Um hungernde Kinder zu sehen, braucht niemand das Land zu verlassen – der Blick in ein deutsches Klassenzimmer genügt. Denn jedes fünfte Kind sitzt dort ohne Frühstück vor seinen Büchern. Erst im Mai 2010 hat die UN Deutschland dafür gerügt – doch niemand scheint das Problem ernst zu nehmen.
In diesem Zusammenhang forderte das Hochkommissariat für Menschenrechte die deutschen Sozialpolitiker auf, konkrete Maßnahmen zu ergreifen, damit Kinder, besonders aus armen Familien, richtige Mahlzeiten erhalten. Auch die Zahlen des Forschungsinstitutes für Kinderernährung (FKE) in Dortmund untermauern diese Forderung. Laut deren DONALD-Studie gehen mehr als fünfzehn Prozent aller Schüler ohne Frühstück zur Schule. „Die Zahl der Betroffenen hat in den letzten Jahren zugenommen“, so die stellvertretende Institutsleiterin Frau Prof. Dr. Mathilde Kersting. Besonders besorgniserregend: Da an der Studie nur Kinder von ernährungsinteressierten Eltern teilnahmen, kann nicht ausgeschlossen werden, dass in bildungsfernen Haushalten noch mehr Kinder betroffen sind. Durch ehrenamtliches Bürgerengagement und gezielte Aktionen in den Schulen wird versucht, den Hunger in den Klassenzimmern einzudämmen.
Der Verein „breakfast4kids“ ist in Köln und Aachen aktiv und hat sich zum Ziel gesetzt, jedem Kind, das ohne Schulbrot kommt, täglich ein Brötchen geben zu können. Schon frühmorgens, lange bevor die Schule beginnt, werden Hunderte frische Brötchen geschnitten, geschmiert, belegt, hygienisch verpackt und von weiteren Helfern vor Unterrichtsbeginn an ausgewählte Grundschulen in Aachen und der Region Köln und Brühl geliefert. „Vor drei Jahren haben wir mit einzelnen Aktionen begonnen, mittlerweile versorgen wir täglich über 600 Kinder zwischen sechs und neun Jahren, und die Zahl der Bedürftigen nimmt weiter zu“, so Kurt Savelsberg, zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit des Vereins. Unterstützung findet „breakfast4kids“ auch bei lokalen Einzelhändlern: Bäckereien, Taxibetrieben und auch türkischen Obsthändlern.
Was sind die Hauptursachen für diese Entwicklung? „Vergesslichkeit, Armut, mangelnde Ernährungskenntnisse und vor allem morgendlicher Zeitmangel“ nennt Kurt Savelsberg als Begründung für den Butterbrotnotstand in deutschen Schulranzen. Gerade vielen Alleinerziehenden, die noch vor ihrem Kind das Haus verlassen müssen, scheint schlichtweg die Zeit zu fehlen, die ungesunden Essgewohnheiten ihrer Kinder überhaupt wahrzunehmen.
Ob das in diesem Jahr beschlossene Bildungspaket von Ursula von der Leyen das Problem löst, bleibt abzuwarten. Denn selbst wenn nun jede Schülerin und jeder Schüler ein „Recht“ auf ein Mittagessen hat, würde sie oder er doch noch den Vormittag mit knurrendem Magen verbringen.
„Wenn ihr Kind morgens noch keinen Appetit hat, sollte es zumindest ein Glas Milch oder Kakao trinken“, rät auch Prof. Mathilde Kersting. Die FKE setzt auf die Aufklärung von interessierten Eltern und hat die Broschüre „Das Frühstücks-Zweimaleins“ mit nützlichen Tipps rund um das Thema gesundes Frühstück herausgegeben. Nur, was nützt die schönste Broschüre im Morgenstress?
Auch Kurt Savelsberg von „breakfast4kids“ setzt auf Aufklärung und meint: „Die kostenlosen Brötchen von breakfast4kids können auf Dauer nicht die Lösung sein. Wir müssen das Grundproblem ändern“. Er fordert die Schaffung von Schulküchen, wo die Kinder zusammen mit Fachkräften noch vor dem Unterricht ihre Mahlzeiten selbst zubereiten können, und Kochkenntnisse vermittelt bekommen. Savelsberg verspricht Großes: „Wir könnten noch viel mehr leisten! Nennen Sie mir eine Schulleitung, die eine Küche eingerichtet haben möchte und wir organisieren das!“
Aber auch das scheint nicht das Patentrezept zu sein. So jedenfalls die Erfahrung von Matthias Braunisch, stellvertretender Schulleiter der Kölner Gemeinschaftsschule Wuppertaler Straße. Sie ist erst in diesem Jahr neu gegründet worden und bietet viel Platz, eine Mensa und sogar eine Schulküche. „Ursprünglich war es unser Ziel, dass alle Kinder mittags gemeinsam essen sollen. Aber das lässt sich nicht verwirklichen, da nicht alle Eltern einsehen, dass eine gemeinsame Mahlzeit auch zu einem Gruppenerlebnis wird.“ Er hofft darauf, dass das Angebot bald noch besser angenommen wird, und die Kinder auch in die Lage versetzt werden, ihre mangelnden Kochkenntnisse in der Schule aufzupolieren.
Es gab einmal eine Zeit, da gab es ein Schulfach namens Hauswirtschaft.
Es gab einmal eine Zeit, da waren Schulbrote beliebte Tauschobjekte.