Das Handy am Ohr, das Notebook auf dem Schoß — das macht uns krank. Moderne Kommunikations-Techniken stressen nicht nur im Arbeitsleben, sondern auch in der Freizeit. Im evidero-Interview erklärt der Diplom-Pädagoge Christoph Schmidt die Technisierung soziologisch und psychologisch.
Herr Schmidt, ist moderne Kommunikationstechnik für die Menschheit ein Segen oder doch eher ein Fluch?
Das ist Quatsch. Für das moderne Leben sind technische Neuerungen grundsätzlich zunächst eine Bereicherung. Die Menschen wollen neue Techniken, sie suchen sie. Oftmals sind die Entwicklungen sogar segensreich.
Also stellt sich die Eingangsfrage gar nicht?
Genau. Denn wichtiger ist es für uns Menschen und die Gesellschaft, mit den Technologien umzugehen lernen. Die Technik-Frage ist schließlich eines der Top-Themen, an dem wir nicht vorbei kommen.
Man muss auch mal das Handy ausschalten können
Damit meinen Sie wohl auch die so genannten modernen Wirtschafts-Menschen. Sie sind ständig von Technik umgeben, um ja auf dem Laufenden zu bleiben. Das Handy am Ohr, das Internet-Notebook auf dem Schoß. Scheinbar gibt es kein Entkommen.
Wer derart verkabelt und vernetzt ist, dem muss man Mut machen, sich auch mal abzuschotten. Ein immer mit Techniken wie Handy und E-Mail kommunizierender Mensch sollte sich die Frage stellen, ob er nicht auch so etwas wie ein Privatleben hat. Denn er hat ein Recht darauf — auch wenn Kommunikations-Technologie ihn rund um die Uhr erreichbar macht: für Arbeitgeber, Kunden, Mitarbeiter oder sonst wen.
Die Erreichbarkeit wird doch von denen, die sie nennen, aber auch erwartet?
Das ist nur die halbe Wahrheit, denn es ist doch auch einfach toll, erreichbar zu sein. Man ist auf diese Weise wichtig, wertet sich auf. Hier kommt die Psychologie mit ins Spiel. Und welche Folgen Medien und der Komunikations-Sog schon für Kinder und Jugendliche haben, erleben wir in der Erziehungsberatung in unseren Sitzungen. Es entstehen Abhängigkeiten. Wir beobachten Suchtverhalten.
Was also tun mit den Segnungen der Technik?
Sich davon immer wieder abzugrenzen, ist wichtig. Das ist aber schon fast eine Tugend. Wir müssen die Kompetenz des Nein-Sagens wieder lernen. Sonst bestimmt uns das moderne Leben mit all seinen technischen Reizen — und wir werden krank. Ich vergleiche das mit einem guten Essen. Sicher ist es wichtig und sinnvoll, sich auch einmal den Bauch vollzuschlagen. Aber eben nur manchmal. Besser bekömmlich sind die kleinen Mahlzeiten, damit das Völlegefühl erst gar nicht entsteht.
Digital Detox gegen digitale Überforderung
Das hört sich fast nach Kommunikations- und Technik-Askese an.
Das ist ein gutes, treffendes Wort. Es geht tatsächlich um Verzicht. Nehmen Sie den riesigen Markt der Glücksratgeber. Solche Bücher verkaufen sich gut — auch deshalb, weil viele Menschen mit all dem, was auf sie einströmt, überfordert sind. Sie suchen nach Auswegen.
Und einer davon ist die Nicht-Informiertheit?
Ja, auch sie hat ihren Wert. Denn es ist gleichzeitig eine enorme Belastung, so viel zu wissen. Wir sollten mit uns eine gewisse innere Hygiene betreiben und wieder lernen, wie das geht.
…indem wir Kommunikations-Technik vernünftig dosiert in unser Leben einbauen. Und wie noch?
Ganz einfach: zum Beispiel durch Entspannungs-Techniken. Yoga ist nur ein Beispiel von vielen.
Die Fragen stellte: Daniel Grosse