Liebesgeschichten lassen seit jeher unsere Herzen höher schlagen. Auch wenn uns bewusst ist, dass die Liebe selten der Dramaturgie von Büchern oder Filmen folgt: Die Geschichten funktionieren so gut, weil wir uns zumindest zu einem Teil in den Sehnsüchten der Hauptfiguren wieder zu erkennen glauben. Die meisten Menschen haben eine romantische Vorstellung von der Liebe. Vielleicht sind es gerade einige dieser verklärten Glaubenssätze darüber, was die Liebe sein und können muss, die uns davon abhalten, eine echte Liebe zu leben.
Liebesgeschichten spiegeln, wonach wir uns sehnen, wovor wir uns fürchten und wie dumm wir manchmal in der Liebe sein können. Sie zeigen, dass wir nicht alleine mit unseren Träumen und Ängsten sind. So können wir über das Liebesleid der Hauptfiguren unsere eigenen Fehler aus der Distanz beschmunzeln, betrauern, im besten Fall sogar aus ihnen lernen. Gleichzeitig prägen die meist formelhaften Erzählungen der klassischen Liebesgeschichten unsere Definition der romantischen Liebe: Zwei sind füreinander geschaffen, sie müssen nur einige Hindernisse überwinden, dann finden sie im Happy End zueinander. Ende gut, alles gut. Oder?
Wir wissen natürlich, dass das wahre Leben nicht so einfach ist. Und die Liebe schonmal gar nicht. Dennoch lohnt es sich, einmal näher hinzuschauen: Wovon träumen wir und was verstehen wir unter der romantischen Liebe im realen Leben? Jeder hat eine Idee darüber, was Liebe sein und können muss. Manche Vorstellungen sind uns bewusst. Doch manche Glaubenssätze sind versteckt und als unbewusstes Denkmuster in uns angelegt. Sie können uns daran hindern, eine tiefe, erfüllende Liebe zu erfahren und zu leben. Welche der folgenden Mythen kennst du aus deinem eigenen Liebesleben?
1. Hinreißender, überwältigender Sex ist eine Zeichen für innige Liebe
Erfüllender Sex kann süchtig machen kann. Diese Begierde, dieses völlige Einswerden mit dem Moment, das Verlieren der Kontrolle und das Abtauchen in den sinnlichen Genuss – all das lässt uns lebendig, begehrt und voller Energie fühlen. Wenn ein Mensch diese intensiven leidenschaftlichen Gefühle in uns auslöst, dann muss das Liebe sein, denken wir all zu schnell. Ein Großteil der romantischen Filme basiert auf dieser Idee, ein Großteil unseres Liebesleids ebenfalls. Denn zunächst ist Leidenschaft eben nur das: Anziehungskraft und Verlangen. Nicht immer sind diejenigen, die uns körperlich anziehen und mit denen wir sexuell harmonieren, auch gute Lebenspartner für uns – oder wir für sie.
Wahrhaftige Liebe braucht Zeit, um sich zu entwickeln. Sie braucht auch einen respektvollen Abstand, um den anderen kennenzulernen und herauszufinden, ob die Bedürfnisse und Lebensvorstellung wirklich zueinander passen. Leidenschaft und sexuelle Anziehung können ein Anfang für eine Liebe sein. Oder auch nur ein Moment des Glücks, den wir umso mehr genießen können, desto weniger Erwartungen wir an eine mögliche Zukunft stellen.
2. Wenn ich (endlich) eine Beziehung habe, bin ich glücklich
Zu lieben und geliebt zu werden gehört ohne Frage zu den Grundbedürfnissen des Menschen: Eine erfüllte Liebe kann uns Stabilität, Kraft und Freude geben. Sie kann sogar heilsam sein. Doch die Liebe, die diese Fähigkeit hat, lebt unter anderem davon, dass beide Partner die Verantwortung für sich selbst übernehmen. Das ist unsere Aufgabe, sowohl ohne und erst recht mit Partner: Für uns selbst zu sorgen und unser Glück in die eigene Hand zu nehmen. Mit einem Beruf, Freunden und Hobbies, die unseren Werten entsprechen und uns erfüllen. Mit der Entscheidung, jeden Tag auch in kleinen Dingen Freude zu finden. Dann kann die Liebe das Sahnehäubchen sein, das unser Glück vollendet.
Das heißt nicht, dass wir erst den perfekten Beruf und das perfekte Leben gefunden haben müssen, um eine Liebesbeziehung einzugehen. Doch wir sollten auch in schwierigen Lebensphasen nicht all unser Glück nur aus der Partnerschaft ziehen. Diese Last ist zu schwer und kann auf Dauer der Liebe ihre Leichtigkeit und ihren Zauber nehmen. Andersherum funktioniert es schon eher: Glückliche Menschen sind magisch anziehend: Ihre Fähigkeit, positiv zu denken und ihr Leben nach ihren Bedürfnissen zu gestalten macht sie zu inspirierenden Partnern auf Augenhöhe, die wir gerne an unserer Seite haben. Warum nicht selber so ein faszinierender Mensch sein?
3. Es gibt nur die eine wahre Liebe
Das romantisch verklärte Ideal der einen großen Liebe, die ein Leben lang hält, kann dazu führen, dass wir überhöhte Erwartungen an unseren Partner stellen und uns nie für eine Liebe öffnen. Oder dass wir eine Liebe im Nachhinein abwerten und sagen “Ich habe ihn oder sie nicht wirklich geliebt”. “Er war nicht der Richtige” oder “Sie war nicht die Richtige”. Hinter diesen Sätzen steckt eben dieser furchterregende Anspruch an die Ewigkeit. Vielleicht kann eine andere Sichtweise den Erwartungsdruck aus der Liebe nehmen und uns mit mehr Wertschätzung auf vergangene Beziehungen blicken lassen: Jede Liebe ist eine wahre Liebe in dem Moment, da sie gelebt wird.
Menschen entwickeln sich ein Leben lang. So wie es verschiedene Lebensphasen gibt, so können wir mehrere Liebesbeziehungen führen, die alle zu ihrer Zeit eine “wahre Liebe” und genau richtig für uns waren. Zu jedem Zeitpunkt haben wir so sehr und so gut geliebt, wie wir es eben in diesem Moment konnten – auch wenn wir später entdecken mögen, dass unsere Fähigkeit zu lieben sich gewandelt und intensiviert hat.
Wir können immer nur im Jetzt lieben. Ob eine Liebe ein Leben lang hält, wird sich zeigen – doch auch wenn uns eine Liebe nur eine Weile begleitet, können wir sie wertschätzen und zelebrieren.
4. Mit dem oder der “Richtigen” ist eine Beziehung immer leicht und unkompliziert
Egal wie wundervoll und großartig unsere Partner (und wir selbst) sind: Beziehungen erfordern Arbeit. Zwei Menschen treffen mit ihren Geschichten, ihren Verletzungen, ihren Bedürfnissen und Vorstellungen aufeinander. Es wird unterschiedliche Meinungen geben. Es wird Auseinandersetzungen geben. Es wird verletzende Worte geben. Liebende lieben sich nicht in jedem Moment. Manchmal findet man den Partner so richtig doof und fragt sich, ob man mit so jemandem überhaupt sein Leben verbringen kann und möchte.
Diese Fragen und Zweifel sind gesund und können reinigend wirken: Denn Lieben heißt, sich immer wieder bewusst für die Liebe zu entscheiden. Und das bedeutet eben auch, dass wir jeden Tag unseren Anteil zu unserer Liebe beitragen. Indem wir unserem Partner mit Achtsamkeit, Respekt und Empathie begegnen. Und indem wir selbst dafür sorgen, dass es immer wieder romantische, lustige oder aufregende Momente gibt, die die Liebe lebendig halten.
5. Mein Partner ist für meine Gefühle verantwortlich
Das ist eine harte Nuss, die nicht nur in Liebesbeziehungen schwer zu knacken ist. Wenn wir die Welt durch die Brille unserer Erfahrungen, Werte und Meinungen betrachten, dann empfinden wir das Verhalten der anderen gelegentlich als enttäuschend und verletzend. Wir glauben dann meist, dass das “falsche” Verhalten des anderen “Schuld” für unser Unglück ist. Dabei vergessen wir, dass es unzählige Möglichkeiten gibt, auf eine Situation zu reagieren: Jemand anderes an unserer Stelle wäre in der gleichen Situation vielleicht gar nicht unglücklich.
Wenn jemand beispielsweise den Geburtstag vergisst, dann gibt es sicher Partnerinnen oder Partner, die wütend werden und schimpfen. Andere weinen und fühlen sich ungeliebt. Wieder andere lachen einfach und küssen ihren vergesslichen Liebsten oder ihre Liebste, weil sie es nicht anders erwartet haben. Manche sorgen vor und erinnern ihren Partner regelmäßig an wichtige Daten. Ein Verhalten – tausend Möglichkeiten der Interpretation und Reaktion. Es sind unsere eigenen Erwartungen und Urteile, die unsere Gefühle auslösen. Natürlich dürfen wir uns ein Geburtstagsgeschenk wünschen. Und natürlich dürfen wir unsere Sehnsüchte und Bedürfnisse haben und äußern.
Gleichzeitig sollten wir nicht vergessen, dass unser Partner ein eigenständiger Mensch ist, der andere Bedürfnisse und Meinungen haben darf. Diese haben meist gar nichts mit uns zu tun: Mit seiner “Andersartigkeit” möchte unser Partner uns nicht weh tun. Menschen sind in den seltensten Fällen daran interessiert einem anderen Schaden zuzufügen. Sie sind die meiste Zeit damit beschäftigt, für sich selber zu sorgen. Wenn wir das verstehen, dann können wir unser Gegenüber vielleicht mit etwas mehr Milde und Humor betrachten – und uns selbst gleich mit.
6. Wenn ich mich genug anstrenge, dann kann die Beziehung funktionieren
Es könnte alles so verdammt gut sein, wenn er oder sie (in diesem oder jenem Punkt) anders wäre. Es ist alles perfekt, wir passen super zusammen… wenn er/sie mich nur anders behandeln würde. Selbst wenn wir sehr empathisch mit uns selbst und unseren Partnern umgehen und selbst wenn wir bereit sind, alles für die Liebe und die Beziehung zu tun: Es gibt Unterschiede zwischen Menschen, die eine nahrhafte, erfüllte Liebesbeziehung auf Dauer nicht möglich machen. Wenn die Bedürfnisse zweier Menschen so weit auseinander gehen, dass entweder immer einer von beiden sich verbiegen oder der andere leiden müsste, dann ist es besser sich in gegenseitigem Respekt zu trennen.
Die Energie, die wir in so eine Beziehung stecken, können wir besser für uns selbst nutzen: Statt eine Liebe zu pflegen, die mehr Schmerz als Freude bringt, können wir die Zeit nutzen, um zu wachsen und uns mit allem zu versorgen, das wir brauchen – so dass wir beim nächsten Mal vielleicht eine für uns gesündere Entscheidung bei der Partnerwahl treffen.