzieren und es dabei dennoch angemessen realistisch zu halten«, heißt es auf der Webseite des Projekts.
Es ist ein Vorstoß, der die für die Wissenschaft immer noch nicht wirklich ergründbare Komplexität des menschlichen Gehirns reduziert auf ein überschaubares Derivat, um mit diesem schließlich neue Einsichten über die ursprüngliche Komplexität zu gewinnen.
Doch wie viel menschliche Wirklichkeit beinhaltet diese »angemessene Realität« noch? Verkürzungen wie diese lassen das menschliche Bewusstsein nicht unangetastet, denn sie schleichen sich in unsere Wahrnehmung ein und prägen so unser Denken.
Reduktion durch Technologie schmälert das authentische Menschsein
»Wir nutzen immer die zu dem Zeitpunkt neueste Generation von Technologie, um die nächste Generation zu erschaffen«, erklärt Ray Kurzweil. Aber heißt das nicht auch, dass sich Reduktionismen genauso fortpflanzen wie die Innovationen, zu denen sie führen?
Im »Virtual Brain« steckt kein vollständiges Gehirn. Und doch trägt es zu der Illusion bei, dass wir dabei sind, eines der letzten Geheimnisse des Menschseins zu lösen und es maschinell abbilden zu können. Wir sollten fragen, in welchem Maße die Errungenschaften der künstlichen Intelligenz, all die Algorithmen, mit denen wir jeden Tag interagieren, überhaupt noch in einem Bezug stehen zu dem, was wir als Leben unmittelbar erfahren.
Wie viel authentisches Menschsein wurde durch die bahnbrechenden Entwicklungen der letzten Jahrzehnte bereits herausgefiltert?
Technologie ist die Entzauberung des Unerklärlichen
Es geht um weit mehr als darum, dass Transhumanisten den Menschen als Maschine betrachten und ihn dabei häufig auf die reine Funktionalität des Gehirns reduzieren. Als in den 1960er Jahren das Meditieren anfing, im Westen populär zu werden, waren es vor allem die Sinnsucher und spirituell Interessierten, die sich in das Abenteuer stürzten, den eigenen Geist in der Stille zu erforschen.
Sie wollten herausfinden, was menschliches Bewusstsein seinem Wesen nach ist. Und dies in ihrer eigenen, lebendigen Erfahrung, im direkten Kontakt mit dem, was der Verstand nicht zu fassen vermag, das beim Meditieren in die Wahrnehmbarkeit tritt.
Es war eine Zeit der Sehnsucht nach einem authentischen Leben, das sich der materialistischen Kultur der Moderne mit ihrem Leistungsstreben und ihrer Vereinnahmung des Menschlichen bewusst widersetzte.
Meditation als Forschungsfeld: Jeder zweite hat Erfahrung mit Achtsamkeit
Aufgrund des technologischen Fortschritts haben inzwischen die Neurowissenschaften Meditation als Forschungsfeld für sich entdeckt, denn die Beziehung des Menschen zum Unerklärlichen lässt sich dank bildgebender Verfahren heute in die Sichtbarkeit bringen und analysieren, wenigstens jedenfalls die Gehirnaktivität, die sie nach sich zieht.
Heute belegen zahlreiche Studien, dass Meditation die Konzentration und Aufmerksamkeit fördert, dem Immunsystem zugute kommt, aufwühlende Gedanken zur Ruhe bringt oder auch ganz schlicht zu Wohlgefühlen führt. Das macht Meditieren zum perfekten Gegenmittel für jene, die an den Negativfolgen einer immer schnelleren digitalen Kultur leiden.
In Deutschland hat bereits knapp jeder zweite Mensch, der beruflich stark beansprucht ist, Erfahrungen mit Achtsamkeit gesammelt, so eine Studie des Kongresses Meditation & Wissenschaft aus dem vergangenen Jahr.
Überwindung des Leidensdrucks bei der Mediation durch Technologie
Der Leidensdruck weckt Erwartungen. Wer schon einmal versucht hat zu meditieren, weiß, wie quälend diese Praxis zu Beginn sein kann, denn statt der erwarteten Entspannung ist oft eine schonungslose Konfrontation mit der aufgewühlten eigenen Gedankenwelt die erste Erfahrung, die Meditierende machen.
Eine Vielzahl elektronischer Tools versucht, über diese Hürden hinwegzuhelfen. Mit vergleichsweise kostengünstigen Biofeedback-Geräten können Meditations-Einsteiger ihre Gehirnwellen messen, um zu sehen, dass sich etwas in die richtige Richtung bewegt, selbst wenn es sich nicht immer so anfühlen mag. Audio-Tracks mit binauralen Beats erlauben es sogar, die eigenen Hirnwellen direkt zu beeinflussen.
Von der Technologie vereinnahmt
Das klingt nach Science Fiction, funktioniert aber in gewisser Weise. Als ich vor knapp zehn Jahren für mehrere Monate mit Holosync experimentierte, war ich erstaunt, wie schnell sich durch die binauralen Beats bei mir ein Gefühl des Wohlbefindens und tieferer Geborgenheit einstellte. Es war eine schöne Erfahrung, allerdings eine, die mich nachdenklich stimmte.
Mich hat vor gut 20 Jahren Neugier zum Meditieren gebracht, die Neugier zu erkunden, wie sich Bewusstsein entwickelt und was dadurch im Menschsein möglich wird. Holosync brachte mich recht zuverlässig immer wieder an einen wunderbaren Ort. Doch etwas in mir vermisste die Erfahrung, ins wirklich Unerwartete vorgedrungen zu sein.
Überwachung und Steuerung der Meditation von außen
Ein ähnlich schnelles Ende fanden meine Selbstversuche mit einem EEG-System vor etwa zwei Jahren. Es interessierte mich, mehr über die objektive Seite meines subjektiven Erlebens während der Meditation zu erfahren. Waren meine Erfahrungen von Tiefe, manchmal auch Grenzenlosigkeit, nur Einbildung, oder zeigten meine Hirnwellen, dass sich hier tatsächlich etwas in meinem Bewusstsein entwickelte?
Die Software ließ immer dann, wenn sich meine Meditation vertiefte, Vogelgezwitscher erklingen. Und ich merkte, wie ich innerlich darauf reagierte: »Ah, ich mache es richtig …« Die Aufzeichnungen meiner Hirnwellen zeigten zuverlässig, dass meine Aufmerksamkeit, sobald mein Bewusstsein sich weitete, aufgrund dieser Reaktion wieder abflachte. Und mir wurde bewusst, dass diese ungewollte Interaktion mit dem elektronischen System meiner Meditation Grenzen setzte.
Abhängigkeit von technischen Helfern enteignen das Bewusstsein
Meditationsanfänger mögen solche Tools als hilfreiche Unterstützung erfahren. Doch ihr dauerhafter Gebrauch erzeugt womöglich eine Parallelwelt des Bewusstseins. In dem neuen Buch über »Super-Awareness« von Holosync-Gründer Bill Harris spricht eine langjährige Nutzerin über ihre positiven Erfahrungen.
Über 15 Jahre lang entwickelte sie dank Holosync mehr menschliche Tiefe, Gelassenheit, Souveränität und Lebensfreude. Nun stand sie kurz davor, den allerletzten Kurs zu beenden. Und sie war unsicher, wie sie ihren Weg künftig weitergehen würde ohne neue Audio-Impulse. Über die Jahre hatte sie tiefe spirituelle Erfahrungen gemacht, aber sie empfand diese als etwas, das ihr allein von außen, durch die Technologie widerfahren war. Das Digitale hatte ihr Bewusstsein gewissermaßen enteignet.
Der Traum der Grenzenlosigkeit
Als das menschliche Bewusstsein aufzuscheinen begann, standen unsere Ur-Ahnen mitten im Herzen der Existenz. Sie konnten ihr Dasein, seinen Kontext und seine Möglichkeiten noch nicht durchdringen und lebten aus einer undifferenzierten Ganzheit heraus.
Das Mysterium, das, was alles umfasst und dabei grenzenlos ist, wurde so zum größeren Raum, aus dem Bewusstsein sich über die Jahrtausende entfaltete. Heute haben wir unzählige Rätsel des Menschseins gelöst und wissenschaftlich erklärt. Der Mensch selbst ist immer mehr an die Stelle des Mysteriums getreten und mit ihm die Maschinen, die er geschaffen hat.
Die Grenzenlosigkeit, mit der unsere Vorfahren noch auf natürliche Weise verbunden waren, hat unserem heutigen Verständnis nach einen Beigeschmack des Unmündigen. Und doch scheint eine Sehnsucht danach in uns weiterzuleben, denn auch in den radikalen Visionen der Transhumanisten schwingt der Traum von Grenzenlosigkeit mit.
»Evolution ist so viel intelligenter als du selbst«, lautet ein Gesetz, das von dem Evolutionsbiologen Leslie Orgels formuliert wurde. Der evolutionäre Prozess folgt keinen bewussten Motiven, doch in dem, was er hervorbringt, kommt eine Genialität zum Ausdruck, die das menschlich Vorstellbare übersteigt.
Im Rückblick erkennen wir, in welche einst unfassbaren Dimensionen sich menschliches Bewusstsein bis zum heutigen Tage hineinentwickelt hat. Wie weit vermag es wohl noch aufzublühen? Es ist eine Frage, die Maschinen nicht beantworten können. Wir müssen es selbst herausfinden.