Der Trick ist, lösungsorientiert zu arbeiten, nicht problemorientiert. Oder anders gesagt: es gibt keine Probleme, nur Lösungen für Aufgaben. Die lösungsortientierte Beratung unterscheidet sich von vielen traditionellen Ansätzen darin, dass die Berater sich vor allem um den Weg aus einem Problem kümmern, weniger um die Ursache des Problems. evidero-Experte Stefan Ostler erklärt, wie die Methode funktioniert.
Neulich in der Lösungsorientierten Beratung: Eine Klientin, nennen wir sie Iris Müller, kommt aufgebracht zur Tür herein, setzt sich auf den Sessel und blickt erwartungsvoll ihren Berater an, nennen wir ihn Marcus Meyer. Meyer eröffnet das Gespräch: „Frau Müller, wie kann ich Ihnen helfen? Was muss heute hier passieren, dass Sie sagen, die Beratung hat mir wirklich geholfen?”
Darauf Iris Müller: „Ich bin ganz durcheinander. Mein Chef treibt mich noch in den Wahnsinn! Er macht mich mit seinen ständigen Sonderwünschen fix und fertig. Ich schaffe das bald nicht mehr…”
„Ich sehe, Sie sind sehr aufgebracht”, erwidert Meyer, „aber bevor wir in die Details gehen, können Sie mir vielleicht beschreiben, was Sie sich von Ihrem Chef wünschen.” Für einen Moment stutzt Iris Müller und wundert sich über die Frage. Berater Meyer will gar nicht viel über den Konflikt an sich wissen; er lenkt den Fokus direkt zu Beginn des Gesprächs auf die Zukunft. Auf eine Zukunft, in der seine Klientin das Problem bereits gelöst hat.
Fokus auf die Lösung, nicht das Problem
Iris Müller überlegt kurz, dann sagt sie: „Ich brauche einfach klare Strukturen und Aufgaben. Bei dem ständigen Hin und Her mache ich mehr und mehr Fehler. Das ist mir früher nie passiert. Ich bin vollkommen verzweifelt.” Der Berater fragt nach: „Was befürchten Sie für den Fall, dass sich nichts ändern wird?”
Oft hilft es den Klienten, offen auszusprechen, was für sie der „worst case” ist. Iris Müller ringt sichtbar um Fassung: „Wenn das so weiter geht, bekomme ich entweder einen Herzinfarkt oder einen Zusammenbruch.”
Marcus Meyer, der Lösungsorientierte Berater, lenkt ihre Aufmerksamkeit wieder in Richtung positiver Veränderung: „Frau Müller, diese Frage mag jetzt ein wenig ungewöhnlich klingen, aber stellen Sie sich einmal vor, Sie gehen am Ende dieser Beratung ganz normal nach Hause. Sie verbringen den Abend wie immer, essen etwas, unterhalten sich mit Ihrem Mann, schauen vielleicht etwas fern und gehen dann später ins Bett. In dieser Nacht, während Sie schlafen, geschieht ein Wunder und alle Ihre Probleme sind gelöst. Am nächsten Morgen wachen Sie wie üblich auf. Woran werden Sie als erstes merken, dass ein Wunder geschehen ist?”
„Hm”, überlegt Iris Müller, „als erstes merke ich, dass ich entspannt bin. Ich stehe in Ruhe auf, gehe ins Bad, mache mich fertig für den Tag, frühstücke in Ruhe mit meinem Mann. Die ganze Angst vor dem Tag im Büro ist verschwunden.” Meyer nickt: „Okay, woran im Büro merken Sie, dass das Problem verschwunden ist?”
„Mein Chef wäre endlich einmal freundlich, wenn er mich sieht. Mein Schreibtisch wäre aufgeräumt und ich wüsste gleich, was an diesem Tag wichtig ist.”
“Woran könnten die Kollegen und Ihr Chef bei Ihnen erkennen, dass das Problem nicht mehr existiert?”
“Ich wäre entspannter, konzentrierter, würde keine Fehler mehr machen.”
In der Ursache der Probleme liegt nicht immer auch die Lösung
Langsam beginnt sich die Klientin zu entspannen. Die Vorstellung, was sie braucht und was ihr gut tut, lässt sie ruhiger werden. Berater Meyer nutzt ein typisches Instrument der Lösungsorientierten Beratung: „Bitte stellen Sie sich eine Skala von null bis zehn vor. Null steht für Ihre schlimmsten Befürchtungen, zehn für den idealen Tag, wie Sie ihn eben beschrieben haben. Wo stehen Sie da heute?”
Müller überlegt lange. Zögerlich sagt sie: “Bei drei.” Im nächsten Abschnitt der Beratung geht es darum, dass sich die Klientin bewusst macht, was und wer ihr alles dabei hilft, dass sie schon bei drei steht und eben nicht bei null.
So eine Lösungsorientierte Beratung wie in diesem Beispiel handelt davon, warum es häufig besser ist, nicht über die Ursache eines Problems nachzudenken, sondern sich mit der Suche nach einer Lösung zu beschäftigen. Probleme gehören zum Leben dazu. Immer wieder mal. Manche können wir gut selbst lösen, andere scheinen uns vollkommen zu überfordern. Einige machen uns sogar krank.
Es gibt verschiedene professionelle Wege, sich mit solchen Problemen zu beschäftigen, die unlösbar erscheinen. Sigmund Freud, der bekannte österreichische Arzt, hat zum Beispiel die Psychoanalyse entwickelt. Daneben gibt es Verfahren und Sichtweisen der Humanistischen Psychologie bis hin zur Systematischen Denkweise. Was diese Techniken alle gemeinsam haben: Im Mittelpunkt steht die Suche nach der Ursache eines Problems. Ist diese gefunden, so ist die Lösung nicht mehr weit, dachte man.
In der 1970er-Jahren haben die US-amerikanischen Psychotherapeuten Steve de Shazer und Insoo Kim-Berg damit begonnen, einen neuen Weg zu beschreiten. In ihrer Ausbildung hatten sie ebenso wie zahlreiche Generationen vor ihnen gelernt, zuerst dem Problem auf den Grund zu gehen.
Dennoch waren sie oft frustriert und konnten ihren Klienten zum Teil nur ungenügend helfen. Mit der Zeit stellten sie fest, dass das, was den Klienten tatsächlich half, in vielen Fällen nichts mit der Ursache ihrer Schwierigkeiten zu tun hatte. So entwickelten Sie die Lösungsorientierte (Kurzzeit-)Therapie. Aus der wurde dann mit der Zeit die Lösungsorientierte Beratung, die auch von Nicht-Therapeuten genutzt wird.