Ob Trennung, Krankheit oder Verlust: Krisen können uns binnen Sekunden den Boden unter den Füßen wegreißen, uns in tiefe Ohnmacht stürzen. Wie geht es weiter, wenn sich plötzlich alles ändert? Oft viel besser als vorher: Denn Krisen sind auch Chancen – und manchmal ebnen sie den Weg zum großen Glück.
Auch wenn sie keiner wirklich erleben will: Krisen sind fester Bestandteil des Lebens, unausweichliche Wendepunkte, denen man sich nicht entziehen kann und die jeden an irgendeinem Punkt im Leben treffen. Und, auch wenn es im ersten Moment zynisch klingen mag: Genau in diesem Unglück liegt oft der Schlüssel zum Glück. „In Arbeitslosigkeit, Verlust oder Trennung?“, mag man skeptisch fragen. Doch vergisst man dabei meist, dass man selbst schon Krisen er- und auch überlebt hat – und vor allem: Oft gestärkter aus ihnen hervorging als man zuvor war.
Dass ein 14-jähriger Jugendlicher während einer Wakeboard-Fahrt auf dem Main nach einem missglückten Sprung die Zugleine des Bootes loslassen musste, ins Wasser tauchte und von einem anderen Boot erfasst wurde, veränderte das Leben des heute 24-Jährigen binnen Sekunden. Sein Unterleib wurde von den Schiffsschrauben erfasst, im Krankenhaus musste sein rechtes Bein amputiert werden. Ein bis dahin gewohntes Lebensgerüst stürzte plötzlich in sich ein.
Die Psyche weiß, wie sie sich in Krisen schützt
Ist die Krise erst mal da, ist nichts mehr so, wie es war: „Dann weiß man: So wie jetzt geht es nicht mehr weiter. Da ist der Schock eine natürliche Reaktion“, sagt die Trainerin Monika Gruhl, die in ihrem Buch „Die Strategie der Stehauf-Menschen“ über die Kunst schreibt, wie Krisen erfolgreich gemeistert werden können. Mit Resilienz – was übersetzt Elastizität bedeutet oder einfach als Anpassungsfähigkeit bezeichnet werden kann.
„Resilienz bedeutet nicht, sofort in der Krise zu wissen, wo es hingeht, aber nach und nach eine optimistische Haltung zu entwickeln, die Handlungsmöglichkeiten eröffnet.“ Gruhl bezeichnet die Resilienz auch als „seelisches Immunsystem“ – das das Hadern, Trauern und die Ohnmacht während der akuten Krisensituation keineswegs ausschließt: „Wenn existenziell bedrohliche Situationen auftauchen, ist es völlig normal in eine Schockstarre zu fallen.“
Weinen, sich abschotten oder Zuflucht bei vertrauten Menschen suchen und erst mal nicht handeln, sondern das Geschehene bewusst machen, stehen vor jedem aktiven Tun. Oft lässt das menschliche Bewusstsein auch erst nach und nach die ganze Realität zu: „So sind beispielsweise Menschen, die gerade vom Tod einer nahestehenden Person erfahren haben, sogar im Stande, sich anzuziehen, mit dem Auto zum Unfallort zu fahren und mit den Beamten zu reden – ohne das Ausmaß wirklich realisiert zu haben.“
Die Psyche weiß, wie sie sich schützt. Und das ist auch gut so. „Man darf Wunden lecken – aber man tut sich keinen Gefallen, wenn man sich in eine ewige Opferhaltung bringt“, gibt Monika Gruhl zu bedenken. Denn die würde die Handlungsfähigkeit nehmen, die so wichtig ist für das Überwinden einer Krise. „Irgendwann muss man die Dinge akzeptieren – man hat ja doch keine andere Wahl und nur durch die Akzeptanz können neue Zukunftsvisionen entstehen“, erklärt Gruhl.
Auch im Unglück nach vorne blicken und die Hoffnung nicht verlieren
Die Devise: Nach vorne blicken, den Fokus weiten und auch auf das schauen, was dennoch gut im Leben ist – das hat auch Markus nach seiner Beinamputation getan. „Meine Freunde und Familie haben mir viel Kraft gegeben. Dadurch hat sich sogar eine viel engere Verbindung entwickelt als vorher, wofür ich sehr dankbar bin.“
Krisencoach Monika Gruhl empfiehlt weiterhin die bewusste Auseinandersetzung mit der neuen Situation: „Welche Ausblicke habe ich nun?“ und „Was kann ich tun, damit es mir gut geht? In einer Krise kann nicht alles von jetzt auf gleich wieder normal sein, darum sollte man geduldig mit sich sein.“ Nicht jede Lösung muss von Dauer sein, am Anfang reicht es, eine zu finden, mit der man erst mal ein bisschen besser leben kann bis sich Weiteres eröffnet.
Auch der verunfallte Markus öffnete sich im Laufe seines Schicksals für die Möglichkeiten, die ihm die neue Situation bot: „Erst wollte ich nur wieder stehen können, später laufen, dann wollte ich wieder auf dem Wakeboard stehen.“ Sport war sein Leben, Stück für Stück eroberte er sich die Normalität zurück. „Ich wollte nicht in Watte gefasst werden. Beim Fußball zog ich extra lange Hosen an, damit meine Gegner mich so wahrnehmen konnten wie vor dem Unfall.“
Humor habe ihm sehr geholfen: „Ich habe selbst Witze über meine Prothesen gemacht, wollte damit die Schwere nehmen.“ Seine Motivation wuchs: Markus stieg noch weiter in den Sport ein, begann zu laufen und schaffte beim Weitspringen bald mehr Meter als Sportler ohne Handicap.
Krisen meistern stärkt die Persönlichkeit – und schafft ungeahnte Möglichkeiten
„Man muss offen sein für Möglichkeiten – dann kann sich ganz viel entwickeln“, sagt Monika Gruhl. Das Betreten von Neuland und der Optimismus in Krisenzeiten können die Persönlichkeit besonders formen, die echten Bedürfnisse und Talente zu Tage bringen. „Im Nachhinein sind Menschen oft dankbar für die Krise, weil sie durch sie noch stärker im Leben ‘angekommen’ sind.“
Ganz gleich, worum es sich handelt: Ob es nach einer Krankheit die Bewusstheit darüber ist, was wirklich zählt im Leben, oder die Erkenntnis, dass der Ex-Partner, um den man sehr geweint hat, gar nicht so toll war, wie der neue es ist. Manch einer, der seinen Job verloren hat, hat erst dann den Mut aufgebracht, seine wahren Träume auszuleben – und würde danach nicht mehr tauschen wollen.
Markus steht mit heute 24 Jahren an einem Lebenspunkt, den er ohne seinen Unfall nicht erreicht hätte: Er hat aus der Not eine Tugend gemacht, beschäftigt sich als Orthopädiemechaniker und Bandagist auch beruflich mit Prothesen – und hilft mit seinem Optimismus Menschen, die gerade in ähnlichen Krisen stecken, wie er sie erlebt hat.
Und er hat im Sport mehr erreicht, als er je zu träumen wagte: Mit einem Weitsprung von 7,35 Meter holte er 2012 bei den Paralympics in London Gold für Deutschland. Die Rede ist von Markus Rehm, der heute ganz bewusst sagt: „Meinen damaligen Unfall würde ich nicht ungeschehen machen wollen. Er hat mich zu dem gemacht, der ich jetzt bin.“