“Ich kam, sah und siegte. Und habe dann alles wieder verloren.” Schon mal erlebt? Ist der Flug hoch, ist der Fall auch tief. Die ehemalige Vorstandsfrau des Fußball-Bundesligisten Hamburger SV, Katja Kraus, hat Menschen interviewt, die genau das erlebten – und deren Geschichten in einem Buch veröffentlicht. Wir haben mit ihr über ihr Buch und ihre eigenen Gedanken zum Thema Erfolg und Scheitern gesprochen.
Der Zusammenhang von Erfolg und Macht
Frau Kraus, Sie haben ein Buch geschrieben mit dem Titel “Macht – Geschichten von Erfolg und Scheitern.” Hat Erfolg immer auch etwas mit Macht zu tun?
Auf sehr unterschiedliche Weise. Natürlich ist es sehr häufig in beruflichem Zusammenhang so, dass je erfolgreicher jemand ist, desto größer auch der Wirkungsgrad und damit die Macht wird. Insbesondere im Management oder in der Politik. Bei Sportlern und Künstlern ist es eine andere Form der Macht, eine Faszination, die viel weniger negativ besetzt ist.
Sie waren selbst einmal in einer Machtposition als Managerin beim HSV. Wie haben Sie persönlich den Verlust dieser Position erlebt?
Erstmal mit einer Erschütterung, weil es eine Aufgabe war, die ich acht Jahre mit ganz viel Leidenschaft und Hingabe gemacht habe und die tatsächlich sehr nah an mein berufliches Ideal herangekommen ist. Allerdings schmerzte nicht der Verlust der Macht, oder des Status, das sind durchaus Dinge mit denen ich mich vorher beschäftigt habe.
Was den Schmerz vor allem ausgemacht hat, ist der Verlust einer Lebensaufgabe, eines Mittelpunkts, und der Leere die daraus entsteht. Ich bin sehr froh, dass ich mit dem Schreiben etwas gefunden habe, was mich auf eine ähnliche, wenn auch auf ganz andere Weise inspiriert und erfüllt.
Sie haben sich ja für Ihr Buch mit sehr vielen Lebensgeschichten des Erfolges und des Scheiterns beschäftigt und da auch viele verschiedene Arten kennengelernt. Was hatten Sie für ein Gefühl, welcher Druck wiegt in einer Machtposition schlimmer, der innere oder der äußere?
Auch das ist sehr unterschiedlich. Es gibt natürlich Positionen, in denen der äußere Druck immens ist, gerade bei den sehr exponierten Politikern, mit denen ich gesprochen habe. Oder auch bei Top-Managern wie Ex-Telekom-Chef Ron Sommer oder der ehemalige Bahn-Chef Hartmut Mehdorn, die Unternehmen geführt haben, die Volksbefindlichkeiten berührten und damit extrem emotional wahrgenommen werden, Telefonieren und Bahnfahren.
Hinzu kommt eine erhebliche Verantwortung bei der Größe der Unternehmen und der Bedeutung der eigenen Entscheidungen. Da ist der innere Druck dem äußeren oft ganz ähnlich. Bei Sportlern wiederum, insbesondere bei denjenigen, die sich selbst verantwortlich fühlen für ihre Leistung, ist es so, dass der innere Druck ganz erheblich und oftmals auch viel größer als der äußere ist. Der Erfolg definiert den Maßstab.
Scheitern ist schwer, gehört aber zum Erfolg dazu
Könnte man sagen, beim Thema Scheitern gilt das Sprichwort: Je höher der Flug, desto tiefer der Fall?
Eindeutig! Die Fallhöhe derjenigen Beispiele, die wir so bewusst wahrnehmen, ist enorm. Wir vergessen oft, dass erst der vorherige Erfolg den Sturz so spektakulär macht. Wenn man von dem Niveau aus stürzt, wie es manchen meiner Gesprächspartner geschehen ist, ist das ein eklatanter Einschnitt.
Oft fehlt uns in der Beurteilung Mitgefühl, weil diese Menschen materiell gut ausgestattet sind und somit in unserem Bild weich fallen. Natürlich hat eine existenzielle Bedrohung noch mal eine ganz andere Dimension. Aber der Verlust eines Lebensthemas und insbesondere die Beschädigung der persönlichen Integrität, was bei den öffentlichen Karrieren häufig passiert, wiegt für die Betroffenen häufig extrem schwer.
Was braucht man eigentlich, um erfolgreich zu sein?
Ich habe mich mit dem Buch auch sehr für diese Frage interessiert: Was treibt die Menschen an? Gibt es verbindende Persönlichkeitsmerkmale unter erfolgreichen Menschen? Waren alle Klassensprecher und Zaunrüttler? Aber diese Gemeinsamkeit hab ich nicht identifizieren können. Was ich aber sehr wohl bei allen gefunden habe, ist die Bereitschaft, hohe Preise zu zahlen. Für den Erfolg oder die eigene Leistung bereit zu sein, sich komplett aufzuopfern, Privatleben hinzugeben, sich der öffentlichen Beurteilung und auch der Möglichkeit des Scheiterns auszusetzen.
Wenn Sie sagen, dass Erfolg mit so vielen Einschränkungen verbunden ist, ist man dann nicht manchmal vielleicht ohne Macht und die damit einhergehende Verantwortung besser dran?
Viele entscheiden sich ja eben auch zu diesem Lebensmodell. Es will nicht jeder Mensch führen, Verantwortung tragen und Entscheidungen treffen. Vor allem möchte nicht jeder tagtäglich unter einem so immensen Druck stehen, wie er durch öffentliche Beurteilungen verursacht wird. Viele Menschen wählen dieses Leben so für sich, andere haben allerdings auch Spaß an der Herausforderung und am Adrenalin.
Aber ich glaube, dass man natürlich entspannter lebt und leichter bei sich sein kann, wenn man nicht in so exponierten Funktionen ist. Weil die Rolle mit all ihren Anforderungen und die Erwartungen, die an sie gestellt werden, eben auch sehr viel von einem Menschen abverlangt, was wohlmöglich nicht zum eigentlichen Kern der Persönlichkeit gehört.
Wenn man die Erfolgsleiter erklommen hat, sollte man den eigenen Erfolg dann besser genießen oder aufpassen, nicht abzuheben?
Beides. Die Leute, die ich getroffen habe, sind aber zumeist eher weniger gefährdet abzuheben. Mich hat in den Gesprächen die intensive Auseinandersetzung mit der eigenen Bedeutung und der eigenen Rolle sehr überrascht. Wohlmöglich auch, weil ich die Menschen beinah alle nach der Zeit in der bedeutenden Position getroffen habe, also die Reflektion schon relativ lang stattgefunden hatte.
Und was den Genuss des Erfolges betrifft, kann ich selbst bestätigen, was ich von meinen Gesprächspartnern immer wieder so gehört habe, dass diese Momente immer viel zu kurz gekommen sind. Es ist nicht leicht, Glücksmomente anzunehmen oder anzuerkennen, weil man immer schon sehr konzentriert und fokussiert auf die nächste Aufgabe und nächste Herausforderung ist. Weil mit dem Erfolg die Erwartungen steigen.
Selten ist der Zeitraum, währenddessen man objektiv an der absoluten Spitze steht, der, an dem man sich besonders erfreuen kann. Häufiger sind die Glücksmomente auf den Zwischenstufen spürbar. Und doch geht man weiter.
Sollte man Macht freiwillig aufgeben, bevor es zum Scheitern kommt?…
Ein anderes Sprichwort sagt ja, man soll aufhören, wenn es am schönsten ist. Gilt das auch für Machtpositionen?
Das ist ein schönes Sprichwort. Es ist nur so, dass man natürlich wenn’s am schönsten ist nicht aufhört, weil’s dann ja schön ist. Weil man die Erfüllung dessen sieht, was man sehr lange angestrebt hat. Ich glaube, dass es zu den schwierigsten Aufgaben überhaupt gehört, den richtigen Zeitpunkt des Abschiedes zu finden. Das gelingt auch den Allerwenigsten, denn zum richtigen Zeitpunkt findet man oft keinen Grund zu gehen.
Sie haben vorhin auch von der Öffentlichkeit gesprochen und von der Beurteilung durch die Gesellschaft. Man hat das ja schon häufig erlebt, dass bekannte Persönlichkeiten, auch welche, mit denen Sie gesprochen haben, ein Scheitern erlebt haben und von den Medien wirklich sehr harsch angegangen worden sind. Denken Sie, unsere Gesellschaft müsste da umdenken?
Ich bin überzeugt davon. Diese stetige Verurteilung, das Maß an Unbarmherzigkeit und Häme, das Menschen in machtvollen Positionen entgegengebracht wird, ist verheerend und zeichnet ein erschütterndes Menschenbild. Mit der Macht verwirkt man das Recht auf Fehler und deren differenzierte Bewertung.
Man muss selbstverständlich Fehler benennen und aus Fehlverhalten angemessene Konsequenzen ziehen. Aber ich glaube, wenn wir nicht achtsamer mit unseren Urteilen umgehen, den eignen Maßstab zugrunde legen und auch ein höheres Maß an Achtung denjenigen entgegenbringen, die überhaupt bereit sind, sehr exponierte Ämter auszufüllen, dann wird es irgendwann niemand mehr machen wollen.
Haben Sie einen Ratschlag, wie man gut mit Machtverlust oder solchen Wendepunkten im Leben umgehen kann?
Mein Buch ist kein Ratgeber und jedes Scheitern so individuell. Was ich allerdings glaube ist, dass es tatsächlich wichtig ist, erst mal das Bewusstsein zu haben, dass die Macht immer nur der Funktion gehört und nicht dem Menschen und dementsprechend auch schnell wieder vorbei sein kann.
Und auf der anderen Seite glaube ich, dass im Bruch und in der Veränderung immer auch eine große Chance auf Entdeckung liegt. Wir nehmen uns ganz oft keine Zeit für diese Entdeckungsmomente, vielleicht fehlt uns auch der Mut. Aber damit übergehen wir eine Menge Chancen.
Was ich mit diesem Buch vor allem ausdrücken möchte, ist dass meine Gesprächspartner in ihren stillen Momenten, die sie mich haben sehen lassen, in der Auseinandersetzung mit Zweifeln, Unsicherheiten, mit Erfolg und mit Scheitern, Stellvertreter für uns alle sind. Jeder kann sich in diesem Text wiederfinden, wenn er mag.
Vielen Dank für das Gespräch!