Acai, Chia und Moringa sind nicht ganz unbekannte Superfoods, die voll im Trend sind. Aber auch einige unserer bekannten Obst- und Gemüsesorten wie Grünkohl, Heidelbeere und Co. sind überdurchschnittlich potente Vitalstofflieferanten – wahre Superfoods eben. Dr. Barbara Rias-Bucher, erklärt uns im Interview, wie unsere heimischen Superfoods sogar die exotischen schlagen können.
Liebe Frau Dr. Rias-Bucher, Superfoods sind derzeit in aller Munde. Was genau beschreibt der Begriff “Superfood”?
Superfoods sind vorwiegend pflanzliche Lebensmittel, die viele Bioaktivstoffe enthalten. Diese wiederum greifen positiv in unseren Stoffwechsel ein, wirken vorbeugend oder heilend bei Krankheiten und stabilisieren unser Immunsystem. Denken Sie nur an Carotinoide in rotem und gelbem Gemüse und Obst, die unsere Zellen schützen und so unter anderem als Anti-Aging-Komponenten wirken können.
Superfoods liefern auch wichtige Mineralstoffe für gute Nerven, hochwertige Fette mit bestimmten Fettsäuren für den intakten Stoffwechsel und Fruchtsäuren als Fatburner.
Das, was wir neuerdings “Superfood” nennen ist eigentlich keine Neuerfindung. Warum boomt der Begriff momentan so?
Sie haben völlig recht: Was heute Superfoods sind, hat man noch vor etwa 20 Jahren „Powerfood“ genannt. Damals war der Hype nicht ganz so groß, weil es noch nicht die Verbreitung übers Internet gab. Doch amerikanische Autoren wie Jean Carper oder John Heinerman schrieben Bestseller zur Heilwirkung von pflanzlichen Lebensmitteln. Diese Heilwirkungen gehörten immer schon zum Erfahrungswissen der Menschen, werden seit Jahrhunderten in Naturheilkunde, Homöopathie, Traditioneller Chinesischer Medizin oder Ayurveda genutzt.
Beginnend mit den Forschungen zur orthomolekularen Medizin in den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, interessierten sich vermehrt auch die westliche Naturwissenschaft, Pharmazie und Medizin für diese Pflanzensubstanzen, die sowohl Krankheiten vorbeugen als auch Heilprozesse anstoßen und/oder beschleunigen können. Und wegen der verfeinerten Analysemethoden verstehen wir nun auch die Wirkungen viel besser, können Bio-Aktivstoffe gezielt einsetzen.
Unser geschärftes Bewusstsein für gesunde Ernährung und die wachsende Skepsis vieler Menschen gegenüber der Schulmedizin tragen sicher zu diesem Boom bei.
Warum sollten wir eher auf heimische Superfoods setzen und was halten Sie von exotischen Beeren, Körnern und Samen?
Gesundheitlich von Nutzen sind nur Superfoods, die man sehr häufig isst. Denn die physiologische Wirkung der meisten Bioaktivstoffe hält nur kurze Zeit vor, dann braucht der Körper Nachschub. Heimische Lebensmittel sind da genau richtig, denn wir sind seit unserer Kindheit daran gewohnt und mögen sie deshalb auch regelmäßig essen.
Bei Matcha-Tee, Algen oder Shiitake-Pilzen ist das nicht unbedingt der Fall. Doch selbstverständlich können Sie auch Goji-Beeren, Chia-Samen oder all die anderen exotischen Superfoods essen, nur eben nicht ausschließlich. Gegen die „Exoten“ spricht, dass viele davon für den Transport gar nicht reifen können und/oder getrocknet werden.
Die langen Transportwege belasten zudem die Umwelt, schaden dem Klima, verschwenden wichtige Ressourcen und erfordern bestimmte Konservierungsmethoden. Da finde ich schon, dass Frisches aus der Region einfach besser für unser Wohlbefinden ist.
In Ihrem Buch “Heimische Superfoods” geht es um die Pflanzen aus regionalem Anbau. Welche regionalen Wunderpflänzchen haben wir hier in Deutschland und verschiedenen Regionen?
Kurz und knapp: All unser einheimisches Gemüse und Obst, Küchenkräuter und Wildkräuter sind unsere heimischen Superfoods. Lassen Sie uns aber lieber nicht von bestimmten Wunderpflänzchen sprechen, denn das Prinzip der vernünftigen Ernährung ist eben bunte Vielfalt auf dem Teller und zwar jeden Tag.
Allein, dass Pflanzen uns bei Zipperlein helfen, echte Leiden lindern und unser Immunsystem stärken, dass sie vorbeugend gegen Krebs und Infektionen wirken können, dass sie den natürlichen Alterungsprozess verlangsamen, für straffe Muskeln sorgen, unseren Stoffwechsel unterstützen, dass sie uns satt machen und dazu noch so wunderbar schmecken ist doch schon ein Wunder der Natur!
Weshalb benötigen wir überhaupt Superfoods, reicht es nicht, sich rundum gesund zu ernähren?
Wenn Sie sich gesund und abwechslungsreich ernähren, wenn Sie das saisonale Angebot nutzen, wenn Sie vorwiegend pflanzliche Lebensmittel essen, dann kriegen Sie ganz automatisch eine ganze Menge Superfoods auf den Teller. Deshalb empfehle ich in meinem Buch ja auch heimische Superfoods – die müssen Sie nicht suchen, die landen ganz von selbst in Ihrem Obst- und Gemüsekorb.
Ich selbst gehöre zu den glücklichen Menschen, die nur in ihren Gemüsegarten gehen müssen und dort eine ganze Menge Superfoods ernten können.
Welche spezifischen Effekte können Superfoods auf unsere Gesundheit haben?
Grundsätzlich: Bei Superfoods kommt es auf keine isolierten Inhaltsstoffe an, sondern auf die natürliche Kombination aller – entsprechend dem Prinzip ganzheitlicher Ernährung, die Experten empfehlen. Für die heilsame Wirkung spielt selbstverständlich auch die Psyche eine Rolle. Je mehr wir über die Bio-Aktivstoffe wissen, desto mehr wird uns auch die Pflanze zum lebendigen Gegenüber, das wir verstehen und achten können.
Wenn wir wissen, dass Dost und Rosmarin Gerbstoffe bilden, um sich Fressfeinde vom Pflanzenleib zu halten, freuen wir uns, dass auch wir diese Stoffe nutzen dürfen, wenn es nach üppigem Essen im Bauch rumort. Wer begreift, dass Möhren ihren Zucker speichern, um den Winter zu überstehen, um im Frühling eine neue Pflanze und damit auch viele Samen zu bilden – dem schmeckt die Möhrenrohkost mit gesunden Carotinoiden noch besser.
Was sind Bio-Aktivstoffe und wie können wir von ihnen profitieren?
Lassen Sie mich aus der ganzen Fülle nur ein paar Beispiele nennen: Blaurote Farbstoffe, die sogenannten Anthozyane, in Kirschen und Weintrauben, schwarzen Johannisbeeren und roten Beten, Auberginen und Holunderbeeren mindern die Bioverfügbarkeit von krebserregenden Stoffen in unserem Essen. Das heißt, diese Schadstoffe gelangen gar nicht erst in unseren Stoffwechsel.
Grünes Gemüse enthält Chlorophyll, das nach amerikanischen Forschungen ein hochwirksames Fitness-Mittel ist, denn das Pflanzengrün erhöht die Anzahl der roten Blutkörperchen und versorgt unser Blut mit Sauerstoff. Das ist enorm wichtig, denn wenn zu wenig Sauerstoff vorhanden ist, kommt es zur Übersäuerung des Organismus.
Allicin in Zwiebeln und Knoblauch senkt den Blutdruck, Bitterstoffe in Artischocken regen die Gallenblase an. Pektin in Äpfeln, Quitten und Beeren pflegt die Darmflora, Gerbstoffe in Gänseblümchen wirken entzündungshemmend, Flavonoide in Klee schützen die Zellen.
Zu den Bio-Aktivstoffen zählen auch Vitamine: Vitamin E gilt als Anti-Aging-Vitamin, weil es die kognitiven Fähigkeiten im Alter erhält, und im Jahr 2002 wurde eine Studie des Rush University Media Center in Chicago veröffentlicht, die eine Verjüngung der Gedächtnisleistung um ganze fünf Jahre belegt. Die Gefahr, an Alzheimer und Demenz zu erkranken, scheint für Gemüse-Esser also geringer zu sein.
Vitamin C in Sauerkraut und Paprika stärkt das Immunsystem und fördert überdies bei vegetarischer Ernährung die Eisenresorption.
Können Superfoods auch mal ungesund oder gar schädlich sein?
Klar, wie jedes Lebensmittel, wenn man zuviel davon bekommt. Wer kiloweise Äpfel isst, weil die soviel gesundes Pektin enthalten, kriegt unweigerlich Verdauungsprobleme. Überhaupt Obst: Früchte brauchen wir jeden Tag, weil sie die Zufuhr von Vitaminen und Mineralstoffen sichern helfen. Doch sie stecken auch voller Fruchtzucker, der nachweislich Übergewicht bewirkt.
Beispiel Kakao: Er enthält eine ganze Menge wichtiger Bio-Aktivstoffe, von zellschützenden Flavonoiden über Polyphenole für die Krebsprophylaxe bis zum Glückshormon Serotonin. Doch wer ständig Kakao-Nibs knabbert tut seiner Gesundheit überhaupt keinen Gefallen: Dieser beliebte Snack enthält zuviel Fett, und die permanente Zufuhr von Schokolade kann sogar die Aggressivität bei Kindern fördern. Es geht also immer darum, vernünftig Maß zu halten und auf Vielfalt beim Essen zu achten.
Was ist Ihr liebstes Superfood und wie bereiten Sie es zu?
Ich bin ein Frühlings- und Sommermensch, deshalb liebe ich frische Kräuter und Wildkräuter, Tomaten, Artischocken, Bohnen und Kirschen. Mit dem Herbst versöhnen mich dann meine wunderbaren Äpfel und Birnen – in meinem Obstgarten wachsen gute alte Sorten -, Kürbisse und ganz köstliche Kartoffeln, denn auch hier baue ich alte Sorten an.
Im Winter gibt’s Topinambur und Feldsalat, Zwiebeln, Knoblauch, Walnüsse aus meinem Garten und dazu Wurzel- und Kohlgemüse, das ich bei meinen Freunden hole, die einen Hofladen betreiben. Denn mein eigenes Gemüse reicht leider nicht über den Winter. Im Frühling geht es dann wieder los mit Wildkräutern und mit Spargel natürlich, denn ich wohne ja mitten in einem bayerischen Spargelanbaugebiet!
Ach ja, die Zubereitung: Am liebsten mag ich Salat in jeder Form, sehr gerne vermischt mit Obst. Gemüse brate ich vorwiegend im Wok, Kartoffeln kommen in die Suppe oder – hauchdünn gehobelt – mit Tomaten und ein bisschen Käse auf den Flammkuchen. Auch Kürbis wird gebraten oder im Ofen gebacken und dazu gibt es einfach Joghurt und Couscous.
Wildkräuter mag ich roh nicht so gerne; ich brate sie ebenfalls im Wok. Sicher haben Sie schon gehört, dass beim Garen die wertvollen Inhaltsstoffe angeblich verloren gehen. Doch das stimmt nicht: Bio-Aktivstoffe der Wildkräuter lösen sich zwar beim Braten, Dünsten oder Schmoren, doch wir „essen“ sie dann eben mit dem Bratfett oder Schmorsud der Suppe.
Natürlich spielt die Saison eine große Rolle bei heimischen Produkten. Welches Superfood kann im Winter glänzen?
Jedes typische Wintergemüse, das seit jeher zum traditionellen Speisezettel gehört: Wurzeln wie Möhren und Pastinaken, Kohlgemüse, Rüben, Rote Bete, dazu Winterobst wie Äpfel und Birnen. Ich lege mir auch immer einen Tiefkühlvorrat von Kirschen, Beeren und Zwetschgen an – das mag ich im Porridge oder kombiniert mit frischen Früchten als Obstsalat.Frisch im Winter sind Postelein, ein Vitamin-C-reiches Kraut, das Sie genau wie Feldsalat in den Garten säen können. Topinambur, Rosenkohl, Lauch und Zuckerhutsalat, der mit Endiviensalat verwandt, aber im Biss fast so knackig wie Eissalat ist, gehören ebenfalls zum Gemüse für die kalte Jahreszeit.
Am liebsten mag ich im Winter eine dicke, bunte Gemüsesuppe, für die ich alles nehme, was ich gerade vorrätig habe. Gewürzt wird mit Chilischoten, die ich immer gleich nach der Ernte einfriere. Die Kräuter als Topping kommen ebenfalls aus dem Tiefkühler: Petersilie und Dill lassen sich – frisch gepflückt – wunderbar einfrieren und verlieren kaum an Aroma.
Und weil jetzt die Sonne ja auch schon wieder steigt, erzähle ich Ihnen auch gleich mein Lieblings-Superfood für den Frühling: Frittata mit Wildkräutern:
Für 2-3 Portionen werden 2 kleine Pastinaken geschält und klein gewürfelt. 3 Handvoll Löwenzahn-, Brennnessel und Bärlauchblätter + 1 Handvoll Petersilie-, Dill- und Minzeblättchen gemischt verlesen, waschen und wie Salat trockenschleudern, dann mit dem Wiegemesser fein zerkleinern. Nun ½ Bund Schnittlauch waschen, trockentupfen und fein schneiden. Alles in einer Schüssel mit 5 Eier, Salz nach Belieben und frisch gemahlener Pfeffer verrühren. 4 EL Olivenöl in einer großen Pfanne erhitzen. Die Eiermischung zugeben und bei schwacher Hitze auf der Unterseite etwa 5 Minuten braten. Mit dem Pfannenmesser wie eine Torte in vier Stücke schneiden, die Stücke wenden und noch 3 bis 4 Minuten braten.
Welche Superfoods können aktuell unsere Erkältung lindern?
Vitamin-C-haltiges stärkt uns gegen Infektionen. Deshalb sind rote Paprikaschoten, Kiwis, Orangen und Sauerkraut gut zur Vorbeugung. Und wenn die Erkältung bereits da ist, schwöre ich auf meinen Anti-Schnupfen-Smoothie (siehe auch mein Buch „Wintersmoothies“, erschienen im Mankau Verlag): Für 1 Portion pürieren Sie 2 Birnenhälften (selbst gekochtes Kompott oder aus der Dose) mit 2 geschälten, entkernten Scheiben Zitrone, 3 EL Birnensaft, 150 ml kochend-heißem Wasser und 1 bis 2 TL Honig im Mixer oder Smoothie-Maker.
In ein vorgewärmtes Glas füllen und möglichst heiß trinken, wenn Sie die ersten Anzeichen einer Erkältung spüren: Zitrone als Vitamin-C-Spender stärkt das Immunsystem, gedünstete Birnen mit Honig versorgen den Körper mit genügend Feuchtigkeit. Nach der Traditionellen Chinesischen Medizin helfen sie bei trockenem Husten und rauem Hals.
Vielen Dank für das Interview!
© Dr. Barbara Rias-Bucher Januar 2016