Im ersten Teil unserer Reihe zur Konfliktlösung haben wir erfahren, wie Konflikte und Missverständnisse entstehen können. Nun wollen wir wissen: Geht es auch anders? Und wie können wir Missverständnisse und Konflikte auf eine friedvolle Weise klären und lösen? Im zweiten Teil unserer Reihe stellen die Kommunikations-Trainer Nayoma de Haen und Torsten Hardiess die Grundlagen der Gewaltfreien Kommunikation vor.
Der häufigste Grund, warum Gespräche misslingen, ist, dass wir zu wissen meinen, was unser Gegenüber uns sagen will und ihm eine bestimmte Absicht unterstellen. Damit Kommunikation gelingt, gilt es also zwei Dinge zu beachten: Ich kann mir bewusst machen, dass ich solche Annahmen/Unterstellungen vornehme und ich kann mir klar machen, was meine eigenen Motive sind. Die Gewaltfreie Kommunikation (GFK) kann uns darin unterstützen.
Der Begriff „gewaltfrei“ leitet sich von dem indischen Begriff “Ahimsa” ab, was sich in unsere Sprache am ehesten mit „Nicht-Gewalt“ übersetzen lässt. Dieser Begriff wurde durch den indischen Freiheits- und Friedensstifter Mahatma Gandhi populär. Allerdings sagt „gewaltfrei“ nur aus, was es NICHT ist, und nicht, WAS es ist. Deswegen sprechen wir auch von „Wertschätzender Kommunikation“ oder „Lebensfördernder Kommunikation”, denn es geht darum, die Lebendigkeit unserer Beziehungen zu stärken und damit unsere Lebensqualität zu verbessern.
Marshall Rosenberg – Die Herkunft der GFK
Die GFK in ihrer heutigen Ausrichtung wurde von dem amerikanischen Psychologen und Konfliktmediator Dr. Marshall Rosenberg entwickelt. Rosenberg hat bei Carl Rogers studiert und steht daher der humanistischen Psychologie nahe. Rosenberg hat die Ansätze von Rogers und anderen Psychologen weiter entwickelt und zu einem griffigen Konzept verpackt.
Während es Rogers noch vor allem um Patienten-Gespräche in der Psycho-Therapie ging, hat Rosenberg diese Ansätze allgemein alltagstauglich gemacht. Er erlebte in seiner Jugend schwere Rassen-Unruhen und blutige Gewalt. Als Psychologen bewegte ihn dann besonders die Frage, was uns helfen kann, auch unter schwierigsten Umständen mitfühlend zu bleiben. Dabei fiel ihm auf, welche entscheidende Rolle unser Sprechen und Zuhören dabei spielt.
Die Natur des Menschen: Selbstbestimmt, empathisch und lebendig
In der GFK gehen wir davon aus, dass alles menschliche Handeln intrinsisch (innerlich) motiviert ist. Das bedeutet, wir verhalten uns auf eine bestimmte Art und Weise, weil das unseren inneren Bedürfnissen entspricht. Manchmal mag es so aussehen, als käme die Motivation für unser Handeln von außen — wenn wir zum Beispiel bedroht werden. Doch auch hier verhalten wir uns auf eine bestimmte Weise, um das Beste für uns zu erwirken. Zum Beispiel, nicht verletzt zu werden.
Ein weiterer Punkt ist, dass der Mensch seiner Natur nach empathisch und mitfühlend ist. Unser Verhalten ist also auf unsere Bedürfnisse bezogen, gleichzeitig sind wir aber auch in der Lage, die Bedürfnisse der anderen zu erkennen und zu verstehen.
Und das führt zu einer weiteren Annahme der GFK: Es ist dem Menschen ein Bedürfnis, zum Leben beizutragen. Wir möchten das Leben durch unser Dasein reicher machen. Und dazu gehört auch, dass es uns Freude bereitet, für andere da zu sein. Das erklärt auch, warum manche Menschen sich selbstlos für andere einsetzen oder sogar ihr Leben für andere riskieren.
Eine weitere Idee hatten wir bereits im ersten Teil angesprochen: die Freiheit der Perspektive. Wie wir eine Situation bewerten, liegt in unseren eigenen Händen. Rosenberg fasst all diese Grundideen der Gewaltfreien Kommunikation in zwei Fragen zusammen: „Was ist lebendig in mir?“ und „Wie kann ich dazu beitragen, dass mein Leben schöner und reichhaltiger wird?“.
Mitgefühl als Basis für Kommunikation
Die Fähigkeit zu Empathie und Mitgefühl ist uns angeboren und deshalb ein wichtiger Bestandteil unserer Persönlichkeit. Man kann das mit der Sprachfähigkeit vergleichen. Jeder von uns lernt in einem gewissen Alter zu sprechen. Aber das muss gefördert werden und je nach dem, was wir hören, lernen wir unterschiedliche Sprachen. Genauso ist es uns angeboren, Mitgefühl zu empfinden. Wie diese Fähigkeit ausgeprägt ist, hängt jedoch von der jeweiligen Erziehung und den äußeren Einflüssen ab.
Die Fähigkeit zu Mitgefühl mit uns selbst und anderen ist eine der zentralen Qualitäten für einen friedvollen Umgang mit Konflikten. Wenn ich zum Beispiel auf der Arbeit dringend etwas ausdrucken möchte und feststelle, dass keine Tinte mehr da ist, bin ich vielleicht sauer, weil mich das in meiner Arbeit behindert, aber ich muss deshalb nicht auf meinen Kollegen sauer sein, weil er keine neue Patrone bestellt hat.
Aus Sicht der Gewaltfreien Kommunikation gehe ich davon aus, dass er gute Gründe dafür hatte, sich so zu verhalten. Vielleicht hatte er gerade tagelang Stress mit einem Kunden oder er ist frisch verliebt. Genauso habe ich gute Gründe dafür, dass ich jetzt frustriert bin, weil ich mit meiner Arbeit vorwärts kommen will. Beides kann gleichberechtigt neben einander stehen.
Wenn alle Beteiligten davon ausgehen, dass jeder allgemein menschlich nachvollziehbare Gründe für sein Verhalten hat – in der GFK nennen wir das Bedürfnisse – dann ist Mitgefühl möglich. Dann kann ich mich mit meinem Gegenüber verständigen, auch wenn wir unterschiedliche Meinungen haben.
Diese Annahmen und Ideen bieten die Basis für das Modell der Gewaltfreien Kommunikation. Im nächsten Teil werden wir erklären, wie es funktioniert und wie eine mitfühlende und aufrichtige Art der Kommunikation unser Leben bereichern kann.