Noch vor wenigen Jahren waren unser Darm und die darin lebenden Bakterien ein Tabuthema, über das man weder mit seiner Familie noch mit seinen engsten Freunden sprach. Doch mittlerweile sind vor allem die Mikroorganismen im Verdauungstrakt in den Mittelpunkt des Interesses von Laien und Experten gerückt. Inzwischen ist bekannt, dass eine gesunde Darmflora die Voraussetzung für unsere Gesamtgesundheit ist.
Denn unsere 100 Billionen Darmkeime können mehr, als nur Nahrung verdauen. Sie produzieren dutzende von Stoffen, die über die Blutbahn zu jeder Zelle des Körpers gelangen: Vitamine, Botenstoffe, Hormone, Antioxidantien und kurzkettige Fettsäuren. Die Darmbakterien nehmen Einfluss auf die drei großen Informationssysteme unseres Körpers: Hormon-, Nerven- und Immunsystem.
Schlanker mit den richtigen Bakterien
„Ich bin eben ein guter Futterverwerter“, bis vor wenigen Jahren wurden alle, die ihre Gewichtsprobleme damit rechtfertigen wollten, nur müde belächelt. Doch nun bekommen sie Rückendeckung aus der Mikrobiomforschung. Denn es scheint tatsächlich Menschen zu geben, die die Nahrung besser verwerten als andere, die aus einem Apfel mehr Kalorien ziehen, als ihre Mitmenschen und die ein Stück Torte nur anschauen müssen und schon landet es auf der Hüfte. Schuld daran scheint eine Störung der Darmflora zu sein.
Auf diese Zusammenhänge stießen US-amerikanische Forscher der Washington Universität in St. Louis. Vergleiche der Darmflora – die Experten sprechen vom „Mikrobiom“ – von fettleibigen Mäusen und ihren mageren Geschwistern sowie von adipösen und schlanken menschlichen Probanden belegen, dass bei Übergewicht das Verhältnis der beiden dominierenden Bakterienstämme Bacteroidetes und Firmicutes in Schieflage gerät.
Der Mikrobenmix beeinflusst die Kalorienaufnahme
Der Mikrobenmix scheint dafür verantwortlich zu sein, wie gut oder schlecht wir unser Essen ausnutzen und wie viele Kalorien aus der Nahrung gezogen werden. Nimmt die Zahl der Firmicuten, der „Moppelbakterien“ nur um 20 % zu, dann werden Tag für Tag 10 % mehr Kalorien in den Körper geschleust. Das hört sich zunächst nicht viel an, summiert sich aber im Laufe eines Jahres auf rund acht zusätzliche Kilos.
Gleichzeitig geht mit steigenden Pfunden die bakterielle Vielfalt im Verdauungstrakt verloren. Übertrug man nun das Mikrobiom Übergewichtiger auf Schlanke – das fand im Rahmen von Tierversuchen bei Mäusen und im Rahmen medizinischer Behandlungen beim Menschen statt – stieg das Gewicht vormals schlanker an, selbst wenn sie nicht mehr Kalorien zu sich nahmen. Eine gesunde, vielfältige Darmflora scheint laut aktuellen Studien hingegen der Garant für eine gute Figur zu sein, denn diese verwertet die Kalorien nicht so akribisch und bildet zudem Substanzen, die Heißhunger dämpfen und Appetit zügeln.
Gute Keime haben Einfluss auf Gehirn und Glücksgefühl
Auch unser seelisches Wohlbefinden und unsere psychische Verfassung wird vom Darm gesteuert. Die Darmbakterien produzieren Dutzende von Hormonen, darunter auch Glückshormone und Botenstoffe, die unsere Nervenzellen beeinflussen. Diese gelangen mit dem Blut zum Gehirn und sorgen dort für einen unterschwelligen Stimmungsteppich. Auf diese Weise entscheidet die Darmflora mit, wie gut wir mit Stress umgehen können und wie tief unser Schlaf ist.
Erhielten Studienteilnehmer bestimmte Bakterienmischungen, dann fühlten sie sich nicht nur subjektiv weniger gestresst. Auch die Spiegel des Stresshormons Cortisol sanken messbar. Selbst unsere geistige Leistungsfähigkeit, unser Schmerzempfinden oder die Gehirnentwicklung kleiner Kinder lassen sich mit den richtigen Keimen beeinflussen. Nur eine gesunde und gut ernährte Darmflora kann auch die richtigen Signale zum Gehirn schicken.
Glatte Haut durch gesunden Darm
Unser Mikrobiom ist sogar in der Lage, Substanzen zu produzieren, die wir eher in der Gesichtspflege oder in Lifestyleprodukten vermuten würden. Hyaluronsäure, Ceramide, Milchsäure, Antioxidantien und UV-Schutz-Faktoren werden von der Kosmetikindustrie eingesetzt, um die Hautalterung zu verzögern, Falten aufzupolstern und den Teint zum Strahlen zu bringen.
Diese Beautyelixiere kann aber auch die gesunde Darmflora herstellen und uns damit ganz nebenbei hübscher und optisch jünger machen. Dabei hat jeder Mikroorganismus seine eigenen Spezialgebiete. Lactobacillus paracasei scheint sensible Haut weniger empfindlich zu machen, Lactobacillus plantarum verbessert die Feuchtigkeitsversorgung der Haut und glättet Falten und Lactobazillus plantarum reduziert UV-Schäden beim Sonnenbaden.
Die Darmflora steuern mit Präbiotika
Doch wie bekomme ich denn nun meine Darmflora dazu, so viel Gutes für mich zu tun? Die Zusammensetzung der Darmflora hängt eng mit unserem Lebensstil und unserer Ernährung zusammen. Ob wir in der Stadt oder auf dem Land leben, Einzelkinder waren oder mit Haustieren und einer großen Geschwisterschar aufwuchsen, ob wir Raucher oder Sportler sind – all das wirkt sich auf das Mikrobiom aus. Einen ganz entscheidenden Einfluss hat aber die Ernährung. Was liegt also näher, als erst mal Ordnung in den Darm zu bringen, wenn man schlanker, schöner und stressresistenter werden möchte?
Wichtig für die gesunde Entwicklung der Darmkeime sind Ballaststoffe, die unsere Verdauungsenzyme nicht vollständig „aufknacken“ können, so genannte „Präbiotika“. Diese stehen dadurch den Bakterien weiter unten im Darm als „Futter“ zur Verfügung und begünstigen das Wachstum erwünschter Keime, die unsere guten Vorsätze unterstützen.
Enthalten sind diese aber nur in bestimmten Lebensmitteln. Manche Präbiotika findet man in eher ausgefallenen Gemüsesorten wie Pastinake, Topinambur oder Artischocken. Aber auch Haferflocken, schwarzer Kaffee, Lauch (Knoblauch, Porree, Schnittlauch) oder Endiviensalat liefern gutes „Bakterienfutter“. Kartoffeln, Reis und Nudeln enthalten, wenn sie abgekühlt sind, ebenfalls Präbiotika (resistente Stärke). Kartoffelsalat, Nudelsalat oder Sushi sind deshalb durchaus geeignet, die Darmkeime zu füttern.
Probiotika unterstützen die Darmgesundheit
Probiotische Nahrungsmittel, also solche, die lebende Keime, vor allem Milchsäurebakterien, liefern, unterstützen die Darmgesundheit ebenfalls: Sauerkraut, Joghurt, Kefir oder Kimchi dürfen deshalb öfters mal auf den Tisch kommen. Wird die Ernährung umgestellt, lassen sich bereits nach wenigen Tagen messbare Veränderungen feststellen. Die Vielfalt der Darmflora nimmt zu, die Spiegel nützlicher Botenstoffe, appetitzügelnder Hormone und Antioxidantien steigen an und Entzündungen gehen zurück, sobald mehr Ballaststoffe und weniger Fast Food und Süßigkeiten auf den Teller kommen.
Auch Nahrungsergänzungsmittel können dazu beitragen, die Darmflora zu verbessern. Wichtig ist aber, dass diese – neben probiotischen Bakterien – auch eine gute Mischung präbiotischer Ballaststoffe enthalten.