Unser Partner vergisst den Jahrestag. Der Kollege versorgt uns ungefragt mit Ratschlägen. Die Mutter kritisiert unsere Frisur. Wenn unser Glück davon abhängt, dass die Menschen in unserem Umfeld sich so verhalten, wie wir uns das wünschen, dann sind Enttäuschung, Frustration und Streit vorprogrammiert. Dabei liegt die Ursache für unser Unglück meist nicht so sehr in dem Verhalten unseres Gegenübers, sondern darin, wie wir eine Situation interpretieren.
Unser Partner hat zum Beispiel den gemeinsamen Jahrestag vergessen. Grund für Ärger und Streit könnte die folgende Interpretation sein: “Wenn ich meinem Partner wichtig wäre, würde er an unseren Jahrestag denken. Wenn er mich lieben würde, würde er mich heute mit Geschenken überhäufen. Er tut dies nicht, also liebt er mich nicht (richtig).” Diese Gedanken und ihre Schlussfolgerung sind verletzend.
Vermutlich können wir alle die Enttäuschung und den Schmerz hinter diesen Worten fühlen und nachvollziehen. Doch wichtig ist: Es sind Worte, die in unserem eigenen Kopf entstehen. Es sind unsere eigenen Annahmen und nicht das Verhalten des Partners, die weh tun. Wir haben die Macht, uns mit unseren Interpretationen, Erwartungen und Urteilen selbst ins Unglück zu stürzen.
Die Macht unserer Gedanken: Gefangen in der eigenen Interpretation
Im Falle des Kollegen, der ungefragt Ratschläge verteilt, könnten uns folgende Annahmen die Laune verderben: “Der Kollege glaubt wohl, er sei was Besseres. Er behandelt mich wie einen Idioten. Er zweifelt meine Kompetenz und Selbständigkeit an.”
Und bei der kritischen Mutter könnte diese Interpretation schmerzen: “Nie bekomme ich Anerkennung von ihr, immer nur kritisiert sie mich. Sie hätte gerne eine andere Tochter – eine, die so ist wie sie selbst.”
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Manchmal meinen wir sogar, es besser zu wissen als unser Gegenüber selbst. Solche Interpretationen haben eine große Macht: Unsere Gedanken verändern sofort spürbar, wie wir uns fühlen und wie wir dem anderen gegenübertreten. Dabei spiegeln unsere Interpretationen viel mehr unsere eigenen Unsicherheiten und Ängste, als dass sie etwas über die tatsächliche Motivation unseres Gegenübers aussagen.
Urteile sind wie Pfeile: Wir schießen auf andere und verletzen uns dabei selbst
Vor allem wenn wir bei den meisten Menschen von einer Art “böswilligen” Motivation ausgehen – “Mein Partner denkt nur an sich selbst”. “Der Kollege ist ein ewiger Besserwisser”. “Meine Mutter meint, sie hätte guten Geschmack für sich gepachtet”. – schaden wir uns selbst, da wir immer auf der Lauer sind und unbewusst nach dem nächsten “Fehler”, dem nächsten “Angriff” und dem nächsten “Beweis” suchen, dass wir nicht geliebt und wertgeschätzt werden.
Was uns hierbei oft nicht bewusst ist: Wir verletzen uns dabei selbst. Alle Pfeile, die wir auf andere schießen, kommen bei uns selbst an: Wenn ich davon ausgehe, dass weder mein Partner noch meine Mutter mich lieben und auch der Kollege jede Gelegenheit nutzt, um mir zu zeigen, wie wertlos ich bin – dann lebe ich in einer sehr einsamen und traurigen Welt.
Entscheidung für Glück: Die Welt mit Wohlwollen und Empathie betrachten
Dabei sind wir Menschen größtenteils mit uns selbst beschäftigt. Wie wir selbst, so leben auch unsere Mitmenschen in ihrer eigenen Gefühls- und Gedanken-Welt. Wir wissen nicht, aus welcher Situation sie kommen und was sie gerade beschäftigt: In den allermeisten Fällen hat ihr Verhalten wenig bis nichts damit zu tun, was sie über uns denken oder wie sie uns gegenüber empfinden.
Um auf unsere Beispiele zurückzukommen: Der Kollege könnte sich selbst nicht wertgeschätzt und ständig in seiner Kompetenz übersehen fühlen – vielleicht drängt er deshalb seine Ratschläge auf. Oder er meint es einfach nur gut und denkt sich gar nichts dabei, wenn er ungefragt Tipps verteilt.
Es liegt an uns, wie wir sein Verhalten auffassen: Jemand anderes wäre an unserer Stelle vielleicht froh und dankbar für die Hilfsbereitschaft des Kollegen. Wenn wir unser Umfeld mit Wohlwollen und Empathie betrachten, entscheiden wir uns dafür, glücklicher zu leben.
Entscheidung für Gelassenheit: Das Verhalten anderer nicht persönlich nehmen
Wenn wir also schon uns selbst und das Verhalten anderer beurteilen, warum entscheiden wir uns nicht für einen wohlwollenden und empathischen Blick auf die Welt? Unsere Mutter könnte sich gerade mit ihrem eigenen Aussehen unwohl fühlen und deshalb bei anderen vermehrt darauf achten – als Tochter bekommen wir dann ihren Frust oder ihre Trauer besonders ab.
Vielleicht würde eine Umarmung und die Frage “Wie geht es dir denn heute, Mama?” die harte, kritische Schale auflösen und ein Gespräch mit mehr Verbindung und Wärme möglich machen. Wenn dies nicht möglich ist, kann auch eine bewusste Distanzierung mit entschiedener Abgrenzung die bessere Lösung sein.
In jedem Fall geht es darum, zwischen dem Gegenüber und uns selbst bewusst und entschieden eine innere Trennlinie zu ziehen: Das Verhalten anderer nicht persönlich zu nehmen, ist ein weiterer Schritt zu mehr Gelassenheit und Glück.
Entscheidung für Selbstverantwortung: Wir können nur uns selbst ändern
Doch natürlich haben Menschen und Situationen eine Wirkung auf uns. Wenn uns etwas nicht gut tut, dann ist es unsere Entscheidung, wie wir darauf reagieren: Wir können weder die Situation, noch unser Gegenüber ändern. Wir können nur unsere eigene Haltung und Reaktion beeinflussen.
In dem Moment, da wir dies erkennen, können wir uns aus der Opferrolle heraus bewegen und die Verantwortung für unser Glück übernehmen. Dazu gehört, dass wir unsere Interpretationen und Urteile nicht einfach hinnehmen, sondern zu unserem eigenen Wohl überprüfen. Und im Zweifelsfalle uns selbst und der Situation lieber mit Humor begegnen als mit Vorwürfen.
Vielleicht finden wir beispielsweise durch Nachfragen heraus, dass unser Partner gerade berufliche Sorgen hat. Vielleicht ist er auch einfach jemand, dem grundsätzlich “Feiertage” nicht wichtig sind und dem sie durch die festgelegte Verpflichtung eher unnatürlich vorkommen.
Eventuell entspricht es auch eher seiner Auffassung von Romantik, die gemeinsame Liebe im Alltag in vielen kleinen Dingen zu feiern. Hier könnten Verständnis und Humor zu mehr Leichtigkeit verhelfen: Zur “Strafe” für die Vergesslichkeit eine ausgelassene Kissenschlacht – das gemeinsame Lachen wird der Liebe sicher eher gerecht, als wenn sich einer von beiden beleidigt zurückzieht.
Innere Distanz zur eigenen Interpretation: Wertfrei Wahrnehmen statt impulsiv reagieren
Es geht nicht darum, das Interpretieren rigoros zu verbieten – das wird uns nicht gelingen. Es macht uns das Leben nur etwas leichter, wenn wir unseren Urteilen nicht blind folgen, sondern diese zunächst einmal achtsam wahrnehmen. Einen Moment innehalten, um alle Gedanken und Gefühle, die in einer bestimmten Situation auf uns einprasseln, wertfrei wahrzunehmen, ohne dem ersten Impuls zu einer Reaktion zu folgen.
So geben wir uns einen Moment, in dem wir sortieren: Welche Gedanken beschreiben die tatsächliche Situation – ohne Wertung? Und in welchen Gedanken inszeniere ich mein eigenes “Kopfkino” – mein inneres Drama aus Annahmen, Unterstellungen und Abwehrmechanismen? Welche Gefühle begleiten meine Interpretationen und Vorwürfe? Gibt es weitere, weniger verletzende Möglichkeiten, diese Situation zu interpretieren?
Welche Informationen fehlen mir, um meine Interpretationen zu überprüfen – vielleicht kann ich mein Gegenüber einfach fragen, was er genau mit seinen Worten meint oder warum er sich gerade auf eine bestimmte Weise verhält – und so meine spontanen Urteile und die damit einhergehenden Verletzungen sofort auflösen?
Fragen statt interpretieren: Beobachten statt Bewerten
Es lohnt sich, in emotional aufwühlenden Situationen einen Moment Abstand zu gewinnen, um das eigene Innenleben achtsam wahrzunehmen. In dem wir uns selbst beobachten, geben wir unseren Gedanken und Gefühlen mehr Raum und gewinnen gleichzeitig durch die innere “Draufschau” mehr gelassene Distanz und Sicherheit: Unsere Gefühle können uns nicht mehr ohne Weiteres umhauen.
Wenn der innere Sturm sich etwas gelegt hat, können wir auf unser Gegenüber zugehen, unsere Gefühle und Sorgen mitteilen und lieber Fragen stellen, anstatt uns in wilden Interpretationen zu verlieren. So schaffen wir eine Verbindung, die auf Ehrlichkeit gründet und auf dem (Selbst-)Vertrauen, dass wir für unsere Bedürfnisse die Verantwortung übernehmen und uns selbst versorgen können.
Wenn die Gefühle hochkochen und wir in unserem eigenen Interpretationsfilm gefangen sind, ist es schwierig, inneren Abstand zu unseren Bewertungen und Urteilen zu wahren. Mit der Beschreibungsmeditation lernst du, deine Gedanken und Gefühle wertfrei wahrzunehmen.