Sollen Unternehmen in Zukunft gesetzlich zur Nachhaltigkeitsberichterstattung verpflichtet werden? Die neue Corporate Social Responsibility-Strategie der EU-Kommission hat innerhalb Deutschlands eine heftige Debatte über diese Frage ausgelöst.
CSR steht für Corporate Social Responsibility, zu Deutsch: Unternehmerische Gesellschaftsverantwortung. 2011 hat die EU-Kommission eine neue CSR-Strategie veröffentlicht. Ihr Vorhaben ist es, Unternehmen zukünftig zur Nachhaltigkeitsberichterstattung zu verpflichten. Annette Bonse sprach dazu mit Gisela Burckhardt, der Herausgeberin des Buches „Mythos CSR. Unternehmensverantwortung und Regulierungslücken“.
Im Titel Ihres 2011 herausgegebenen Buches ist von „Mythos CSR“ die Rede. Warum ein Mythos?
Corporate Social Responsibility bedeutet ja übersetzt „Gesellschaftliche Unternehmensverantwortung“. Faktisch geht es darum, dass Unternehmen für die Auswirkung ihrer Tätigkeit auf Mensch und Umwelt verantwortlich sind. Die Kritik, auf die der Titel „Mythos CSR“ anspielt, umfasst zwei Aspekte: Zum einen wird der Begriff häufig so allgemein und schwammig verwendet, dass mehr oder weniger alles darunter gefasst wird. Viele CSR-Aktivitäten von Unternehmen dienen leider oft nur der Schönfärberei, es geht dem Unternehmen darum, sich selbst ein gutes Image zu geben, z.B. indem es einen Sportverein fördert. Das wird dann als CSR deklariert, ist es aber gar nicht, denn nach der von der Bundesregierung formulierten Definition, ist CSR nur das, was das Kerngeschäft eines Unternehmens betrifft. Die Unterstützung eines Sportvereins ist nicht CSR sondern Charity.
Und der zweite Kritikpunkt?
Laut Definition der Bundesregierung muss CSR über gesetzliche Anforderungen hinausgehen. Dabei bezieht sich die Bundesregierung, wenn sie von Gesetzen spricht, nur auf die deutsche Gesetzgebung und den Standort Deutschland. Konkret heißt das, Unternehmen müssen deutsche Gesetze einhalten und CSR ist alles was zusätzlich noch gemacht wird. So weit so gut, aber wir stellen in dem Buch dar, dass es ja auch darum gehen muss, dass ein Unternehmen für Auswirkungen der Tätigkeiten seiner Lieferanten außerhalb Deutschlands rechenschaftspflichtig sein müsste. Wenn beispielsweise Lidl, Aldi oder Kik einen Auftrag an eine Fabrik in Bangladesch vergibt, dann kann diese Fabrik Menschenrechte verletzen, ohne dass Lidl, Aldi oder Kik zur Rechenschaft gezogen werden können. Dabei gehen diese Unternehmen aber gerade deshalb in Länder wie Bangladesch, weil die auch dort existierenden Gesetze oft nicht umgesetzt werden. Es existiert also eine große Kluft zwischen der ständig voranschreitenden wirtschaftlichen Globalisierung und der nationalen Rechtsprechung, die dieser Entwicklung nicht angepasst wurde.
Hieße das aber zugespitzt formuliert umgekehrt nicht auch, dass, wenn eine Firma aus Saudi Arabien in Bayern Feta-Käse produzieren läßt, in der Molkerei hier dann die Scharia gelten müsste?
Wenn wir von Rechtsprechung sprechen, geht es um international anerkannte Normen wie die Erklärung der Menschenrechte und die ILO Kernarbeitsnormen oder lokale Umwelt- und Arbeitsrechte, die aber vor Ort nicht umgesetzt werden. Was die dadurch entstandenen Gesetzeslücken angeht, gibt es in Deutschland und in der EU einen riesigen Nachholbedarf. In ihrer neuen, 2011 veröffentlichten CSR-Strategie hat die EU angekündigt, dass sie bezüglich der Offenlegungspflicht eine Gesetzesvorlage einbringen will. Noch ist gar nicht klar, wie diese Gesetzesvorlage aussieht, sie könnte auch sehr schwach sein. Aber schon jetzt wehren sich insbesondere deutsche Unternehmensverbände und die Bundesregierung massiv gegen eine Offenlegungspflicht.
Wie begründet denn die Bundesregierung ihre abwehrende Haltung gegen die EU-Strategie?
Die üblichen Argumente sind immer, dass durch mehr Verpflichtungen zu viel Bürokratie entstehen würde, dass man die kleinen und mittleren Unternehmen nicht zusätzlich belasten sollte und so weiter. Tatsächlich werden dadurch aber diejenigen fortschrittlicheren Unternehmen benachteiligt, die heute schon versuchen, etwas zu tun. Zum Beispiel, indem sie Nachhaltigkeitsberichte erstellen. Diese Vorreiter haben faktisch Wettbewerbsnachteile, weil sie berichten und damit eine erste kleine Transparenz herstellen über die Auswirkungen ihrer Tätigkeit auf Menschen und Umwelt, andere sich aber in Schweigen hüllen wie z.B. Aldi
Gibt es denn Länder in der EU, die diesbezüglich weiter sind als Deutschland?
Ja, das schon, es gibt zarte Ansätze, die aber bisher alle noch unzureichend sind. Dänemark beispielsweise hat ein System, das sich „Comply or Explain“ nennt. Da muss ein Unternehmen, wenn es keine Berichte erstattet, zumindest erklären, warum es dies nicht tut.
Was wären denn Ihre Forderungen zur Verbesserung der heutigen Situation in Bezug auf die CSR-Berichterstattung in Deutschland?
Es gibt ja, wie gesagt, bereits deutsche Unternehmen wie beispielsweise Tchibo, Puma oder Adidas, die Nachhaltigkeitsberichte verfassen. Das ist ein wichtiger erster Schritt. Kritisch finden wir daran allerdings, dass die Unternehmen auf diesen Hochglanzbroschüren letztlich meist nur darüber berichten, worüber sie berichten wollen. Deshalb sind gesetzlich festgelegte Kriterien notwendig, die für alle gleichermaßen verpflichtend sind. Das müssten gar nicht viele sein, weil die Masse an Informationen die Konsumenten ja oft regelrecht erschlägt; nur 5-10 klare Indikatoren würden vollkommen genügen. Insbesondere eben auch Indikatoren, die die Lieferkette betreffen. Zum Beispiel: Gibt es eine frei gewählte Arbeitsvertretung in den Zulieferbetrieben? Gibt es Tarifverhandlungen? Wenn auf diese Weise alle Unternehmen gleichermaßen verbindlich Bericht erstatten müssten, hätte man als Verbraucher die Möglichkeit, Unternehmen zu vergleichen. Und das wiederum würde die Transparenz in Deutschland fördern.
Vielen Dank Frau Burckhardt für das Interview.