Kinder stehen in der Kluft zwischen bunten Bilderbuchwelten und der grauen Realität. Die Hoffnung baut eine Brücke, denn „Hoffnung ist das, was einen Sinn ergibt, ganz gleich, was geschieht“, Vaclav Havel.
Wie ein optimistischer Blick auf unsere Natur Kindern die Angst vor der Zukunft nimmt
Hinter unserem Garten ist ein Wäldchen, in das eine große Weide mündet. Von einem alten Stacheldrahtzaun umzäunt stehen dort zwei gut gelaunte Kühe, eine schwarz- und eine braun-weiß gescheckt. Anscheinend müssen sie weder ihre Milch noch ihr Fleisch geben, denn es sind seit ein paar Jahren dieselben. Wenn meine 4-jährige Tochter und ich sie besuchen gehen, dann klatschen wir laut in die Hände und die Kühe kommen im wilden Galopp auf uns zugelaufen. Meine Tochter ist dann immer ganz stolz; sie freut sich, dass die Kühe sie schon kennen und auf sie hören.
Als wir neulich im Wald spazieren gingen, hörten wir plötzlich hinter uns den vertrauten Galopp der beiden Kühe. Diesmal hatten sie den Zaun überwunden und kamen mit freudigem Muhen und ausschlagenden Hufen über den Waldweg hinter uns her gelaufen. Als wir mit unserer neuen Gefolgschaft in die Nähe einer größeren Straße kamen, musste ich dann allerdings die Polizei anrufen. Die ist in ländlichen Gebieten auch für das Wieder-Einfangen von ausgerissenen Tieren zuständig. Damit war der kleine Ausflug für die beiden Kühe beendet. Aber meine Tochter war von nun an davon überzeugt, dass diese beiden Kühe eine besondere Beziehung zu uns haben.
Nach diesem kleinen Abenteuer haben wir die beiden Kühe „Lieselotten“ genannt. In dem Kinderbuch „Lieselotte lauert“ von Alexander Steffensmeier ist Lieselotte eine wirklich ungewöhnliche Kuh, die dem freundlichen Postboten auflauert und ihn dann im wilden Galopp vom Hof jagt. Eine unserer beiden „Lieselotten“ sieht genauso aus wie sie. Sie hat sanfte schwarze Augen, eine rosige Schnauze und eine schwarze Fell-Tolle zwischen den Ohren. Sie ist äußerst neugierig, zutraulich und zudem sehr ungestüm und verspielt – eben wie die Lieselotte im Buch und so gar keine „blöde“ Kuh. Meine Tochter findet in ihr ganz die vom Bilderbuch geprägten Vorstellungen vom Wesen einer Kuh wieder. Sie ist in ihrer kindlichen Welt beseelt von diesen beiden Kühen und fühlt sich intuitiv mit ihnen verbunden.
Die instinktive Naturliebe und Verbrüderung mit den Wesen der Natur ist allen Kindern gemein. Amtlich gefordert schon im Kindergarten, meist aber erst im Klassenzimmer, wird den Kindern heute allerdings spätestens mit BNE, „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ durch rationalen Aufklärungsunterricht die Illusion der Bilderbuchwelt genommen. Das abstrakte Wissen um die Naturzerstörung und den kommerziellen Umgang mit den Tieren macht den Kindern dann erst mal Angst. Sie fürchten sich davor, „dass es bald keine Tiere mehr gibt“, dass „wir keine Luft mehr kriegen“ oder „dass das Wasser nicht mehr da ist“. Aber durch immer weitere Vermittlung von rein sachlichem Wissen über Umweltzerstörung und die Gegenstrategien für die Zukunft wird die Kluft zwischen den kindlichen Gefühlen und der Wirklichkeit noch größer. Wichtig wäre es also zunächst, das seelische Heil unserer Kinder im Auge zu behalten.
Wie aber spricht man mit den Kindern über ihre Ängste und die fortschreitende Naturzerstörung? Dies ist eine besondere Herausforderung für alle Eltern, Erzieher und Lehrer. Denn der Double-Bind, der Zwiespalt zwischen der kindlichen (Bilderbuch-)Welt und der Realität, stellt für Pädagogen und für die kindliche Psyche ein großes Risiko dar. Viele Kinder lernen zwar im Klassenzimmer die Zahlen zum ökologischen Fußabdruck, haben aber noch nie die Krume des Ackers zwischen den Händen gespürt. Sie lernen die negativen Auswirkungen der Massentierhaltung, ohne jemals einer Kuh, einem Schwein oder einem Huhn in die Augen geschaut zu haben. Die Dynamik dieses Zwiespalts, ohne die Berücksichtigung des seelischen Zugangs zum Thema, führt eher zu Teilnahmslosigkeit und Apathie als zu aktivem, nachhaltigen Verhalten gegenüber der Umwelt.
Die beste Vorgehensweise, um seinen Kindern zum Beispiel die Nachteile der Massentierhaltung begreiflich zu machen, wäre es also mit guter Tat voranzuschreiten und konsequent nur Bio-Fleisch zu kaufen. Wer den CO2-Ausstoss mindern will, könnte den nächsten Familienausflug mit dem Fahrrad planen. Wer wieder mehr Bienen haben will, kann wieder Bienen-freundliche Wiesen und Blumen ansäen. Und am besten sollten solcherlei Aktivitäten von einer freudigen und optimistischen Stimmung gegenüber der Natur geprägt sein. Dann können unsere Kinder weiterhin beseelt und schöpferisch sein, die Zukunft mitgestalten und auf Veränderung hoffen. Denn „Hoffnung ist das, was einen Sinn ergibt, ganz gleich, was geschieht“. (Vaclav Havel, tschechischer Dichter und Politiker).
Vor kurzem ist die braun gescheckte Kuh hinter unserem Garten durch eine andere ersetzt worden. Als meine Tochter mich enttäuscht fragte, wo denn „unsere alte“ Lieselotte jetzt sei, habe ich ihr ganz optimistisch gesagt, dass sie vielleicht ein Kälbchen bekommen hat und deshalb nicht mehr kommt. Dass ich aber eigentlich glaube, dass sie mittlerweile geschlachtet wurde, habe ich ihr verschwiegen – obwohl wir sonst, auch gegenüber unserer Tochter, einen eher direkteren Umgang mit dem Tod von Nutztieren pflegen. Aber tatsächlich hoffe ich selber, dass „unsere Lieselotte“ vielleicht wirklich nur gekalbt hat.
Weitere Informationen:
Bildung für nachhaltige Entwicklung: http://www.bne-portal.de/