In der fünften Folge der kleinen Barfußlaufschule mit Laufcoach und Barfußtrainer Per-Olof De Marco, zeigen wir, was echtes natürliches Laufen ausmacht, und wie wir uns vor typischen Verletzungen durch herkömmliches Jogging schützen können.
Wenn alle hinken, meint jeder, er gehe richtig – Mongolisches Sprichwort
Joggen ist ungesund
Das alte mongolische Sprichwort gilt auch für das Laufen. Wenn alle joggen, dann meint jeder er „laufe“ schon richtig. Aber eigentlich ist Jogging eine Erfindung des Neuseeländers Arthur Lydiard. Er gründete 1961 den ersten Jogging-Club. Bill Bowerman (1911–1999) brachte 1962 die Idee nach einem Besuch in Neuseeland in die USA, von wo aus die Jogging-Bewegung sich in der ganzen Welt verbreitete.
Kennzeichnend für diese Bewegung waren extensive Einheiten, also lange Läufe bei niedriger Geschwindigkeit. Ein sanftes Abrollen über die Ferse (!) sollte die Stöße dämpfen.
Was am neuseeländischen Strand vielleicht noch möglich war, sorgte auf Asphalt jedoch schnell für Schmerzen im Fersenbereich. Glücklicherweise erfand Bill Bowerman gleich noch den gedämpften Schuh zur importierten Laufbewegung. Er soll mit dem Waffeleisen seiner Frau die Fersendämpfung im Schuh entwickelt haben und das „Waffel-System” dann, mit der von ihm mitbegründeten Firma NIKE, unter die Menschheit gebracht haben.
Der gedämpfte und mit Sprengung (Ferse höher als Vorfuß) versehene Schuh ist also eine Erfindung der Neuzeit.
Barfußlaufen ist kein Trend, sondern eine Rückkehr zum natürlichen Laufen
Wenn wir barfuß laufen, wollen wir keinen Trend setzen, sondern zurück zu den Wurzeln, im wahrsten Sinne.
Da wir nun schon in den ersten vier Folgen dieser kleinen Laufschule das natürlich Stehen, Gehen, Hocken und Springen erlernt haben, dürfen wir uns langsam ans Laufen wagen.
Insbesondere die Toega Übung (s.u.) sollte aber weiter jeden Tag Anwendung finden. Und zwar zweimal täglich für drei Minuten.
Die natürliche Laufbewegung wiederentdecken
Wenn wir laufen, sollten wir dies vor allem entspannt tun. Entspannung ist die wichtigste aller Eigenschaften fürs Laufen. Natürlich ist der Körper unter einer autonomen Spannung, welche das Kollabieren des Körpers verhindert. Aber wir sollten nichts extra dazugeben an willentlicher Anspannung. Nehmen wir also eine aufrechte, entspannte Position ein. Dann bewegen wir uns automatisch vorwärts.
Aber wo kommt die Bewegung her? Indem wir den Körperschwerpunkt nach vorne bringen! Dennoch sollten wir uns nicht stark nach vorne beugen, da wir sonst in der Hüfte abknicken. Stattdessen bringen wir das Brustbein nach oben und nach vorne. Dadurch setzen wir uns in Bewegung. Um nicht zu fallen, setzen wir dann automatisch unsere Füße unter den Körperschwerpunkt.
Der richtige Fußaufsatz beim Laufen
Der Fußaufsatz soll natürlich sein. Ein Fersenaufsatz ist erlaubt, wird aber nach kürzester Zeit von uns selbst korrigiert, da man das nicht lange aushält. Der Fuß darf vielmehr flach aufsetzen, auf dem ganzen Fuß. Ein zu steiler Fußaufsatz (nahe der Zehen) wird nach einigen hundert Kilometern eine Stressfraktur im Bereich der Metatarsen (Mittelfußknochen) begünstigen, deshalb wirklich den ganzen Fuß nutzen.
Die Ferse soll leicht am Auftritt beteiligt sein. Sonst ist die Dauerspannung in Achillessehne und der Waden zu hoch. Jedoch soll die Ferse eben nicht den Boden zuerst berühren. Generell sollten wir aber mit unseren Gedanken nicht zu viel Zeit im Fuß verbringen, da wir sonst verpassen, alles über dem Fuß zu ordnen.
Die Körperhaltung für die richtige Lauftechnik
Ich bediene mich dabei gerne dem in der Krankenpflege verbreiteten Kinästhetik (Lehre von der Bewegungsempfindung) Konzept. Dies sagt: Massen fassen, Lücken spielen lassen.
Der Körper ist nach diesem Konzept in Massen und Zwischenräume eingeteilt. Die Zwischenräume sind die Gelenkverbindungen. Die Massen sind Kopf, Rumpf, Oberarm, Unterarm, Hand und Becken, Oberschenkel, Unterschenkel und Fuß.
Drücken wir gegen eine dieser Massen, setzt der Körper sich von dieser Stelle aus in Bewegung und zieht über die Gelenkverbindung die nächste Masse mit sich. Drücken wir in eine der Zwischenräume, so fängt der Körper die Bewegung gelenkig ab.
Wenn wir laufen, sollten wir versuchen, unsere Massen wie einen Haufen Kartons übereinander gestapelt zu lassen. Das heißt: Kopf über Brust, über Becken, über Standbein, über Fußaufsatz. Lediglich ein leichter Druck von hinten zwischen die Schulterblätter schiebt uns nach vorne. Der Kartonstapel kippt zwar etwas nach, aber er bleibt gestapelt. Unsere Zwischenräume lassen wir dabei entspannt ihr Ding tun.
Dies gewährleistet unsere aufrechte Haltung. Der Kopf ist zum Horizont ausgerichtet, aber auch er sollte nicht überstreckt werden, sondern in Verlängerung zur Wirbelsäule auf dem Kopf sitzen.
Laufen ohne Verletzungen
Diese Haltung wird in der namensgebenden Bewegung „Pose“ genannt. Dies ist die Pose, die der Körper in seiner stabilen Phase nimmt. Stabil bedeutet Kontakt zum Boden. Die Pose sollte so schnell wie möglich immer wieder verlassen werden, da ein längerer Fußaufsatz am Boden beim Laufen erhöhte Verletzungsanfälligkeit bedeutet.
Die vielen fußumgebenden Muskeln müssen den Körper stabilisieren. Deshalb wollen wir unseren Fuß schnell in die Luft zurückbekommen, um wieder in der Instabilität zu sein. Dafür ziehen (Pulling) wir beim Laufen die Ferse auf direktem Weg zum Gesäß. Hüfte und Knie beugen sich dabei zeitgleich.
Dies ist eine schwierige Übung und kann effektiv nur schnell ausgeführt werden, da der Beinbeuger erst bei schnellen Bewegungen sein volles Potenzial zeigt. Hier empfiehlt sich spätestens die Überprüfung durch einen Laufcoach.
Die Beinmuskulatur richtig nutzen
Lernt man nicht, das Nutzen der Beinbeuger (hintere Beinmuskulatur: Hamstrings) in die Bewegung zu integrieren, dann bleibt man in der eher pendelnden Joggingbewegung und eine Verletzungsgefahr nimmt rapide zu.
Um nicht zu weit vor dem Körperschwerpunkt aufzukommen und um die Elastizität der Bänder und Sehnen (siehe Teil 4) zu nutzen, hat sich die Schrittfrequenz von 180 bpm (Schritte/Minute) bewährt. Wir bleiben in dieser Rythmusfrequenz mit jedem Schritt kürzer am Boden, was unsere stabilen Momente entsprechend verringert.
Insgesamt soll sich das Laufen dadurch leicht und federnd anfühlen, am ehesten mit der hüpfenden Bewegung des Seilspringens zu vergleichen.
Haltung, Schrittfrequenz, Entspannung und eine kurzer Fußaufsatz/Kontaktzeit
Die wichtigsten Voraussetzungen, um technisch die Chance auf Verletzung verringern sind also:
- Entspannte Haltung
- Schrittfrequenz von 180bpm (Beats per Minute)
- kurzer Fußaufsatz, geringe Kontaktzeit mit dem Boden
Was aber, wenn ich schon verletzt bin, mich immobil fühle oder ungelenkig? Und wie viel ist eigentlich gesund? Die tiefe Hocke und die Toega Übung alleine können keine Wunder bewirken, darum wird es im letzten Teil dieser 6-teiligen Barfußlaufschule um das Thema Mobilität gehen.