Alle Jahre wieder wollen wir ab Anfang Januar alles besser machen. evidero-Bloggerin Inga Gebauer hat in dem US-Bestseller „Die Macht der Disziplin“ von Roy Baumeister und John Tierney hilfreiche Ratschläge gefunden, wie auf gute Vorsätze reale Taten folgen können.
Gute Vorsätze fürs neue Jahrgehören für die meisten Menschen zum Jahreswechsel wie der Tigerteppich zum Dinner for One.
Am 1.1. stehen Millionen Menschen verkatert auf und nehmen sich ganz fest vor, ab sofort weniger Stress zu haben, eine Diät zu machen, produktiver zu arbeiten und obendrein noch mehr Spaß am Leben zu haben. Dann kommt das Ende des Monats mal wieder schneller als erwartet und die Bilanz ist meist vernichtend. Ich bin da keine Ausnahme.
Weder ambitionierte Fitnessprogramme, noch den Sparplan, noch den Vorsatz, endlich alle Deadlines (inklusive der für den vorliegenden Artikel…) stressfrei einzuhalten, habe ich jemals durchgehalten.
Auf der Suche nach Ratgeber-Literatur zur Überwindung des inneren Schweinehundes stoße ich auf „Die Macht der Disziplin“ von Psychologieprofessor Roy Baumeister und Wissenschaftsjournalist John Tierney. Klingt zunächst wie ein Leitfaden zum autoritären Führungsstil. Das Buch entpuppt sich aber als Sammlung aktueller Forschungsergebnisse zum menschlichen Willen und Durchhaltevermögen. Plus: Ein Trainingsprogramm mit dem amüsanten Titel „Bauch, Beine, Wille“
Der Wille funktioniert wie ein Muskel — seine Kraft ist endlich
Baumeister und seine Kollegen aus der Psychologie-Forschung haben herausgefunden, dass unser Wille (und damit unsere Selbstbeherrschung) tatsächlich genauso funktioniert wie ein Muskel. Der Wille jedes Menschen hat nur ein bestimmtes Maß an Kraft, und diese begrenzte Ressource erschöpfen wir täglich bei vielen unterschiedliche Tätigkeiten:
- Tagtäglich und andauernd widerstehen wir tausenden von Versuchungen: Liegenbleiben, Süßigkeiten, Zigaretten, auf Facebook nachsehen, was die Freunde machen, gähnen. Auch wenn wir manchen Versuchungen letztendlich nachgeben, haben wir vorher ein bisschen widerstanden — das leert den Willenskraft-Akku.
- Gefühle, Gedanken und die Kontrolle von emotionalen Reaktionen: Wir ärgern uns, machen uns Sorgen, denken an aufgeschobene Aufgaben, zwingen uns zum Weitermachen, heucheln gute Laune: Auch das strapaziert die Willenskraft.
- Entscheidungen treffen. Die Selbstbeherrschung wird auch dann schwächer, wenn wir viele Entscheidungen treffen: Je mehr und je wichtiger uns das Resultat ist, desto anstrengender.
- Nummer vier der Willensermüdung sind Schlafmangel, Schmerzen und vor allem: Unterzuckerung! Das heißt tatsächlich, dass Menschen mit knurrendem Magen weniger Disziplin aufbringen — sprich: Kurz vor dem Essen und — tragischerweise — bei Diäten.
Ich habe ein Aha-Erlebnis nach dem anderen. Wenn ich zu hause arbeite, machen mich die vielen Versuchungen zur Meisterin der kreativen Arbeitsvermeidung: Ich tue alles, um nicht meinen Artikel schreiben zu müssen: Kaffee kochen und trinken, Wäsche waschen, Blumen gießen, im Netz nach Schuhen, Büchern, Möbeln schauen.
Ich ärgere mich über die Warte-Sanduhr beim Schreibprogramm, mache mir Sorgen, dass ich nicht rechtzeitig fertig werde, habe natürlich doch die ganze Zeit den Artikel im Kopf aber gerade keine Lust, ärgere mich darum über mich selbst, raffe mich dann doch auf, aber da klingelt das Telefon. Hunger hab ich auch. Da wundert es mich fast, dass ich abends noch die Disziplin zum Zähneputzen aufbringe…
Ein klares Ziel hilft, Vorsätze einzuhalten
Damit wäre also die schwächelnde Selbstdisziplin erklärt. Was aber tun, wenn ich meine guten Vorsätze tatsächlich verwirklichen will? Am Anfang jedes Vorsatzes steht ein Ziel. Eins. Und zwar das im Moment wichtigste. Mit unserer begrenzten, stets strapazierten Willenskraft schafft es nämlich niemand, fünf Vorsätze gleichzeitig zu verwirklichen. Effektiver sei es, sich für jedes Ziel genügend Zeit zu lassen, am besten mehrere Monate.
Um mich ausreichend zu motivieren, soll ich zunächst eine langfristige Vision entwerfen: Wie genau sieht mein Leben aus, wenn das eine Ziel erreicht ist? Ginge es mir dann qualitativ besser? Ich stelle mir den Vorher-Nachher-Effekt in Bezug auf den Deadline-Vorsatz bildlich vor. Nachtschichten, Schlafmangel, literweise Espresso, schlechtes Gewissen contra definierter Feierabend, verlässlich wirken, Stolz. Mein Urteil: Fühlt sich gut an, das ist den Willenskraft-Aufwand definitiv wert.
Für die Einhaltung deiner Ziele gilt: Gut geplant ist halb gewonnen
Schritt zwei der Zielumsetzung ist ein konkreter Plan. Ich soll mir genauestens überlegen, was ich tun und was ich in meinem Leben verbessern kann. Auf meiner Liste stehen: Feste, regelmäßige Arbeitszeiten für Artikel einplanen, am Monatsanfang Arbeitszeit einschätzen und aufschreiben, Schreibtisch in einem Co-Working-Büro mieten.
Das ist den Psychologen leider viel zu diffus. Ich habe nämlich noch gar keinen Kalender, in den ich meinen Arbeitsplan schreiben kann. Und die Telefonnummer vom Co-Working-Büro auch nicht. Richtigerweise müsste auf der To-Do-Liste also stehen: Kalender kaufen, Telefonnummer heraussuchen, dort anrufen.
Und: Kalkulieren, dass wir für alles immer viel länger brauchen, als wir denken. (Da geht es mir nicht anders als den Berliner Flughafenplanern…) Um das zu vermeiden, sei es hilfreich, sich auf seine Erfahrungen zu berufen und sich zu erinnern, wie lange eine Aufgabe beim letzten Mal (ehrlich!) gedauert hat.
(Selbst)vertrauen ist gut, (Selbst)kontrolle noch besser
Wer langfristig sein Verhalten ändern will, der kommt nicht darum herum, die Ergebnisse zu kontrollieren. Sich selbst zu beobachten, hilft nach den Erkenntnissen der Psychologen eindeutig dabei, selbstdisziplinierter zu sein. Wer regelmäßig seine Ausgaben in einem Haushaltsbuch aufschreibt, ist dabei möglicherweise so erschrocken, dass er automatisch weniger ausgibt. Wer sich regelmäßig auf die Waage stellt, hält eine Diät wahrscheinlicher durch.
Noch besser ist übrigens die Kontrolle durch andere. Veröffentlichte Informationen wirken offenbar stärker als private — schlicht darum, weil es den meisten Menschen wichtiger ist, wie andere uns sehen, als wie wir uns selbst sehen. Man kann zum Beispiel Freunde bitten, zu beurteilen, ob man zu viel Geld ausgibt. Oder seine Sportleistung in Online-Netzwerken mit anderen vergleichen.
Willenskraft kann man trainieren
Die frohe Nachricht aus der Selbstdisziplin-Forschung: Wenn die Willenskraft wie Muskelkraft funktioniert, dann lässt sie sich auch stärken. Wer seiner Willensausdauer ein Aufbauprogramm gönnen will, der sollte kleine, gewohnheitsmäßige Handlungen verändern.
Zum Beispiel nur noch in vollständigen Sätze ohne Ähs und Öhs sprechen. Jeden Abend eine Seite mit ordentlicher Schrift ins Tagebuch schreiben. Jeden Morgen den Schreibtisch aufräumen. Mit solchen Gewohnheiten schaltet man das Gehirn quasi auf „Autopilot“. Wenn sich Routinen einmal eingeschliffen haben, erfordern sie keine Anstrengung mehr.
Außerdem stärken diese Aufwärmübungen für größere Selbstdiziplin-Anstrengungen nicht nur die Willenskraft, sondern sie wirken offenbar auch „ansteckend“ auf unsere Selbstdisziplin in anderen Lebensbereichen. Wer gerade sitzt, spart mehr Geld. Wer ein Sportprogramm durchhält, räumt häufiger auf und so weiter.
Noch mehr Tipps für die Umsetzung deiner Ziele
Problem: Gute Vorsätze fasst man in der Regel mit kühlem Kopf und eher nicht mit leerem Magen. Was aber, wenn ich mir fest vornehme zu sparen, und dann nach einem anstrengenden Arbeitstag mit lauter Entscheidungen, völlig unterzuckert vor dem Schaufenster mit den Schuh-Schnäppchen stehe?
Die Gegenstrategie lautet hier: Versuchungen auf ein Mindestmaß reduzieren. Die Süßigkeiten vom Tisch in den Schrank räumen. Erst gar keine Zigaretten dabei haben. Die Kreditkarte zu Hause lassen und nur das nötigste an Bargeld dabeihaben. Den Browser so einstellen, dass er während der Arbeitszeit keine Freizeit-Seiten anzeigen kann. (Mein Plan mit dem Arbeiten im Co-Working-Büro scheint also genau richtig. Da kann ich nämlich definitiv keine Wäsche waschen, und die Blumen gießt ein anderer.)
Die beiden Autoren empfehlen übrigens ausdrücklich, sich regelmäßig für Erfolge zu belohnen, und sei es nur mit Kleinigkeiten. Das stärkt nämlich die Motivation und hilft, durchzuhalten.
Wem nützt das Buch über die Willenskraft?
Zugegeben: Das Training für mehr Selbstdisziplin ist anstrengend. Ziele formulieren, Pläne schreiben kostet Zeit und zwingt uns, uns mit unseren Wünschen und Schwächen auseinanderzusetzen. Das tut manchmal sogar ein bisschen weh. Aber das Gefühl, sein Leben in den Griff zu bekommen wiegt das — in meinen Augen — absolut auf. Wer das schafft, so die Forschung, ist im Leben erfolgreicher, zufriedener (nichts macht unglücklicher, als zehn nicht verwirklichte Ziele), beliebter (bei Freunden, Mitbewohnern, Arbeitgebern, Kollegen), gesünder und kann seine Freizeit besser genießen. Dieses wissenschaftlich belegte Plädoyer hat mich endgültig von der Selbstdisziplin als wiederentdeckter Tugend überzeugt. Das nächste Mal klappt es mit der Deadline. Und dann belohne ich mich doch mit einem Paar neuer Schuhe. Das Sparprogramm hebe ich mir nämlich für die zweite Jahreshälfte auf.