Wenn man an Krafttraining denkt, hat man schwitzende Männer in Muscle Shirts vor Augen, die auf der Bank dutzende Kilos an Gewichten stemmen. Dass man mit so genanntem funktionalem Training auch ganz anders seine Kraft trainieren kann (vor allem effektiver, gesünder und interessanter), das zeigt uns Kettlebell-Experte Dr. Till Sukopp.
Das Krafttraining mit Kettlebells ist überhaupt nicht neu, sondern lediglich wiederentdeckt.
Kettlebells sind Rundgewichte mit einem Standardgewicht von 4 – 50 Kilogramm, an denen oben ein Henkelgriff ist. Diese werden gehoben, gestoßen, gestemmt oder geschwungen, wobei der ganze Körper trainiert wird. Daher zählt Kettlebell-Training auch zum funktionalen Training, das heißt, dass Muskeln und Bewegungen trainiert werden, die im Alltag von Nutzen sind.
Das Training mit den Kugelhanteln gibt es nach manchen Schätzungen schon seit rund 5.000 Jahren, besonders beliebt waren sie in Deutschland um das Jahr 1900 herum, zur Zeit der Turn-Bewegung. Viele kennen diese durch Turnvater Jahn, der der Begründer der Bewegung war und das Turnen als Sport etablierte. Dann sind sie in Vergessenheit geraten, bis sie um das Jahr 2000 wieder zum Vorschein kamen.
Krafttraining mit Kettlebells oder Gerätetraining?
Kettlebells sind also ein altbewährtes Krafttraining, auch wenn sie uns neu vorkommen.
Das Gerätetraining, das die meisten mit Krafttraining verbinden, gibt es erst seit den 70er Jahren. Der Gedanke hinter Maschinen und Langhanteln zum Trainieren war, dass man eine bestimmte Vorstellung von der Funktion der Muskeln hatte. Nämlich, dass jeder Muskel eine gezielte Bewegung ausführt, die dann einzeln trainiert werden sollte.
Genau das kann man mit Gerätetraining auch gut machen, schließlich sitzt oder liegt man da und macht immer die gleiche Bewegung, durch die man kräftiger wird. Das sieht man ja zum Beispiel bei den Bodybuildern. Mit den tatsächlichen Anforderungen, die unser tägliches Leben an unsere Muskeln stellt, hat das aber nichts zu tun.
Der Mensch steht und bewegt sich anders, Muskeln funktionieren in einem Zusammenspiel miteinander. Und heutzutage haben wir — vielleicht im Gegensatz zu den 70er Jahren — das Problem, dass die Menschen immer mehr sitzen und sich dementsprechend auch immer weniger bewegen. Dadurch verlernen wir, uns zu bewegen und mit Gerätetraining kann man das nicht ausgleichen. Da werden immer nur gezielte, aber eben einzelne Gelenkgruppen trainiert.
Mit Kettlebells trainiert man nicht nur die Kraft, sondern auch Ausdauer und Beweglichkeit
Aber was ist mit grundlegenden Bewegungsmustern: Heben, Tragen, Springen, Laufen, Krabbeln? Da wird es dann problematisch. Und genau hier setzt das Kettlebell-Training an. Mit den vielfältigen Möglichkeiten wird nicht nur die Kraft verbessert, sondern auch Ausdauer, Beweglichkeit, Schnelligkeit und vor allem: Das Zusammenspiel des Körpers, die Koordination!
Der Körper lernt wieder, sich als Einheit zu bewegen. Und gleichzeitig werden genau die Muskelgruppen gestärkt, die durch unseren Sitz-Alltag nicht mehr ausreichend genutzt werden: Hüfte, Rumpf und Schultern. Wer mit Kettlebells trainiert, stabilisiert all diese Bereiche und entlastet dadurch auch Knie und Rücken. Es gibt also nicht nur einen guten Trainingseffekt, sondern auch gesundheitliche Vorteile.
Gesundheit fördern, Kraft trainieren oder Abnehmen – mit Kettlebells ist alles möglich
Es gibt ja viele Sportarten, die entweder als Männer- oder als Frauendomäne gelten. Das ist beim Kettlebell-Training überhaupt nicht so. Auch das Alter spielt nicht unbedingt eine Rolle, ich habe auch schon mit 70 – 80jährigen Senioren mit Kettlebells trainiert.
Je nach körperlichen Voraussetzungen kann das Gewicht der Kugelhantel ja angepasst werden, von 2 bis 80 Kilogramm ist mittlerweile alles auf dem Markt. Frauen fangen meistens mit etwa acht Kilogramm, Männer mit zwölf Kilogramm an. Das kann natürlich bei Bedarf gesteigert werden.
Krafttraining mit Kettlebells auch zuhause oder unterwegs
Wenn man die Technik beherrscht, kann man auch so ziemlich überall trainieren: Ob mit anderen im Fitness-Studio, zuhause oder im Park, das Equipment ist überschaubar und vor allem im Gegensatz zu Trainingsmaschinen auch transportabel. Zudem benötigt man zum Kettlebell-Training nur wenig Platz: drei bis vier Quadratmeter reichen je nach Übung völlig aus. Und auch im Vergleich mit anderen Sportarten hat das Kettlebell-Training viele Vorteile:
- Die Dauer: Eine Trainingseinheit mit Kettlebells dauert 10 – 30 Minuten, auch beim Ausdauerttraining braucht man nur 10 – 15 Minuten
- Im Gegensatz zum Joggen oder Step Aerobic belastet Kettlebell-Training die Gelenke nicht, da keine Sprünge durchgeführt werden
- Weil der ganze Körper beansprucht wird, verbraucht man eine sehr hohe Menge an Kalorien in sehr kurzer Zeit: ideal zum Abnehmen
- Die Verletzungsgefahr ist sehr gering
Natürlich gilt es hier zu beachten, dass es immer ein Verletzungsrisiko gibt, wenn mit Eisengewichten trainiert wird. Wichtig ist deshalb, die richtige Technik zu lernen und zwar von einem Trainer, der die richtige Ausbildung hat.
Wie beginnt man das Kettlebell-Training?
Wie bei jedem Sport gibt es natürlich auch beim Training mit Kettlebells ein paar Dinge zu beachten. Zum einen kann man krafttechnisch zwar bei Null starten, besser wäre es aber, wenn man grundlegende Bewegungsabläufe mit dem eigenen Körpergewicht schon durchführen könnte.
Etwa Liegestütze, Kniebeugen oder Ausfallschritte. Das kann man mit einem guten Trainer zwar auch während des Trainings lernen, einfacher ist es aber, das schon vorher zu beherrschen.
Grundsätzlich werden alle Übungen erstmal quasi auf dem Trockenen, also ohne Zusatzgewicht eingeübt. Man muss also keine Angst haben, direkt überlastet zu werden. Zum anderen sollte man wissen, wie belastbar das eigene Herz-Kreislauf-System ist. Kettlebell-Training ist wirklich sehr anstrengend und kann die Herzfrequenz schon in die Höhe treiben, da sollte man also belastbar sein.
Wann darf man kein Krafttraining mit Kettlebells machen?
Das Gleiche gilt auch für orthopädische Fragen, mit akuten Beschwerden sollte man eventuell doch ein anderes Training wählen.
Allerdings werden Kettlebells auch erfolgreich in der Rehabilitation, zum Beispiel bei Hüft- oder Schulterpatienten eingesetzt. Hier ist wieder die Frage nach dem Trainer von Bedeutung. Und das ist eigentlich auch das Wichtigste für Ihren erfolgreichen Start ins Kettlebell-Training: Ein guter und vor allem zertifizierter Trainer! Das Training mit Kettlebells erfordert mehr Betreuung, damit die Technik auch stimmt. Kettlebell kann man nicht alleine lernen!
Aufgezeichnet von: Manuela Hartung